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KIEL: SCHACHNOVELLE von Christobal Halffter

06.06.2013 | Allgemein, KRITIKEN, Oper

Uraufführung an der Oper Kiel: „Schachnovelle“ von Cristóbal Halffter (Vorstellung: 6. 6. 2013)


Die Schachpartie auf dem Schiff zwischen dem Schach-Weltmeister (Tomohiro Takada) und Dr. Berger, von Jörg Sabrowski dargestellt (Foto: Olaf Struck)

 Die spanische Musikerfamilie Halffter – sie ist deutscher Herkunft – ist in unseren Breiten als Opernkomponisten ziemlich unbekannt. Rodolfo Halffter (1900 – 1987) schrieb die Oper „Clavileño“, sein Bruder Ernesto (1905 – 1989) vollendete die Oper „Atlántida“ seines Lehrers und Freundes de Falla und deren Neffe Cristóbal (geb. 1930 in Madrid) schrieb bisher drei Opern, die alle an der Oper Kiel zur Aufführung kamen: „Don Quijote“ im Jahr 2006, „Lazarus“ 2008 als Uraufführung und nun die „Schachnovelle“ nach der gleichnamigen Novelle von Stefan Zweig, die mit Unterstützung der Ernst von Siemens-Musikstiftung als Auftragswerk entstand.

 Die Handlung der Oper in acht Szenen, deren Libretto Wolfgang Haendeler, der frühere Chefdramaturg der Oper Kiel, verfasste: Als Dr. Berger in Wien in nationalsozialistischer Isolationshaft sitzt, gerät er zufällig an ein Buch über Schach. Um seine geistigen Widerstandskräfte zu bewahren, spielt er die im Buch veröffentlichten Meisterpartien nach – ohne Brett und Schachfiguren. Schließlich spielt er gegen sich selbst. Das Schachspielen wird für ihn zur Sucht und spaltet sein Bewusstsein. Durch seine Unzurechnungsfähigkeit wird er für die Nationalsozialisten wertlos und aus der Haft entlassen. – Nach Kriegsende trifft Dr. Berger auf dem Passagierschiff „Santa Maria“ durch Zufall den amtierenden Schach-Weltmeister Mirko Czentovic aus Bulgarien, der gegen Bezahlung Schach spielt, unter anderem simultan gegen mehrere Passagiere, unter denen sich auch der Schotte Scott McConnor befindet, der sich an dem Gedanken berauscht, gegen den amtierenden Weltmeister spielen zu können. Als er verliert, erkauft er sich eine Revanche, bei der er mit Hilfe von Dr. Berger ein Remis erreicht. Czentovic will hierauf gegen Dr. Berger spielen, besteht aber auf eine Partie mit Uhr. Während des Spiels, das auch seine mitgereiste Krankenschwester nicht verhinder kann, wird Dr. Berger von seinen Erinnerungen eingeholt. Er hört Stimmen, die ihn an die Gestapohaft erinnern. Trotzdem findet er in die Realität zurück und setzt seinen Gegner matt – allerdings kam der letzte Zug zu spät, seine Zeit war abgelaufen. Obwohl Dr. Berger damit das Spiel verloren hat, fühlt er, dass er Wichtigeres gewonnen hat. Er kehrt nach Wien zurück, um dort am Aufbau einer neuen, besseren Welt mitzuarbeiten.

 Daniel Karasek, der Intendant des Opernhauses, inszenierte das Werk sehr realistisch, wobei er von Norbert Ziermann, der mit nur wenigen Requisiten ein nüchternes, aber praktikables Bühnenbild schuf, und von Claudia Spielmann, deren Kostüme die Zeit der nationalsozialistischen Ära widerspiegelten, kongenial unterstützt wurde. Auffallend die gute Personenführung dieser gelungenen Produktion, die auch musikalisch keineswegs das Publikum „verstörte“, wie es hin und wieder bei modernem Musiktheater passiert.

 Die Partitur des Komponisten war zeitweise von atonalen Tönen geprägt, die aber das Geschehen auf der Bühne stets musikalisch trefflich zu illustrieren verstand. Hiezu zwei Zitate aus einem Gespräch mit Cristóbal Halffter, das im informativ gestalteten Programmheft abgedruckt ist. Auf die Frage, wer ihn von den Musikern der Moderne beeinflusst hat, antwortete Halffter: „Im Bezug auf die tonale Musik: Strawinsky und Bartok. Ansonsten hatten Schönberg, Webern und Alban Berg Einfluss auf mich – in dieser Reihenfolge.“ Und auf die Frage, wie das Publikum zu seinen Kompositionen steht, antwortete er: „Zu Beginn der 60er Jahre war das Publikum sehr gegen Neue Musik, aber langsam wurde sie akzeptiert. Vor einem Jahr machte man für mich diese »Carta blanca«, das Nationalorchester führte 12 Konzerte mit meiner Musik auf, das Publikum reagierte mit Beifall. Vor 30 Jahren wäre das sicherlich nicht so gewesen, aber heute ist es möglich.“Auch in Kiel, wo das Publikum am Schluss der Vorstellung mit lang anhaltendem Beifall reagierte.

 Star des Abends war unbestritten der Bariton Jörg Sabrowski, der als Dr. Berger sowohl stimmlich wie schauspielerisch eine Meisterleistung bot. Nicht nur, dass er fast die gesamte Dauer der Aufführung auf der Bühne zu stehen hatte, spielte er seine Rolle auch mit bewundernswertem Einsatz. Besonders eindrucksvoll gelang es ihm, den Fanatismus als Schachspieler während seiner Isolationshaft darzustellen. Exzellent gespielt die Szenen, in denen ihn Wahnvorstellungen plagen. Seine Wortdeutlichkeit ist gleichfalls zu würdigen.

Der Countertenor Michael Hofmeister als Gestapo-Offizier hatte stimmlich die schwierigste Aufgabe, musste er doch in höchsten Tönen singen, die auch für die Ohren der Zuschauer quälende Passagen enthielten. In der Darstellung des Nazioffiziers schien er zeitweise wie eine Goebbels-Karikatur. Der japanische Bariton Tomohiro Takada als Schach-Weltmeister Czentovic spielte seine Rolle emotionslos und nüchtern, sein Mienenspiel hielt sich in Grenzen. Die Sopranistin Heike Wittlieb gab die um Dr. Berger rührend besorgte Krankenschwester, der Tenor Michael Müller den emotionsgeladenen, aber sympathischen schottischen Schachspieler Scott McConnor.

 Auch die vielen kleinen Rollen waren adäquat besetzt und hatten ihren Anteil an der gelungenen Produktion dieser Uraufführung. Stimmkräftig der von Barbara Kler einstudierte Opernchor, der unter anderem die „Schachgeister“ darstellte. Das Philharmonische Orchester Kiel wurde von Gerd Herklotz geleitet, der sängerfreundlich dirigierte und erst beim Orchester-Zwischenspiel „In tempore belli“ die Lautstärke auf „kriegerische“ Töne steigerte.

Das Publikum im nicht ausverkauften, aber gut besuchten Opernhaus honorierte die Leistungen aller Mitwirkenden mit lang anhaltendem Beifall, der bei Jörg Sabrowski an Phonstärke deutlich zunahm. Ihm galten auch vereinzelte Bravorufe.

 Udo Pacolt, Wien

 

 

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