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KÖLN: PARSIFAL. Premiere

30.03.2013 | Allgemein, KRITIKEN, Oper

KÖLN: PARSIFAL  – Premiere am 29.März 2013

  Diese Produktion von Wagners Bühnenweihfestspiel erinnert ein letztes Mal an die künstlerisch so erfolgreiche, kulturpolitisch aber desaströs zu Ende gegangene Intendanz von Uwe Eric Laufenberg. Er hätte diesen „Parsifal“ ursprünglich inszenieren sollen, jetzt musste seine Nachfolgerin im Amt, Birgit Meyer (den Wienern aus ihrer Zeit als Chefdramaturgin der Volksoper sicher noch in Erinnerung), für Ersatz sorgen. Dabei hatte sie allerdings eine glückliche Hand. CARLUS PADRISSA, 1979 Gründungsmitglied der katalanischen Theatertruppe „La Fura dels Baus“, und sein Team (Bühne: ROLAND OLBETER, Kostüme: CHU UROZ, Video: ROMÁN TORRE, PELAYO MENDÉZ, FRITZ GNAD) waren gerade frei und in Köln durch ihre fulminante Inszenierung von Stockhausens „Sonntag aus Licht“ vor 2 Jahren bestens eingeführt. Außerdem prägt Wagner das relativ neue Opernrepertoire der Mannschaft ziemlich stark. Speziell mit „Parsifal“ ging man gerade schwanger. Sie Stockhausen-Oper, im sogenannten Staatenhaus auf gleich mehrere Säle verteilt, war Forderung und auch Gelegenheit nach opulenter Optik und raumgestalterischer Fantasie. Das findet sich jetzt bei „Parsifal“ wieder, suggestiv, bei leichtem Hang zum Plakativen.

 Vor allem 2 Gedanken bestimmen Padrissas Inszenierung: Verpflichtung des Menschen zu einer Gemeinschaft der Mitleidsfähigkeit sowie das heikle Verhältnis von Friedrich Nietzsche zu Wagner. Biblisch gesprochen: Nietzsches Wendung vom Paulus zu Saulus, auch wenn die Bewunderung für den Opernmagier bei aller radikalen Entfremdung bis zuletzt erhalten blieb. Einen kurzen ironischen Moment gönnt sich die Regie in einer ansonsten weihevoll ritualisierten Inszenierung. Wenn im 3. Aufzug die Leiche Titurels enthüIlt wird, erkennt man (freilich nicht zum 1. Mal) dessen figürliche Identität mit Wagner. Das zurückgeschlagene Tuch ist mit dem Wort „Gesamtkunstwerk“ versehen.
In diesem einen Moment erlebt man das Freund-Feind-Verhältnis von Philosoph und Komponist wie in einem Brennspiegel.

 Diesen Erzählstrang mag man bei aller Gewichtigkeit aber noch als relativ beiläufig bezeichnen. Dominierend in der Inszenierung ist die Wirkung eines allumfassenden Gemeinschaftsgefühls, und zwar eines erwärmendes. Wohl nur in diesem Kontext sind die Filmeinblendungen zu den Vorspielen des 1. Und 2. Aufzugs zu werten. Da sieht man ein Autorennen mit tödlichem Unfall, ein weiteres „privates“ von jugendlichen Rüpeln ohne Rücksicht auf Verluste. Diese Bildeinfälle sind vielleicht nicht gerade die zwingendsten. Parsifal, zunächst ein tumber Einzelkämpfer (wie übrigens auch Siegfried), entwickelt sein Humanitätsgefühl erst sukzessiv, dann aber umso einschneidender. Er erlöst Kundry aus ihrem leidvollen Nomadendasein, Amfortas aus seinem Leiden. Wenn ein Oben-Ohne-Double Kundrys zuletzt in das Wasser des Gralskelches taucht, wird Erlösung mit der Bejahung natürlich gelebter Sexualität gleichgesetzt (das ist letztlich eine Kritik am Zölibat). Die Szene vereinseitigt zwar etwas den vom Regisseur ebenfalls verfolgten Mitleidsgedanken, doch kann man diesem Finalbild Dinglichkeit nicht absprechen.

