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LAUSANNE: LAKMÉ von Leo Delibes

10.10.2013 | Allgemein, KRITIKEN, Oper

Opernrarität in Lausanne: „Lakmé“ von Leo Delibes (Vorstellung: 9. 10. 2013)

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In der Titelrolle der Lakmé faszinierte die Sopranistin Julia Bauer (Foto: Marc Vanappelghem)

 Eine in den letzten Jahren nur sehr selten aufgeführte Oper nahm die Opéra de Lausanne in ihren Spielplan auf: „Lakmé“ von Léo Delibes. Im April 1883 an der Opéra Comique in Paris mit Riesenerfolg uraufgeführt – sie übertraf damals sogar den Erfolg von Bizets „Carmen“ –, wird sie heutzutage kaum mehr gespielt, obwohl das Thema „Liebe zwischen Menschen verschiedener Kulturen“ aktueller denn je ist.

 Die Handlung der dreiaktigen Oper, deren Libretto Pierre Edmond Julien Gondinet und Philippe Emile François Gille nach dem Roman „Rarahu ou le Mariage de Loti“ von Pierre Loti verfassten, spielt in Indien Ende des 19. Jahrhunderts. Ihr Inhalt kurz zusammengefasst: Der Brahmanenpriester Nilakantha übt heimlich seine von den Engländern verbotene Religion aus. Seine Tochter Lakmé erzieht er im Hass gegen die britischen Kolonialherren. Dennoch erwidert sie die Gefühle des britischen Offiziers Gérald, der sie anlässlich eines Besuchs einer Gruppe von Engländern im Tempelbereich heimlich beobachtet und sich dabei in sie verliebt. Ihr Vater erkennt sofort, dass der heilige Ort entweiht wurde und schwört Rache. – Als Hindu verkleidet, versucht er auf dem Jahrmarkt den Fremden zu finden, wobei er von Lakmé verlangt, dass sie das Lied von dem Pandamädchen singt, das durch sein Glockenspiel den Sohn Brahmas rettete. Als Gérald sich zu erkennen gibt, wünscht Lakmé, dass er ihren Glauben annimmt, um das einzige Hindernis zwischen ihnen zu beseitigen. Obwohl ihn der britische Offizier Frédéric davon abhalten will, entscheidet sich Gérald für Lakmé, wird aber von deren Vater mit einem Messer schwer verletzt.  – Unter einem Baum träumen Lakmé und Gérald von einer gemeinsamen Zukunft, doch Frédéric hat seinen Freund aufgespürt und redet ihm so lange ins Gewissen, bis er seiner Pflicht als Soldat folgt. Als Lakmé erkennen muss, dass Gérald nicht ihr, sondern seinem Vaterland gehören wird, isst sie heimlich von der tödlichen Datura-Blume.

 Die Oper von Léo Delibes steht in der damals blühenden französischen Tradition des Exotischen und der Bewunderung alles Orientalischen, die auch in Themen der Opern von Rameau und in Schriften von Chateaubriand und Rousseau angeklungen waren. Eine unmittelbare Vorläuferin der tragischen Inderin war Meyerbeers „Afrikanerin“, die eigentlich ebenfalls Inderin ist. Das exotische Flair der Partitur von Delibes hat auch heute von seinem Reiz nichts verloren und kam in der Aufführung der Opéra de Lausanne musikalisch wunderbar zur Geltung, wofür das Orchestre de Chambre de Lausanne unter der umsichtigen Leitung von Miquel Ortega verantwortlich war.

 Die Schweizer Regisseurin Lilo Baur schuf eine atmosphärisch dichte Inszenierung mit spektakulären Bildern (Bühnendekoration: Caroline Ginet) und passenden Kostümen, die sowohl der britischen Kolonialzeit wie der indischen Kultur entsprachen (Kostümentwürfe: Hanna Sjödin). Der große Sandhaufen, der im ersten Akt die Bühne in zwei Hälften teilt, sollte wohl die Mauer zwischen den Menschen der verschiedenen Religionen und Kulturen symbolisieren, doch stellte sie die Sängerinnen und Sänger beim Gehen vor manche Probleme. 

 Exzellent die subtile Personenführung, die in vielen Szenen auffällig wird, etwa in der sich nur zögerlich entwickelnden Liebe zwischen Lakmé und dem britischen Offizier und im Mienenspiel der englischen Ladys gegenüber der indischen Bevölkerung. Gelungen auch die Idee, in der Massenszene die Akteure im Zeitlupentempo bewegen zu lassen.

 In der Titelrolle brillierte die aus Bayern gebürtige Koloratursopranistin Julia Bauer, die das Publikum von der ersten bis zur letzten Szene sowohl schauspielerisch wie auch gesanglich zu begeistern wusste. Ihr unbewusstes Zögern, sich in den Fremden zu verlieben, war ihrer Körpersprache und ihrer Mimik stets abzulesen – und faszinierend ihr bezauberndes Strahlen in den Momenten des Glücks. Dazu konnte sie auch stimmlich voll überzeugen. Virtuos sang sie nicht nur die berühmte „Glöckchenarie“, sondern auch das Blumenduett mit der Sklavin Mallika (gut dargestellt von der Mezzosopranistin Elodie Méchain). Berührend auch ihr Spiel in der Selbstmordszene am Schluss. Man hätte eine Stecknadel fallen hören, so gebannt war das Publikum!

 Ein in jeder Hinsicht idealer Bühnenpartner war der Tenor Christophe Berry als britischer Offizier Gérald. Er spielte seine Rolle als in Lakmé Verliebter und Zerrissener zwischen Vaterlandspflicht und Liebe überzeugend und sang sich mit seiner hell tönenden, lyrischen Stimme auch in die Herzen der Zuschauer(innen), sodass er des Öfteren Szenenapplaus und Bravorufe einheimste.

Den Brahmanenpriester Nilakantha gab der russische Bassist Daniel Golossov mit kraftvoller, markanter Stimme und eindrucksvollem Spiel, Géralds Freund Frédéric der Bariton Boris Grappe, der gleichfalls stimmlich wie darstellerisch überzeugte. Sehr gut besetzt waren auch die drei Engländerinnen Ellen, Rose und deren Erzieherin Ms. Bentson mit Céline Mellon (Sopran), Céline Soudain (Sopran) und Hanna Schaer (Mezzosopran), die allesamt durch ihr ausdrucksstarkes Mienenspiel gefielen. Stimmkräftig, aber auch darstellerisch gut agierte der Chor der Oper Lausanne (Leitung: Véronique Carrot).

 Das von dieser Koproduktion mit der Pariser Opéra Comique begeisterte Publikum zollte am Schluss allen Mitwirkenden für den großartigen Opernabend minutenlangen, nicht enden wollenden Applaus, unter den sich verdientermaßen auch Brava-Rufe für Julia Bauer und Bravo-Rufe für Christophe Berry mischten.

 Udo Pacolt

 

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