Uraufführung in Linz:
„Fadinger oder Die Revolution der Hutmacher“ von Leitner (Premiere: 8. 2.2014)
Schlussbild der Oper „Fadinger“: Daniel Lager als Graf von Herberstorff und Martin Achrainer als Stefan Fadinger (Foto: Christian Brachwitz)
Am 8. Februar 2014 fand im neuen Musiktheater in Linz bereits die zweite Uraufführung statt: „Fadinger oder Die Revolution der Hutmacher“ von Ernst Ludwig Leitner. Es ist nach „So weiß wie Schnee, so rot wie Blut“ (1999), „Die Sennenpuppe“ (2008) und „Die Hochzeit“ (2010) die vierte Oper des 1943 in Wels geborenen Komponisten, aber die erste, die in einem großen Opernhaus erstaufgeführt wurde.
Zum Schaffen von Ernst Ludwig Leitner schrieb der Linzer Opernchef Dennis Russell Davies, der auch die Uraufführung dirigierte, unter dem Titel „Neues im Alten, Altes im Neuen“ (abgedruckt im Programmheft): „In Ernst Ludwig Leitners Werk geht eine bemerkenswerte Kraft der Erfindung in der melodisch-motivischen Arbeit Hand in Hand mit einer meisterhaften, ja nachgerade mustergültigen Behandlung des musikalischen Materials. Dabei ist Leitners Werk stets weit entfernt von allem Epigonalen, sondern ist im Spiel mit (vermeintlich) Vertrautem neu, im besten Sinne neu, als wohlverstandene Synthese des Neuen im Alten, wie des Alten im Neuen.“
Zur Musik des Komponisten findet sich im Programmheft auch ein Beitrag des Musikwissenschaftlers Dr. Michael Wruss. Unter dem Titel „Serielle Strukturen“ schreibt er unter anderem: „Ernst Ludwig Leitner verwendet sein eigenes Reihensystem, bei dem nicht immer alle zwölf Töne einer Oktave erhalten sein müssen und das sich meist aus den als Vorlage dienenden Stücken ableitet. Aus diesen Tonleitern werden nicht nur melodische Elemente herausgegriffen, sondern auch Akkorde gefunden, die in der Folge das harmonische Grundgerüst bilden.“
Die Oper mit dem Libretto von Franzobel, dessen Text teils sehr poetisch, teils in derber Mundart verfasst ist, erinnert in zwei Akten und 18 Szenen an den heldenmütigen Anführer im oberösterreichischen Bauernkrieg Stefan Fadinger. Sie zeigt sein bürgerliches Leben und spiegelt seinen Traum vom Heldenleben wider, der gleichzeitig einen Albtraum für seine Familie bedeutete. In vielen Szenen wird auch die psychologische Verwandtschaft Fadingers mit seinem Gegenspieler Graf von Herberstorff als eine Art Hass-Liebe aufgezeigt. Dementsprechend die letzte Szene mit der Exhumierung und Enthauptung von Fadingers Leichnam, als Herberstorff sagt: „Fadinger! Wie gern wär’ ich wie du. … Du bist ein Teil von mir.“
Regisseur André Turnheim arbeitete diesen seelischen Konflikt zwischen dem katholischen Grafen, der sein exzessives Treiben mit aller Brutalität auslebt, und dem protestantischen Bauernführer, der sich mit seinen Kumpanen ohne Rücksicht auf seine Familie auch Fress- und Sauforgien hingibt, in seiner Inszenierung subtil heraus. Auch vermied er es, allzu grausame Szenen auf der Bühne zu zeigen. Beispielsweise wird die Vergewaltigung von Cilli, der Frau von Fadingers Mitstreiter Zeller, durch drei plündernde katholische Landsknechte mehr als seelischer denn als körperlicher Missbrauch angedeutet. Besonders eindrucksvoll gelang die Szene, in der Zellers Hof von Herberstorffs Schergen in Brand gesetzt wird (Video: Philipp Contag-Lada). Auch das Frankenburger Würfelspiel, in dem Herberstorff die Anführer paarweise um ihr Leben würfeln lässt und die Verlierer aufgehängt werden, wird auf der Bühne auf moderate Weise in Szene gesetzt. Warum allerdings die Bühnengestaltung (ein zum Publikum offenen Haus mit Badezimmer) und die Kostüme von Florian Parbs der heutigen Zeit entsprechen, verwunderte eher.
In der Titelrolle überzeugte der Bariton Martin Achrainer stimmlich wie schauspielerisch. Auch die seelische Zerrissenheit von Stefan Fadinger konnte er eindrucksvoll darstellen. Sein Gegenpart Graf von Herberstorff wurde vom Countertenor Daniel Lager (in transsexueller Aufmachung) mit einer enormen Bühnenpräsenz ausgestattet, die auf das Publikum großen Eindruck machte. Herberstorffs Henker Gallus Putschögl wurde vom Bariton Franz Binder als Zwerg hintergründig bös gegeben.
Fadingers Mitstreiter Christoph Zeller und Achatz Wiellinger wurden vom Tenor Iurie Ciobanu und dem Bariton Matthias Helm bäuerlich-derb gespielt. Ihre Fress- und Sauf-Orgie zu dritt in Kremsmünster, aufgetischt von Hofmeister Lochinger – äußerst drastisch dargestellt vom Tenor Jacques le Roux – war eine der exzessivsten Szenen der Vorstellung. Fadingers Frau Crisam wurde von der Sopranistin Gotho Griesmeier, die sich als verkühlt ansagen ließ, Zellers Frau Cilli von der Mezzosopranistin Martha Hirschmann dargestellt. Stimmlich waren sie gut, bäuerlich wirkten beide nicht!
Als Bänkelsänger Melchior kommentierte der Bariton Hans-Günther Müller die Handlung vom Dachboden des Hauses auf der Bühne. Leider kam er stimmlich nur selten über das Orchester. Sehr stimmgewaltig hingegen der Chor des Landestheaters Linz (Leitung: Georg Leopold) und der Extrachor (Leitung: Martin Zeller), die beide eine tragende Rolle in dieser Oper innehatten. In manchen Szenen bekam man das Gefühl, eine Chor-Oper zu erleben.
Das Bruckner-Orchester Linz, das sicherlich zu den besten Orchestern des Landes zu zählen ist, gab unter der Leitung von Dennis Russell Davies die teils sehr expressive Partitur des Komponisten, die des Öfteren einem gewaltigen Klangteppich ähnelte, eindrucksvoll zum Besten. Das bis zum Schluss verbliebene Publikum (nicht wenige Damen und Herren verließen zur Pause das Haus) zollte allen Mitwirkenden lang anhaltenden Applaus, besonders lautstark Martin Achrainer und Daniel Lager sowie dem Orchester und dem Dirigenten, aber auch dem Regieteam. Einzelne Buh-Rufe gab es für den Komponisten und den Librettisten.
Udo Pacolt