Kurt Vocelka:
DER DOZENT UND DER TOD
192 Seiten, Ueberreuter Verlag, 2022
Der Dozent trägt offenbar den Spitznamen „der rote Rudi“, und obwohl man schon 1986 schreibt, schwirrt er in der Wiener Universität mit Langhaar und Jeans als bunter Vogel herum – und das unter einer gesetzten Professorenschaft mit Maßanzug und Krawatte, die nicht viel für ihn übrig hat. Aber weil er in der Orientalistik zufriedenstellend sein kleines Feld beackert (Spezialist für die alten Türken unter Suleyman), lässt man ihn in Ruhe.
Bis der Mord passiert. Da ging es nach der Emeritierung des geschätzten Professor Holub um die Neubesetzung des Lehrstuhls für Indologie. Für eine solche Stellung an der Wiener Universität tanzen neben den hauseigenen Aspiranten schon allerlei Leute an, und die Letztausgewählten müssen „vorsingen“, wie es intern heißt, in Vorträgen in edlen Wettstreit treten. Bloß dass der erste, aus der Wiener Nationalbibliothek kommende Kandidat nach ein paar Sätzen einen Schluck Wasser nimmt – und vor den Augen des entsetzten Publikums stirbt…
Der sehr mürrische Chefinspektor Lietzmann, dem Spät-68er wie der rote Rudi höchst zuwider sind, verdächtigt gleich ihn des Mordes, konnte er doch – wie jeder weiß – den Ermordeten nicht leiden. Guter Grund für den Dozenten, selbst herum zu fragen, um den Täter zu finden. Ein Universitäts-Krimi, der auf profundem Insider-Wissen des Autors beruht. Schließlich hat Karl Vocelka doch selbst 40 Jahre lang Geschichte an der Universität Wien unterrichtet.
Hoppala – wer „Karl Vocelka“ sagt, denkt an zahlreiche imposante Sachbücher zur österreichischen Geschichte. Nun hat er abrupt und komplett das Genre gewechselt, was einem Pensionisten frei steht. Warum er die Geschichte im Jahr 1986 ansiedelt? Erstens ist dem passionierten Krimi-Leser damals erstmals die Idee zu dem Buch gekommen. Zweitens rotierte damals die österreichische Innenpolitik um die Wahl von Kurt Waldheim zum Bundespräsidenten, und ein empörter roter Rudi kann zeigen, dass er auf der richtigen Seite steht. Und drittens wäre die Geschichte in der heutigen Welt der Sozialen Medien einfach nicht zu erzählen, weil alles ganz anders laufen würde als damals, wo Rudi sich von einem Verdächtigen zum anderen durchschnüffelt.
Da gibt es einige. Der andere Kandidat aus dem Haus, von dem man nicht weiß, ob er mit Holubs junger Frau ein Verhältnis hat, weil er wirklich verliebt ist oder weil er ihre Protektion will. Oder der Kandidat aus Deutschland, der dem Dozenten so zuwider ist, dass er sich sogar zum „Piefke!“ aufschwingt. Und da ist ein höchst undurchsichtiger Herr aus England mit indischer Mutter, sehr kompetent, aber verdächtig rührig – auch im Dorotheum… Ja, und die Ex-Freundin des Toten lässt sich ganz schnell von Rudi trösten. Holubs Frau wirft ihn hinaus, aber ihr polnisches Dienstmädchen zeigt sich auskunftsfreudig (und anderes).
Es mangelt nicht an Verdächtigen, und auch sonst greift der Autor tief in die Krimi-Tüte – mit gefälschten Dissertationen (für so etwas tritt man in Österreich zurück – oder auch nicht), geraubten kostbaren Handschriften, verschwundenen Artefakten, die (Original oder Fälschung?) bei Sammlern auftauchen, alles drin. Und die Frauen sind auch nicht alle, was sie scheinen. Im Endeffekt zieht der Autor einen (durchaus plausiblen) Täter aus dem Hut, an den man wirklich nicht gedacht hätte, und das ist ja auch eine Kunst.
Im übrigen wirkt die Waldheim-Geschichte ein wenig spekulativ aufgepfropft, hingegen folgt man dem Rudi gern in seine kulinarischen Ausflüge, die höchst interessant klingen. Es sind übrigens, der Autor gibt es in einem finalen Interview zu, jene Speisen, für die er selbst besondere Vorliebe hegt. Und über Wein wird mit höchster Kennerschaft diskutiert. Man ist schließlich in Wien.
Renate Wagner