Die Fledermaus – Stadttheater Klagenfurt, 18.9.2014 (Premiere)
Weltweit gibt es rund 900 Fledermausarten (Microchiroptera); eine Säugetiergruppe, die zusammen mit den Flughunden (Megachiroptera) die Ordnung der Fledertiere (Chiroptera) bilden. Sie sind neben den Vögeln die einzigen Wirbeltiere, die aktiv fliegen können. Fledermäuse sind in der Regel nachtaktive Tiere. Zum Schlafen ziehen sie sich in Höhlen, Felsspalten, Baumhöhlen oder menschengemachte Unterschlupfe (Dachböden und andere) zurück. Eine ganz spezielle Fledermausart hat sich in Klagenfurt im Stadttheater eingenistet. Zur Eröffnung der Saison 2014/2015 hatte gestern, 18.September, die weltweit wohl berühmteste Operette, „Die Fledermaus“ von Johann Strauß, Premiere.
Olivier Tambosi ist der Regisseur dieser Neuinszenierung und Garant dafür, dass die Besucher mit spannendem Musiktheater konfrontiert werden. Wer einen kulinarischen Operettenabend erwartet, wird unbefriedigt nach Hause gehen, wer aber bereit ist, sich auf eine bissig hintergründige Interpretation einzulassen, der erlebt bei ihm immer wieder Unterhaltung auf hohem Niveau. So auch gestern Abend in Klagenfurt. Tambosi lässt die „Fledermaus“ in einem mehr oder weniger Einheitsbühnenbild (Bühne: Kaspar Zwimpfer) spielen; eine verspiegelte Scheibe hängt schräg von der Decke und verdoppelt so das Geschehen; die Licht- und Bühnentechniker und auch die Drehbühne des Hauses dürfen ihr Können voll zeigen; Auftritte und Abgänge erfolgen immer wieder über den Zuschauerraum.
Es ist eine kleinbürgerliche Idylle mit Gartenzwergen und 70er-Jahre Möblierung, in der der 1. Akt spielt. Das Fest beim Prinzen Orlofsky ist kein großartiger Ball, sondern eine Kostümparty (Kostüme: Carla Caminati), die durch Sadomasospielchen aufgemuntert wird. Und auch die muffige Amtsstube des Gefängnisdirektors sucht man vergeblich; zweckmäßig und einfach ist die Einrichtung und Frosch, der seinen (zu langatmigen) Auftritt aus dem Parkett hat, muss auf der jetzt umgedrehten Scheibe auch durchaus akrobatische Einlagen geben.
Von der Vielzahl an Ideen, die Olivier Tambosi einbringt, ist der vorurteilsfreie Besucher begeistert. Da darf Adele schon einmal faul im Garten in der Sonne liegen, während Rosalinde mit der Spraydose in der Hand im Hauskleid auf Taubenjagd geht; Eisenstein genießt sein Bier in Freizeitjacke und Jogginghose und brät gemeinsam mit Dr.Falke am Gartengrill ein paar Bratwürste; dem Fürst Orlofsky ist so langweilig, dass er trotz goldener Papierkrone das ganze Fest hindurch blass bleibt; die ungarische Gräfin wird zur Domina; Falke tritt im Schlussbild als Batman auf. Es verwundert daher auch nicht, dass die Dialoge häufig ungewohnt klingen und altbekannte Witzchen fehlen. Quasi als work-in-progress hat das gesamte Team den Text von Carl Haffner und Richard Genée adaptiert und in eine zeitgemäße Form gebracht: witzig, spritzig, voll kleiner Spitzen und doch weitestgehend ohne Anspielungen auf Tages- und/oder Lokalpolitik (trotz der Anwesenheit lokaler Prominenz).
Die musikalische Leitung des durchaus vergnüglichen Abends lag in den Händen von Alexander Soddy, seit der letzten Saison Chefdirigent des Hauses. Nicht nur, dass er überaus sängerfreundlich dirigiert, führt er das Kärntner Sinfonieorchester zu einem nuancenreichen und differenzierten Klangteppich. Eine Spitzenpaarung konnte für das Ehepaar Eisenstein engagiert werden: Christiane Boesiger und Jörg Schneider, beide an diesem Abend in stimmlicher Bestform. Christiane Boesiger singt und spielt diese Rosalinde mit höchstem stimmlichen und körperlichen Einsatz; man weiß nicht, soll man eher auf die Stimme oder auf das Spiel achten, der jeweils andere Teil ginge verloren. Ein Höhepunkt des Abends ist ihre ungarische Gräfin mit dem Csárdás als Krönung. Dass Jörg Schneider in der traditionellen Inszenierung der Volksoper ein guter Eisenstein ist, ist bekannt. Wie gut er sich in das unkonventionelle Konzept dieser Inszenierung eingefügt hat, hat die Erwartungen noch übertroffen: ein schlitzohriger Charmeur mit voller Stimme blendender Höhe. Den Lebemann nimmt man ihm jederzeit ab. Mit Spitzentönen nicht zu geizen brauchte auch Ilker Arcayürek als etwas schmieriger Alfred. Bei ihm bedauerte ich, dass die obligaten tenoralen Einlagen im Gefängnis lediglich eingeschränkt erklingen durften. Eine Luxusbesetzung für den Gefängnisdirektor Frank ist der unverwüstliche Allan Evans, der als Einlage beim Fest des Fürsten in einem herrlichen Kauderwelsch aus deutsch und englisch den legendären Bundesbahnblues sang. Katerina Hebelkova, nach Jahren in Linz jetzt in Klagenfurt engagiert, bot einen stimmlich ansprechenden Orlofsky; Stefan Zankl gefiel stimmlich wie typmäßig als Dr.Falke; Thomas Tischler in der Rolle des Dr. Blind bewies, dass Mitglieder des Chores (Choreinstudierung: Günter Wallner) auch die Qualität für Solorollen aufweisen. Die Adele von Teresa Sedlmair war in Spiel und Ausdruck ein herrliches Biest, lies stimmlich aber den einen oder anderen Wunsch offen; ihre Schwester Ida war bei Anja Rudolf in guten Händen. Der Frosch ist eine Abräumpartie für jeden Komiker. Karl Sibelius, ab 2015 Intendant in Trier, begann als randalierender Zuschauer, ehe er aus dem Parkett auf die Bühne und weiter in luftige Höhen wechselte. Dass der Gefängnisdiener aber nicht unbedingt der „besoffene Trottel“ der meisten Inszenierungen sein muss, sondern auch eine durchaus ernsthafte Rolle ist, bewies er überzeugend.
Beim Publikum kam diese „Fledermaus“ zwiespältig an – kein großer Jubel, aber auch kein wirklicher Misserfolg. Mir hat der Abend gefallen, aber ich bin auch offen für unkonventionelle Ideen (wenn sie sinnvoll sind – und das waren sie in dieser Inszenierung)
Michael Koling