Uraufführung am 8. Februar 2014: Fadinger oder Die Revolution der Hutmacher
Oper von Ernst Ludwig Leitner auf ein Libretto von Franzobel
Foto: Christian Brachwitz/ Neues Musiktheater Linz
Die Reihe der Opern-Uraufführungen am Landestheater Linz beinhaltet klingende Namen: zuletzt natürlich mehrmals Philip Glass, aber auch Kurt Schwertsik oder Balduin Sulzer; und dann gab es sogar die (konzertante) Uraufführung der Meistersinger-„Festwiese“ am 4. April 1868 – zweieinhalb Monate vor der kompletten Oper in München – unter Anton Bruckner mit der Linzer Liedertafel “Frohsinn” und dem Orchester des Theaters im Linzer Redoutensaal (damit im alten Theater-Gebäude), mit ausdrücklicher Erlaubnis von Richard Wagner.
Als Oberösterreicher entkommt man dem Landwirt und Hutmacher Stephan Fadinger (eig. Fattinger) nicht – sei es in Form von Denkmälern und Straßenbenennungen quer durchs Land, sei es in der volksschulischen „Heimatkunde“ und im Geschichtsunterricht der höheren Schulstufen. Freilich, ganz so identitätsverwoben wie etwa ein Andreas Hofer in und mit Tirol ist sein – als Bauernhauptmann in einem vordergründig religiös motivierten Krieg – „Amtskollege“ aus dem Hausruck nicht ganz; dazu stand Hofer ja für ein konservativ-katholisches roll-back gegen französisch-revolutionären Säkularismus, während Fadinger für soziale Verbesserungen und Luther ins Feld zog: als Zeitgenossen wären sie wohl auf verschiedenen Seiten der Front gestanden. Aber, auch wenn Fadinger nur kurze 46 Tage im Rampenlicht der Geschichte stand, reicht es immerhin für populäre Sprüche wie den von der „Fadinger-Hochzeit“: wenn die Braut sich nämlich schon allzu offensichtlich in späteren Schwangerschaftsphasen befindet, kommentieren das die lokalen Bißgurn gerne mit einem Zitat aus der Rechtfertigungsschrift des Bauernaufstandes von 1626: „Es muess sein“.
Und seine (nämlich: dem Herberstorff seine) Pappenheimer, eine ergebene und auffällig uniformierte Kampftruppe der bayrisch-katholischen Macht, verantwortlich für etliche Massaker, kennt man auch, nicht erst seit Evelyn Künnecke (oder Friedrich Schiller).
Folgerichtig haben sich nun auch zwei Oberösterreicher mit dem Stoff – freilich nicht nur mit der unmittelbaren, eher kargen bekannten Historie, sondern auch mit Umfeld und Hintergründen von Zeit, Personen und Geschehnissen – befaßt (teils mangels Zeugnissen spekulativ), mit der Perspektive von über Jahrtausende gültigen Themen wie dem Leiden von Frauen und Kindern, derweil die Männer glauben, etwas im Feld ausfechten zu müssen: der Bachmann-Preisträger Franzobel, als Vöcklabrucker in nächster Nähe zu einem Ort aufgewachsen, an dem ein infames und bestimmendes Ereignis der oberösterreichischen Bauernkriege, das „Frankenburger Würfelspiel“ stattfand, hat sich als Dramatiker schon mehrerer wichtiger, doch vernachlässigter oder verdrängter Aspekte unserer lokalen Geschichte angenommen, unter anderem des Schicksals der Bergwerksarbeiter von Wolfsegg im Februar 1934. Ernst Ludwig Leitner, aus Wels gebürtiger, international renommierter Komponist, Organist, Chorleiter, Lehrer und nicht zuletzt in wichtigen Funktionen dem Mozarteum verbunden, hat auch – seit 1999 – drei Opern geschrieben, die bei den Salzkammergut Festwochen Gmunden bzw. Gustav Kuhns Tiroler Festspielen in Erl uraufgeführt wurden. Somit erleben wir heute erstmals die von einem Abschnitt der oberösterreichischen Geschichte inspirierte Frucht der Zusammenarbeit zweier heimischer Künstlerpersönlichkeiten, die alleine aufgrund ihrer Bekanntheit durchaus weit über Oberösterreichs Landesgrenzen hinausgehende Strahlkraft haben könnte. Leitner legt jedenfalls Wert auf die Feststellung, daß Musik immer noch aus Melodie, Harmonie und Rhythmus bestehe; er nutzt dafür alle bekannten Kompositionstechniken, natürlich auch serielle Techniken und clusters – aber er schreibt, wie er betont, nicht Zwölftonmusik, sondern Zwölftonmusik.