 „Parsifal sind wir alle“, so Padrissa. Er deutet die Handlung des Bühnenweihfestspiels als Appell an die Welt, Mitleid zu üben. Durch Internet-Vernetzung sieht er in diesem Zusammenhang neue Qualitäten angelegt, was freilich zu diskutieren wäre. Und Verweigerer wird es immer geben. Klingsor wird man zu ihnen aber nur bedingt zählen wollen. Das versucht Padrissa allerdings mehr durch Video-Spielerein als durch seine Personenführung beglaubigen. Es wirkt wie eine Bestätigung dieses Defizits, dass der israelische Bariton BOAZ DANIEL in Personalunion von Amfortas und Klingsor das Leid des Gralsherrschers vokal wie darstellerisch suggestiv zu vermitteln weiß, während er als dämonischer Gralsfeind eher anonym bleibt. Die Kölner Oper wurde übrigens von der Tatsache überrascht, dass auch die Produktion der Salzburger Osterfestspiele (deren Fernsehübertragung natürlich von nahezu allen anwesenden Wagner-Enthusiasten verfolgt worden war) auf diese Identität setzte. Woran sich aber vielleicht nur wenige erinnert haben dürften: bereits im letzten Kölner „Parsifal“ 1999 (2 Jahre zuvor war Premiere im koproduzierenden Bonn gewesen) hatte Günter Krämer (damaliger Intendant des Hauses) diese Konzeption verwirklicht.

 Das Stichwort „Gemeinschaft“ visualisiert sich in der jetzigen Padrissa-Inszenierung ganz wesentlich in der Ausstattung. Roland Olbeter hat ein Gerüst auf die Bühne gestellt, welches man als Mischung aus Bienenwabe und abstrahierende Ansicht eines Gehirns verstehen könnte (Deutungshinweis von Padrissa: „schaffender Körper“). Dieses vierfach teilbare und unterschiedlich wieder kombinierbare Konstrukt ist von stummen, weiß eingehüllten Menschen besetzt, welche das Geschehen aufnehmen und gewissermaßen an die Außenwelt vermitteln. In jeder Aufführung sind es übrigens andere Kölner Bürger, ein etwas entlegener Einfall des offenkundig euphorisierten Regisseurs.
Gurnemanz, welcher eine Küchenschürze mit der Ausschrift „Parsifal Köln“ trägt, backt Brot, welches zum Schluss an das Publikum verteilt wird. Im Zuschauerraum finden auch die meisten Chorszenenstatt, Lichtspiele verstärken diesen wahrhaft suggestiven Entgrenzungseffekt und lassen Detaileinwände gegen die Inszenierung sekundär werden. Zu ihnen könnte man auch die massive Anwendung von Videoeinblendungen zählen, deren tieferer Sinn sich mitunter zu verselbstständigen scheint. Andererseits ist ihre theatrale Wirkung ausgesprochen stark.

  Ob sich Dirigent MARKUS STENZ von alledem zu seiner gemessenen Interpretation hat lenken lassen, bleibe dahin gestellt. Den Kundry-Akt heizt er zwar dramatisch auf, aber den Grals-Szenen eignet Weite, Ruhe, Kontemplation. Der klangliche Glamour wie in Essen bei Stefan Soltesz (17.3.) wird zwar nicht ganz erreicht, aber da mögen die akustischen Gegebenheiten der Interimsspielstätte „Oper am Dom“ eine Rolle spielen, die freilich von Produktion zu Produktion unterschiedlich ausfallen. Insgesamt bietet Stenz mit dem sich steigernden Gürzenich-Orchester jedoch eine packende Lesart des Werkes und lässt ihm auch gebührend mystischen Klangsog zukommen. Die Auftritte des enorm verstärkten Chores tragen zu der fesselnden Wirkung bei.

 Den Titelhelden gibt MARCO JENTZSCH mit seinem Spinto-Tenor überzeugend und muss seine Stimme nicht so überstrapazieren wie vor einiger Zeit als Bacchus in „Ariadne auf Naxos“. Seiner Darstellung eignet jugendlicher Elan. 1999 verkörperte DALIA SCHAECHTER die Kundry erstmals. Sie vermag auch jetzt sowohl die Leidtragende wie auch die große Verführerin glaubhaft zu machen und besitzt für die Ausbrüche im Mittelakt alle notwendigen Ressourcen.
Die Bühnenpräsenz der Künstlerin ist wie eigentlich immer ereignishaft.

Stellvertretend für das umfängliche Ensemble mittlerer Partien sollte der klangvolle Titurel von YOUNG DOO PARK erwähnt sein.

 Ein eigenes Kapitel ist MATTI SALMINEN. Als junger Sänger war er ab 1972 einige Jahre Mitglied der Kölner Oper und gab hier (meist an der Seite von Margaret Price) u.a. Verdis Philipp II., mit dem er an der Finnischen Nationaloper sein Debüt absolviert hatte. Diese Partie verkörperte er (neben dem Hagen) dann nochmal bei seinen Gastauftritten in den Jahren 2009/10. Jetzt also Gurnemanz, noch immer macht- und würdevoll, dazu vorbildlich textverständlich. Am 4. April
widmet ihm die Kölner Oper einen Porträtabend. Wie immer bei solchen Veranstaltungen werden in das Gespräch Musikbeispiele aus dem Tonarchiv des Hauses eingeblendet. Da gibt es oft Entdeckungen zu machen, denn nicht alle Zuhörer haben die historischen Jahre noch aus eigener Anschauung miterlebt.

 Christoph Zimmermann

 

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