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IVAN ALEXANDRE, der Regisseur der Gluckschen ARMIDE, im Gespräch

Der Regisseur IVAN ALEXANDRE mit der Armide der jüngsten Produktion Gaelle Arquez

Der Regisseur IVAN ALEXANDRE mit der Armide der jüngsten Produktion Gaelle Arquez

Ein Gespräch mit dem Regisseur
Ivan Alexandre

Peter Skorepa führte gemeinsam mit Ella Galliena das Gespräch mit dem Regisseur der aktuellen Premiere von Glucks ARMIDE an der Wiener Staatsoper

 

MERKEROnline: Wie kam es zur Zusammenarbeit mit der Wiener Staatsoper?

Ivan Alexandre: Ich kam vor ungefähr zwei Jahren mit Dominique Meyer ins Gespräch, wir überlegten gemeinsam in Wien eine Barockoper zu machen. Anfangs hatten wir „Les Indes Galantes“ von Rameau angedacht, weil ich schon Rameau inszeniert hatte … Ich beriet mich also mit Marc Minkowski, wir sprachen über „Platée“ …. und irgendwann landeten wir dann bei „Armide“. Das ist nicht nur ein Werk, das ich sehr gut kenne, sondern auch ein Werk, das Marc seit langem fördert, denn als das Operntheater von Versailles 1992 wiedereröffnet wurde, wählte Marc „Armide“ für die Eröffnung aus. Glucks Version ist ja seltsamerweise nicht so bekannt wie jene Lullys, auch in der Reihe seiner eigenen Werke steht die Oper im Schatten von anderen populäreren Werken wie beispielsweise „Orphée et Euridyce.“

Woran liegt das nach ihrer Meinung?

Das ist tatsächlich seltsam, denn die Oper ist ein Meisterwerk. Ich glaube das Problem ist, dass es keinen „Hit“, keine bekannte Arie daraus gibt. Bei Massenet ist es dasselbe: Warum zeigen alle „Manon“, aber niemand „Cendrillon“, wo doch diese Oper wirklich großartig ist? Weil meiner Meinung nach in dieser keine „Konzertarien“ enthalten sind.

Ungerechterweise sind noch immer die Werke Glucks als langweilig abqualifiziert. (Etwa: „Gluck ist ein fader Mozart“) Wie ist da ihre Entgegnung aus der Sicht eines Regisseurs?

Gluck hat leider keine so gute Reputation, er hat ein wenig das „Pech“, Mozarts Zeitgenosse zu sein. Ich vergleiche nicht gerne Komponisten, aber als Mozart in München Idomeneo gemacht hat – und das ist durch den Briefwechsel mit seinem Vater gut dokumentiert – merkte er, dass darin etwas nicht funktionierte. Ich glaube, dass Mozart durch seine musikalische Sprache, die ja stark von der opera buffa beeinflusst war und die ihm ja auch am meisten Freude bereitete – dass diese Sprache aber nicht unbedingt mit der Tragödie kompatibel ist. Natürlich hätte sich das vielleicht noch entwickelt und wer weiß schon, was geschehen wäre, hätte Mozart länger gelebt. Aber diese Diskrepanz, die bei Mozart in seinen tragischen Opern zu spüren ist, ist bei Gluck nicht vorhanden. Glucks musikalische Sprache ist weitaus weniger raffiniert, er trägt viel „dicker“ auf, aber sie eignet sich viel besser für die Tragödie. Für mich sind das zwei Welten: das Opernwerk Mozarts zählt für mich mehrheitlich zu den Meisterwerken der Komödie, während Gluck für mich ein Meister der Tragödie ist.

Glucks Werk hat eine Qualität, die später auch Beethoven und Berlioz begeistert hat: diese effiziente Einfachheit seiner musikalischen Lösungen. Darin liegt eine große Kraft. Nehmen wir beispielsweise die letzte Szene aus „Armide“: die ist von einer Schlichtheit, die mich unglaublich berührt. In dieser absichtlichen Reduzierung der Mittel steckt schon ein Vorgriff auf die „arte povera“ der 1960er. Nach all den Jahren gibt es nur mehr eine Handvoll von Opern, die mich derart beeindrucken und bei der Finalszene in „Armide“ kommen mir selbst nach all der Zeit immer noch die Tränen.

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Welche Rolle spielt das Libretto von Quinault für sie?

Dieses Libretto gehört zu jenen raren Fällen, in denen sich Komponist und Poet auf Augenhöhe bewegen – wie wir es auch bei den Paarungen Mozart-Da Ponte oder Strauss-Hofmannsthal kennen. Im Fall von Lully-Quinault war das ebenso eine perfekte Symbiose. Der Text hat eine enorme poetische Qualität, das ist fast als würde man Racine vertonen … eine unglaubliche Klarheit in der Erzählung, die keine Nebenfiguren braucht. Armide ist eine echte „One-Woman“ Show, vergleichbar mit dem Monolog der Molly Bloom oder der „Elektra“ … fast eine Art von Superheldin.