Übrigens wollte Franzobel den Stoff zuerst für das Sprechtheater verfassen, konnte jedoch von der Theaterleitung von der Operntauglichkeit des Stoffes überzeugt werden.
Fehlte eigentlich als in Oberösterreich verankerter (schon wieder: Geburtsort Vöcklabruck), aber international renommierter Inszenator nur noch Kurt Palm… noch dazu, als diese Oper als Lehrstück in Brecht’scher Tradition gedacht ist; Historiengemälde, so Dramaturg Thomas Haendeler, könne ja der Film besser. Jedenfalls wurde André Turnheim als dem Landestheater Linz (Sprechtheater wie Oper) schon länger eng verbundener Regisseur beauftragt. Dieser hat dieses neue Werk in einer modernen Umgebung in Szene gesetzt (Bühne und Kostüme: Florian Parbs, Videoprojektionen: Philipp Contag-Lada) – nicht recht stimmig, auch wenn man so zuverlässig wohl alle Lederhosen oder Landsknecht-Klischees vermeiden kann; jedoch hätte ein Rückgriff auf Inspirationsquellen von Hieronymus Bosch bis Albin Egger-Lienz der Geschichte und vor allem ihrer szenischen Kraft sicher nicht geschadet, ohne dabei ein aufmerksames Publikum vom eigentlichen succus abzulenken – üblicherweise begreifen die Zuseher ja auch ohne mit der Nase per moderner Alltagskleidung und -utensilien extra drauf gestoßen zu werden, aktuell gültige menschliche und moralische Aspekte eines hunderte oder tausende Jahre alten Dramas, welches in „alten“ Kostümen daherkommt. Bei dem hier sehr großen Chor aber auch eine Kostenfrage?
Statt einer Ouverture beschreibt der Bänkelsänger (und bisweilen Büttel und Intrigant im Auftrag Herberstorffs) Melchior mit Orchesterbegleitung (in die sich bisweilen eine Drehleier mischt) die historische Ausgangslage – „eine Zeit wie uns’re mit schwacher Ordnung und krankem Recht“, in der es aber auch gerechte Leute gegeben habe, einer davon sei noch bekannt: Stephan Fadinger. Der Chor widerspricht ihm mit einem bequemen „Samma uns ehrlich, die Zeiten san passè“; am Dachboden hängt aber längst ein Strangulierter…
In seinem bescheidenen Häuschen diskutiert Fadinger mit seiner Frau über die Zeiten, zeigt sich eigentlich nicht recht gelaunt, selbst aktiv zu werden; da aber taucht aus dem Hintergrund der Wohnung (genau genommen: aus der Badewanne) Graf Herberstorff auf und foltert den verdächtigen Lutheraner, der ihm aber widersteht. Jetzt hat er sich freilich einen Feind gemacht, den auch das Flehen seiner Frau Crisam und seiner Töchter („Du machst die Welt net anders … laß sie stehn“) nun nicht davon abhalten kann, nach Satisfaktion zu rufen – auch im Interesse des späteren Wohlergehens seiner Kinder; noch aber will er nicht zur Waffe greifen. Crisam schwant jedenfalls Übles und sie resigniert mit „wenn einer Widerstand sich (!) leist‘“.
