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JESI/ Pergolesi/Spontini-Festival/Teatro Pergolesi: LA FUGA IN MASCHERA von G. Spontini

15.09.2012 | Allgemein, KRITIKEN, Oper

JESI (Pergolesi-Spontini Festival/Teatro Pergolesi): LA FUGA IN MASCHERA von GASPARE SPONTINI am 2.September 2012


Foto: Teatro Pergolesi/ Jesi

Komponisten sind ja nicht unbedingt die besten Einschätzer ihrer eigenen Werke. So bezeichnete Gaspare Spontini seine frühen opere buffe verächtlich als „Spielzeug“
Nun ist vor 2006 bei einem englischen Antiquar die Partitur zu der buffa „LA FUGA IN MASCHERA“ (uraufgeführt 1800 anlässlich des Carnevals in Neapel) aufgetaucht, die jetzt beim Pergolesi Spontini Festival in Jesi (Spontini stammt aus dem Nachbarort Maiolati) nach 212 Jahren zum ersten Mal wieder das Licht einer Bühne erblickt hat. Also, wenn das ein „Spielzeug“ sein soll, dann ist es ein hochraffiniertes, hochkomplexes, hochkultiviertes…. Und man möchte seinem Urherber zurufen:Verehrter Herr Kammerkomponist, verehrter Herr Generalmusikdirektor, verehrter Schöpfer erhabener tragisch-lyrischer Opern, diesbezüglich hatten Sie Gott sei Dank volllkommen unrecht: ihre sogenannte“Jugendsünde“ FUGA ist ein absolutes Meisterwerk.

Es fängt schon beim Libretto an. Zwar sind alle altbekannten Bestandteile der typischen napolitanischen buffa vorhanden (zwei höhere Töchter sollen verheiratet werden, aber…etc etc.), Giuseppe Palomba remixt sie jedoch auf höchst gelahrte, sprachspielerische und auch anzügliche Weise, dass am Ende eine nahezu ultimative Selbstpersiflage des gesamten Genres herauskommt.

Und Spontini bedient diese Meta-Ebene mit erkennbarer Lust und Leidenschaft dank des ihm zur Verfügung stehenden Könnens und auch seiner seria-Erfahrung kongenialst. So gibt es jede Menge exquisiter prärossinianischer (für eine buffa in diesem Ausmass äußerst ungewöhnlichen) concertati, hochromantische Arien für  einen ausgewiesenen Hochstapler und Betrüger (ein Tenor!), den plötzlichen Einsatz einer Harfe mitten im grössten komischen Trubel, das  theatralische „Mitspielen“ einzelner Instrumente (Oboe, Fagott, Horn, Klarinette) auf der Bühne, ein Kampfduett der zwei Primadonnen mittels mörderischer Koloraturen(vergleichbar nur der Szene Lucy  -Polly in der Dreigroschenoper) etc.etc.

Totale Experten, totale Auskenner in Kunst-, Literatur-, Musik-und Operngeschichte machen sich dank ihres Insider-Wissens einen anspielungsreichsten Super-Carnevalspass. Man wird bis Rossinis „Viaggio a Reims“ warten müssen, bis man so einem gelungen Exemplar der extrem autoreferentiellen Parodie wieder begegnet.

Foto: Teatro Pergolesi/ Jesi
Regisseur Leo Moscato (in diesem Sommer leider negativ aufgefallen durch seine oberflächliche Bohème-Modernisierung in Macerata – siehe Der neue Merker vom 4.8. ) ist hier offenbar in seinem Element. Er verstärkt  den Parodieironiepersiflagefarcecharakter der „Fuga“ noch, in dem er das Ganze als grell-bunt überzeichnetes Comix-Spektakel ablaufen lässt.Und zwar, was das Schönste dabei ist, mit einer (auch im Untersched zu seiner Bohème) in jedem Moment, in jedem Schritt, in jeder Geste, in jeder Mimik unwahrscheinlichen Musikalität. Das mag auch daran liegen , dass ihm hier keine zu spät anreisenden Diven, sondern ein gesanglich und darstellerisch homogenes, voll motiviertes und voll überzeugtes jugendliches Ensemble zur Verfügung stand.

Man kann einfach nur alle nennen: Filippo Morace als wunderbar unentschlossenen, permanent hin-und hergerissenen vollverwaschlappten Vater Marzucco, Ruth Rosique als das seinem „Pinsel entflossene“ kokett-bebrilltes Tochter-Luder Elena, Catreina di Tonna als ihre übergewichtige, nichtsdestotrotz liebestolle Rivalin Olimpia, Clemente Daliotti als heiratsunwilliger Hippie-Gärtner-Liebhaber Nardullo, Dionigi d’Ostuni als Lügner, Dieb und intrigantes falsches-Doktor-Arschloch Doralbo, Alessandra Marianelli als die sich den alten Marzucco-krallen-wollende Scharlatanin (mit einem an Mozarts Mesmer-Szene erinnernden Geisterbeschwörungsauftritt)…Und nicht zu vergessen: die hinreissenden Slapstick-Komiker Andrea Bartola, Andrea Camini, Simone Luglio und Dho Rufin.
 Sogar Corrado Rovaris,bei dessen Artaserse-Dirigat in Martina Franca man heuer fast eingeschlafen wäre (siehe Der Neue Merker vom 27.7 ), sorgt mit den Virtuosi für ein witzig-spritziges Abschnurren des hochkomplizierten musikalischen Mechanismus.
A Wunda !

In Jesi wurde dieses taufrisch wirkende 212 Jahre alte Knall-Bonbon nur zweimal gegeben.Aber – jetzt kommt die gute Nachricht ! : LA FUGA  wird vom 10.- 17.Februar am Teatro a Corte in Neapel (dem San Carlo angegliedert) für eine weitere Aufführungsserie wieder aufgenommen werden.

Also jetzt schon Flug buchen bzw.ihren nächstgelegenen Operndirektor davon überzeugen, diesen verblüffenden und unterhaltsamen Fund auf den Spielplan zu setzen !

Robert Quitta, Jesi

 

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