In dem sie den Intentionen Tassos folgen, kreieren sie einen Rollentypus neu: Ein Sopran, in diesem Fall die Sängerin der Armida, diese spielt einen jungen Mann, der verkleidet und als wunderschön erscheinende Frau, den Heerführer der Christen und dessen Soldaten zu verwirren versucht. Wie kam es zu dieser Interpretation?

Diese Umstände sind mir aufgefallen, noch lange bevor ich wusste, dass ich eines Tages diese Oper inszenieren würde. Es war einfach so, dass die Figur der Armide für mich nicht wirklich Sinn ergab … es war ein unklares Bild. Sie wird als Zauberin beschrieben, aber es wird nicht wirklich erkenntlich, worin ihr Zauber besteht … das wird nie erklärt! Und irgendwie wollte sich diese „Armide“ in meinem Kopf zu keinem vollständigen Charakter zusammensetzen. Ich konnte das Gefühl nicht loswerden, dass es diese Figur gar nicht wirklich gibt.

Als ich dann nochmal jenes, dem Ganzen zugrundeliegende Werk von Torquato Tasso las (Anm.: „La Gerusalemme liberata“) auf das sich ja Quinault bezog, fand ich dort meine Vermutung nur bestätigt. Eine der Figuren in dem Epos sagt beispielsweise zu ihr „Oh du Frau, oder was auch immer für ein Zauberwesen du bist.“ Sie ist angeblich eine orientalische Prinzessin, wird aber als blondhaarig, mit heller Haut und blauen Augen beschrieben – eigentlich wie maßgeschneidert als Köder für die christlichen Kreuzritter. Tasso beschreibt auch immer ihre Stärke und meint einmal, ihr Herz „sei das Herz eines Mannes“. Und dann gibt es noch den Gürtel, den sie nie ablegt … es sind so viele Details, die mich nach und nach davon überzeugt haben, dass es keine Frau sein kann.

Außerdem ist es undenkbar, dass ein muslimisches Heer zu dieser Zeit tatsächlich Frauen im Kampf eingesetzt hätte. Und dann gab es eine lange Tradition, dass Männer sich zu Spionagezwecken als Frau verkleiden und so Information über den Gegner sammeln.

Für mich lag in dieser Interpretation die Erklärung warum Liebe zwischen Armide und Renaud unmöglich ist. Sonst würden die beiden doch einfach gemeinsam abhauen. Oder nicht? Es gibt ja im Grunde für die beiden kein äußeres Hindernis. Aber die Tatsache, dass sie ein Mann ist, sie also „nicht sie selbst“, macht diese Liebe unmöglich.

In diesem Sinne kann man Armide“ als Geschichte einer Adoleszenz sehen, einer letzten Verwirrung bevor sie/er „zum Mann wird“. Es ist ein wenig „Octavian“ in ihr, man spielt mit der Ambiguität dieses Alters – irgendwann muss man aufhören zu spielen, die Möglichkeit „alles“ zu sein – eben auch eine Frau – verschwindet, man wird „erwachsen.“ Deshalb kommt in meiner Inszenierung auch ein Kind im 5.Akt vor, das in zwei Minuten diesen Verlust dieser kindlichen Unschuld und Vorstellungskraft erzählt.

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Das heißt Armide ist für sie die Geschichte eines „Initationsritus“ der einen Jugendlichen zum Mann werden lässt?

Ganz genau. Für mich wird Armide 30 Sekunden nach Ende der Oper zum Bariton (lacht). Andere werden ihre Arbeit weiterführen, aber sie/er hat mit dem Kapitel abgeschlossen.

Es handelt sich also hier um eine Figur die nicht durch den Krieg sondern durch die Liebe erwachsen werden musste?

Ja, ich glaube, dass die Einsamkeit einer ersten Liebeserfahrung und die Verzweiflung einer unglücklichen Liebe weitaus gewaltiger sind als jede Schlacht.

In welchen Bezug stehen die anderen Figuren der Oper zur Hauptfigur?

Es gibt bei Tasso einen Hinweis, nämlich, als Armide Renaud zum ersten Mal erblickt, da vermerkt der Dichter: „Sie beugte sich über ihn wie Narziss über den Teich.“ Warum erklärt Tasso hier, dass Renaud im Grunde wie Armide ist ? Für mich bedeutet das, dass alle Figuren – wie etwa der Hass oder Renaud – Teile der Persönlichkeit Armides sind, denen sie/er sich stellen muss.  Diese Oper gleicht einer Echographie ihres Herzens, ihrer Gefühle. Es ist pure Psychologie, jedoch ohne Psychologismus, ohne Sentimentalität.