Das von Herberstorff ersonnene grausame Frankenburger Würfelspiel entfacht erst recht den allgemeinen Aufstand unter den Bauern, denn nun können sie so gut wie nichts mehr verlieren, nun (mit deutlichen und wohlintendierten Anklängen an Brahms‘ Deutsches Requiem) hat der Tod für sie „keinen Stachel“ mehr. Noch immer zögert Fadinger, wird jedoch von seinem Schwager Christoph Zeller und Achatz Wiellinger bestürmt, den Aufstand anzuführen; dazu beteuert Cilli, Zellers Frau, daß „die Sterne günstig“ stünden. Fadinger schwört sich nun mit Zeller und Wiellinger auf Widerstand gegen die Rekatholisierung und Herberstorff ein, in einem gelungenen klassischen und dramatisch gesetzten Terzett, dessen orchestrale Begleitung in einzelnen Elementen an Sir William Waltons Musik zu Heinrich V. (Rede des Königs vor der Schlacht von Agincourt) erinnert; wohl passend, denn „der Himmel wird sehen einen Hutmacher, der bricht mit alten Hüten … Es gilt! Es ist so weit!“
Zellers Hof wird von marodierenden Landsknechten überfallen, Cilli vergewaltigt (hier wirkt die sonst oft durchaus drastische Inszenierung reichlich unentschlossen, um nicht zu sagen läppisch: Frau Zeller wird mit Bier bespritzt… und das auch noch eher zaghaft), der Hof geht in Flammen auf. Herberstorffs sidekick und Henker, Gallus Putschögl, erklärt auch diesen Übergriff mit dem Auffinden von Lutherbibel und Waffen. Für die Aufständischen ist das ein Grund zur Rache: „Herbei“, jetzt „tanzen wir mit dem Tod“ – eine weitere klassisch große Opernszene mit machtvollem Chor beschließt den ersten Akt.
Nach kriegerischen Erfolgen berauschen sich Fadinger, Zeller und Wiellinger an Köstlichkeiten, die ihnen der Kremsmünsterer Hofmeister Lochinger in orgiastischem und eher ferkelhaftem Übermaß kredenzt. Mit einer Paraphrase über ein bekanntes altes Trinklied („Und wer im Jänner geboren ist“) feiern die Bauernführer, bis nichts mehr geht – und sie gleiten in die Korruption durch Macht hinein.
Die Belagerung von Linz ist festgefahren, man versucht es mit Verhandlungen – wobei bald klar ist, daß Herberstorff nur Scheinversprechungen macht, um Zeit zu gewinnen; jedoch wird auch klar, daß Herberstorff und Fadinger sich gegenseitig im Grunde brauchen, ihre Daseinsberechtigung voneinander ableiten. Fadinger allerdings glaubt daran, daß er nun Macht habe, etwas zu ändern, nicht aber Wiellinger und Zeller; zudem hat Fadinger Wiellinger beschuldigt, ähnlich wie die Truppen Herberstorffs (die Pappenheimer – in blitzenden Helmen, hier im deutschen Reichswehrzuschnitt) zu hausen, zu vergewaltigen und zu plündern. Wiellinger und Zeller, die offensichtlich ihren Anführer los werden wollen, „zaubern“ nun eine Salbe herbei, die Fadinger unverwundbar machen soll – und dieser fällt darauf herein: im Glauben an seine Unverwundbarkeit wagt er sich zu nahe an Herberstorffs Leute heran, wird getroffen (Melchior agiert hier als Handlanger des katholischen Landeshauptmanns) und stirbt. Auch Wiellinger und Zeller überleben nicht lange.
Herberstorff beklagt schließlich den Verlust eines Feindes, dem er gerne ähnlich gewesen wäre. Crisam und die von der Vergewaltigung schwangere Cilli verabschieden sich in einem bewegenden Duett von ihren getöteten Ehemännern – und von der Heimat, aus der sie von der siegreichen katholischen Macht vertrieben werden. Der Chor stimmt einen an Bach orientierten Choral (der Komponist war viele Jahre Leiter des renommierten Welser Bach-Chores) über die nun folgenden bleiernen Zeiten an…
Souveräner Dirigent dieser Uraufführung war Dennis Russell Davies – der mit einer Schrecksekunde konfrontiert war: mitten in der Kremsmünsterer Szene fiel die Notenpultbeleuchtung im Orchestergraben aus; trotzdem schaffte es das auch sonst brillant spielende Bruckner-Orchester, auswendig (dieses erst wenige Wochen bekannte Material!!) eine halbe Minute lang weiterzuspielen, bevor der Dirigent doch abwinken musste. Die Orchestergröße entspricht etwa den Bedürfnissen der späten Wiener Klassik, aber mit großer Schlagwerks- und Bläserbesetzung incl. Baßtuba. Wesentliche Mitarbeit bei der Einstudierung leistete Takeshi Moriuchi.
