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KARLSRUHE: WALLENBERG von Erkki Sven Tüür

14.07.2012 | Allgemein, KRITIKEN, Oper

Politisches Operndrama in Karlsruhe: „Wallenberg“ von Erkki-Sven Tüür (Vorstellung: 13. 7. 2012)


Wallenberg (Tobias Schabel) im fiktiven Gespräch mit Adolf Eichmann, gespielt von Renatus Meszar (Foto: Jochen Klenk)

Am Badischen Staatstheater Karlsruhe wird zurzeit die Oper „Wallenberg“ des estnischen Komponisten Erkki-Sven Tüür nach einem Libretto von Lutz Hübner gezeigt, die im Jahr 2001 in Dortmund uraufgeführt wurde.

Das Werk thematisiert das hochpolitische Drama um den schwedischen Diplomaten Raoul Wallenberg, der im Juli 1944 nach Budapest gesandt wird, um Schutzpässe für ungarische Juden auszustellen, die von Deportation durch die Nazis bedroht sind. Unter Einsatz seines Lebens gelingt es ihm innerhalb eines knappen Jahres, etwa 100 000 Menschen die rettenden Papiere auszugeben. War die Vergabe der Pässe anfangs von einem Kontakt zum schwedischen Mutterland abhängig, stellte der Diplomat später eigenmächtig allen Juden einen Schutzpass aus, um so viele Menschen wie möglich vor der Vernichtungsmaschinerie der Nazis zu retten. Nach Einmarsch der Roten Armee in Budapest am 17. Jänner 1945 wird Wallenberg vom sowjetischen Geheimdienst verhaftet. Aus der Sicht der Russen ist er mehrfach verdächtig, verkehrte er doch als Diplomat in den höchsten westlichen Regierungskreisen. Außerdem hatte er in den USA studiert und seine Rettungsaktion wurde mit amerikanischem Geld finanziert. Nachdem er ins Moskauer Lubjanska-Gefängnis gebracht wird, verliert sich seine Spur bis zum heutigen Tag.

Im ersten Teil der Oper werden die Taten Wallenbergs in Budapest beschrieben, wobei es auch zu einer fiktiven Zusammenkunft mit seinem „Gegenpart“ Adolf Eichmann kommt. Der zweite Teil schildert die Zeit nach Wallenbergs Verhaftung in Russland, die grausamen Verhöre und schließlich, wie sein Name zum Mythos wird: Der Held Wallenberg spaltet sich vom realen Menschen ab und wird vom US-Präsidenten Ronald Reagan zum Ehrenbürger der Vereinigten Staaten ernannt.

Tobias Kratzer inszenierte das politische Drama, das Wallenbergs Leben in 19 kurzen Szenen illustriert, auf satirische Art und Weise, indem er den bösen Nazis Schweinemasken aufsetzt und das diplomatische Corps als drei Frauen im Bunny-Kostüm über die Bühne trippeln lässt. Am Schluss zeigt er den US-Präsidenten mit Cowboyhut und Rinderhörnern. Dennoch gelang es dem Regisseur, eine packende und oft beklemmende Atmosphäre auf der Bühne zu schaffen, die dem tragischen Helden Wallenberg gerecht wird.

Dazu ein Zitat des Regisseurs aus einem im gut illustrierten Programmheft abgedruckten Artikel zur Inszenierung: „In Budapest gibt es ein Wallenberg-Denkmal, das einen Helden zeigt, der eine Schlange niederringt – wie der Hl. Georg den Drachen. Das hat eine fast naive Symbolik, die mit der Klarheit der Szenen in der Oper viel zu tun hat. Das war einer unserer Ausgangspunkte. Eine andere Anregung boten meinem Ausstatter Rainer Sellmaier und mir Arbeiten von Art Spiegelman – er bekam gerade den Siegfried-Unseld-Preis. Er hat die eigentlich unvorstellbare Geschichte seines Vaters, der Auschwitz überlebt hat, in seiner Graphic Novel Maus als Comic erzählt. Die Juden sind als Mäuse gezeichnet, die Deutschen als Katzen. Durch die Tierfabel wird das aber nicht veralbert oder verharmlost, sondern bekommt sogar eine besondere Eindringlichkeit.“

Das einheitliche Bühnenbild zeigt neben Aktenschränken eine hölzerne Pritsche und einen Bretterverschlag, der des Öfteren als Gefängnis dient, und im letzten Bild pompös das Budapester Wallenberg-Denkmal in Gold. Die zeitgemäßen Kostüme sind gleichfalls von Rainer Sellmaier entworfen, für die Lichtregie zeichnet Rico Gerstner verantwortlich.

Für die Titelrolle wurde der Bass Tobias Schabel als Gast verpflichtet, der sowohl stimmlich wie schauspielerisch eine Glanzleistung bot. Erschütternd, wie er die Zeitnot, in der er sich bei seiner missionarischen Rettungsaktion befindet, beeindruckend darstellt, wobei er mit Selbstvorwürfen kämpft: „Nicht genug. Ich tue nicht genug!“ Seinen Gegenpart Adolf Eichmann spielte der Basssänger Renatus Meszar – gleichfalls als Gast – nicht minder eindrucksvoll, der zynisch Wallenberg die Grenzen seiner Möglichkeiten vor Augen führt.

Die Rolle „Wallenberg zwei“, die den Mythos des tragischen Helden symbolisiert, war mit dem Tenor Matthias Wohlbrecht besetzt, dem es gut gelang, die extrem hohen Phrasen zwischen Pop und Pathos ausdrucksstark zu vermitteln. Die drei Diplomaten, die im Bunny-Kostüm aufzutreten hatten, wurden von der Sopranistin Tiny Peters und von den beiden Mezzosopranistinnen Christina Bock und Sarah Alexandra Hudarew mit großer Selbstironie dargestellt. Der Bariton Edward Gauntt, schon durch seine enorme Größe eine Bühnenerscheinung, spielte sowohl den US-Präsidenten Ronald Reagan wie auch einen deutschen Offizier.

Aus dem großen Ensemble, das durchwegs rollengerecht besetzt war, sind noch die Mezzosopranistin Stefanie Schaefer als Erste Überlebende, die Sopranistin Ina Schlingensiepen und die Altistin Rebecca Raffell in den Rollen „Die Frau“ und „Eine Dame“ sowie als russische Offiziere die beiden Tenöre Doru Cepreaga und Johannes Eidloth zu nennen. Besonders eindrucksvoll agierte der Badische Staatsopernchor (Einstudierung: Ulrich Wagner) beim Todesmarsch, als er stimmgewaltig einen Text aus dem Alten Testament deklamierte.

Die sehr expressive Musik des Komponisten, der vor Jahren das kammermusikalische Rockensemble In Spe gegründet hatte, ist vor allem von einem eindrucksvollen Schlagzeugpart geprägt. Der Badischen Staatskapelle gelang es unter der behutsamen Leitung von Johannes Willig, diese Klangskulpturen, wie die Partitur Tüürs im Programmheft genannt wird, exzellent wiederzugeben.

Das von der beklemmenden Handlung beeindruckte Publikum feierte am Schluss mit vielen Bravorufen vor allem Tobias Schabel als Wallenberg-Darsteller sowie das Orchester und seinen Dirigenten.

Udo Pacolt, Wien – München

 

 

 

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