 Sie arbeiten weitestgehend mit dem Dirigenten Mark Minkowski zusammen. Was zeichnet diese Zusammenarbeit für Sie aus, was bedeutet das für Ihre Arbeit?

Marc und ich kennen einander seit über 30 Jahren … ich habe seit den 80ern bei verschiedensten Projekten mit ihm zusammengearbeitet, vor allem als Dramaturg … meine ersten Inszenierungen habe ich allein gemacht, aber wir haben dann immer wieder die Gelegenheit gesucht und geschaffen, um zusammenzuarbeiten. Wir sind also in einem ständigen Dialog und haben großes Vertrauen zueinander. Im Fall von „Armide“ hatten wir beide die gleichen Vorstellungen, was die Sänger angeht und dass wir dann tatsächlich Gaelle Arquez und Stanislas de Barbeyrac für diese Produktion gewinnen konnten war wie ein Weihnachtsgeschenk … Es gibt in Frankreich zur Zeit eine neue aufregende junge Sängergeneration, die wirklich großartige lyrische Stimmen haben und die beiden gehören dazu.

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Sie haben für diese „Armide“ auch eine Choreographin, Jean Renshaw, mit an Bord geholt …

Bei einer Oper wie „Armide“ stellt sich natürlich immer die Frage, wie man mit den Balletteinlagen umgeht. Man kann den Tanz natürlich als Theater inszenieren, in anderen Inszenierungen von Gluck habe ich das auch so gemacht … und in diesem Fall fände ich es schade, diese zweite Dimension auszusparen. Eine Form der tragedie lyrique ist nun einmal der Tanz und das gibt der Geschichte erst ein Relief.

Ich habe Jean Renshaw eingeladen, die nicht als Choreographin, sondern mittlerweile hauptsächlich selbst als Regisseurin tätig ist, nachdem ich eine ihrer Arbeiten für die Kammeroper hier in Wien gesehen habe und sie gefragt, ob sie mit mir bei „Armide“ zusammenarbeiten möchte.

Das Ergebnis einer Zusammenarbeit mit einer Choreographin ist nicht sofort evident und es ist viel schwieriger, bestimmte Dinge zu diskutieren oder vorher etwas festzulegen, weil das Ergebnis doch noch lange sehr abstrakt bleibt. Vor allem, weil sich in unserer Inszenierung die Narrative wirklich kreuzen … aber ich mag auch sehr, dass man mir eine andere Sicht- und Arbeitsweise vorschlägt und sich diese mit meiner verschränkt, ihre Choreographie und meine Inszenierung gehen also Hand in Hand.

Wie kann man sich ihren Arbeitsprozess vorstellen?

Ich habe ein Problem: alle Werke die ich bis jetzt inszeniert habe kenne ich bereits seit Jahren auswendig, lange bevor ich daran dachte darüber zu arbeiten. Das heißt es passiert wirklich oft, dass ich ohne Partitur, ohne Libretto in die Vorbereitung gehe … einfach, weil alles in meinem Kopf ist. Und als Marc Minkowski vor 20 Jahren Armide aufgenommen hat, war ich sein Dramaturg, ich kenne das Stück also sehr gut. Ansonsten schaue ich mir eigentlich keine anderen Aufzeichnungen oder Inszenierungen an, selbst den Text nicht, sondern arbeite nur mit der Partitur.

Wie sehen Sie die Kunstform Oper in zwanzig oder dreißig Jahren, wird dann alles schon gestreamt werden, läuft das Operngeschehen im Wohnzimmer ab? Kann die Kunstform Oper überleben in den teuren Musiktempeln?

In Wien wird die Oper immer ihren Platz haben, aber in Frankreich schaut es da schon trauriger aus. Die Oper ist tatsächlich in Gefahr, aber das ist keine Frage des Vertriebs: es ist schlicht und einfach so, dass wir neue Opern brauchen … wir brauchen mehr neue Kompositionen! In der Geschichte der Kunst ist es noch nie vorgekommen, dass in einer Gattung lange so wenig Neues nachgekommen ist … die aktuellste französische Oper, die im Repertoire gespielt wird ist Poulencs „Dialogue des Carmélites“, und die sind 60 Jahre alt!! Wir brauchen eine neue „Traviata“ … und ein Publikum, dass diese einfordert!


Das Gespräch fand am 12.10.2016 in den Räumen der Wiener Staatsoper statt, Gestaltung Peter Skorepa, Gesprächsführung Ella Gallieni.  Fotos: WSO – Michael Pöhn und Peter Skorepa

 

 

 

 

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