Der vielbeschäftigte Chor wurde wie immer von Georg Leopold präzise vorbereitet, was auch für den Extrachor unter Martin Zeller gilt.
Stefan Fadinger wurde von Martin Achrainer mit ebenso wohltönendem wie durchsetzungsstarkem und beweglichen Bariton und engagierter, facettenreicher Bühnenpräsenz in der Titelrolle angemessener Dominanz dargestellt. Gleiches gilt für die Tenorrolle des Christoph Zeller, dem Iurie Ciobanu mit vorzüglicher Stimme und großem körperlichen Einsatz Gestalt verlieh; der Achatz Wiellinger (Bariton) Matthias Helms konnte mit den beiden sehr gut mithalten. Gotho Griesmeier als Crisam mußte sich wegen eines grippalen Infekts ansagen lassen, ließ sich aber mit ihrem erstklassigen Sopran nichts anmerken; ihre hervorragende schauspielerische Leistung war ja ohnedies nicht gefährdet. Zellers Frau Cilli, ebenfalls Sopran, wurde von Martha Hirschmann perfekt gesungen und erstklassig gespielt. Ebenso vorzüglich Fadingers Töchter (Martha Matscheko und Tabea Mitterbauer)
Zu Beginn seiner Arbeit hatte Ernst Ludwig Leitner bei Graf von Herberstorff an einen klassischen Baß-Bösewicht des Zuschnittes Don Pizarro gedacht, doch nach Kenntnisnahme des Librettos mit einem Statthalter, der als selbstverliebter, sensibler, eitler Schönling gezeichnet ist, mußte eine GANZ andere Stimmlage her – nicht ein Tenor, sondern die „zerbrechliche oder gekünstelte Stimme“ eines Countertenors schien ihm nun adäquat; Daniel Lager (als Gast) war die perfekte Verkörperung dieser Vorstellungen von Franzobel und Leitner, stimmlich wie als transsexuell aufgemachter (aber nicht „schwuchtelig“ chargierender!) Gewaltherrscher.
Der Gallus Putschögl Franz Binders kam als giftiger Zwerg, mit guter Stimme und bösem Spiel, auf Knien daher, Hofmeister Lochinger von Kremsmünster war mit dem Tenor Jacques le Roux stimmlich luxuriös und komödiantisch erstklassig besetzt.
Hans-Günther Müller hätte als wortdeutlicher und ausdrucksstarker Melchior, Bänkelsänger (usw.) eigentlich etwas gleichmäßiger über das Stück verteilt eingesetzt werden können – so aber hatte er seine großen Auftritte (nur) ganz zu Beginn und ganz am Ende der Aufführung.
Ein Brüderpaar (beim Frankenburger Würfelspiel), Eugen Fillo und Ville Lignell, und drei Landsknechte (Bonifacio Galván / Markus Schulz / Ulf Bunde) verdienen ebenfalls positive Erwähnung.
Nach etwa 2 Stunden netto-Aufführungsdauer dann eher karger Applaus (knapp 10 Minuten), aber für Sängerensemble, Chor und Orchester sowie musikalische Leitung und auch Produktionsteam durchaus ungetrübt bis lautstark; Komponist und Librettist bekamen einige Buhrufe ab – uns nicht verständlich; denn sowohl Franzobel als auch Leitner zeigten sich als Meister ihrer Metiers – gewandt in freier wie gebundener Sprache, in Dialekt wie Hochsprache, mit ein paar lautgedichthaften Elementen der eine, gewandt in allen denkbaren Kompositionstechniken, sattelfest und stilsicher in der Erzeugung von Stimmungen und Emotionen, und natürlich mit höchster Erfahrung in gesungener Literatur der andere. Eine Bereicherung der Opernliteratur, die mit ihrer dramatischen und musikalischen Gültigkeit nicht auf Oberösterreich beschränkt bleiben sollte!
Foto: Huber
Der Komponist hat sein Werk übrigens den beiden musikalischen „Geburtshelfern“, Dennis Russell Davies und Takeshi Moriuchi, gewidmet.
H & P Huber