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INNSBRUCK/ Festwochen der Alten Musik: LA STELLIDAURA VENDICANTE von Francesco Provenzale

10.08.2012 | Allgemein, KRITIKEN, Oper

Innsbrucker Festwochen der Alten Musik wieder mit Opernrarität: „La Stellidaura vendicante“ von Francesco Provenzale (Vorstellung: 10. 8. 2012)


Enzo Capuano als komödiantischer, in kalabrischem Dialekt singender Diener Giampetro. (Foto: Rupert Larl)

Mit einer echten und lohnenswerten Opernausgrabung begannen heuer die Innsbrucker Festwochen der Alten Musik, die bis 26. August dauern: „La Stellidaura vendicante“. Die dreiaktige Oper, deren Libretto Andrea Perrucci in blumiger Sprache verfasste, wurde1674 in Neapel uraufgeführt und ist eines von zwei erhaltenen Werken des Komponisten Francesco Provenzale (1626 – 1704), der als Begründer der Neapolitanischen Schule gilt. Er war zur Zeit des spanischen Vizekönigtums der musikalische Regent Neapels und bereicherte das Opernleben der Stadt nicht nur mit seinen eigenen Kompositionen, sondern auch mit Werken aus dem Opernmekka Venedig. Provenzale führte in ernste Sujets komische Figuren ein, die im neapolitanischen Dialekt sangen, wodurch er einen eigenen Theaterstil prägte und die Commedia dell’ arte in der Stadt am Vesuv heimisch machte.

Der Inhalt der Oper „La Stellidaura vendicante“ („Die Rache der Stellidaura“), die in italienischer Sprache und altkalabrischem Dialekt mit deutschen Übertiteln gesungen wurde, in Kurzfassung: Eine der komischen Dienerfiguren löst in der heißblütigen Liebesgeschichte, in der zwei Edelmänner um die schöne Stellidaura rivalisieren, allein dadurch die größten Verwicklungen aus, dass er im kalabrischen Dialekt singt. Keine der anderen Figuren, die alle italienisch singen, versteht den Diener wirklich. Und auch er selbst tut sich schwer, die Anweisungen in italienischer Sprache zu begreifen, wodurch ein Liebesgeständnis bei der falschen Person landet. Zu guter Letzt wird Stellidaura, die wegen eines Mordanschlags auf den Rivalen ihres Liebhabers zum Tod durch Gift verurteilt wurde, das Leben gerettet, da der Diener links und rechts verwechselt und das tödliche Gift mit einem harmlosen Schlafmittel vertauscht. Als der Fürst Orismondo erfährt, dass Stellidaura seine Schwester ist, steht dem Happyend nichts mehr im Weg: Komik besiegt Tragik.

François De Carpentries inszenierte die Oper, die immer wieder zwischen Tragödie und Komödie hin und her schwankt, zum Teil im Stil der Commedia dell’ arte, wobei er achtete, dass die Darsteller nie in Klamauk verfielen. Besonders kreativ war seine Lichtregie, die auch die Beleuchtung des Innenraums des Theaters umfasste. Für die Ausstattung zeichnete Karine Van Hercke verantwortlich, deren eher karges Bühnenbild – dominiert von einigen Säulen – nicht von der Handlung ablenkte. Die historisch anmutenden, schmucken Kostüme zeichneten ein barockes Ambiente.

In der Titelrolle überzeugte die amerikanische Mezzosopranistin Jennifer Rivera stimmlich wie darstellerisch. Mit Grandezza und wandlungsfähiger Stimme stellte sie die bedingungslos liebende Stellidaura dar, die für ihre Liebe auch mit „nichtweiblichen Waffen“ kämpft und im Kerker sogar zu sterben bereit ist. Besonders innig und eindrucksvoll sang sie ihre Lamento-Arie am Schluss des zweiten Akts. Ihr unerkannter Bruder Orismondo wurde vom italienischen Tenor Carlo Vincenzo Allemano mit großer Bühnenwirksamkeit dargestellt. Er spielte die Rolle des auf seinen Rivalen eifersüchtigen Fürsten von Claro sehr dominant als Machtmensch und sang seine Arien mit ausdrucksstarker Inbrunst, in der sich seine große Erfahrung mit Barockopern widerspiegelte. Seinen Gegenspieler Armidoro, Ritter am Hof und Liebhaber von Stellidaura, gab der australische Tenor Adrian Strooper mit ritterlicher Gestik und lyrisch-zarter Stimme.

Großartig agierte der italienische Bassist Enzo Capuano in der komischen Partie des im kalabrischen Dialekt singenden Dieners Giampetro. Als „Mann des Volkes“, der sich dumm stellt, aber klug genug ist, für alle Probleme eine Lösung zu finden, begeisterte er das Publikum in jeder Szene. Umwerfend seine ausdrucksstarke Mimik und sein urkomisches, augenzwinkerndes Spiel im besten Stil der Commedia dell’ arte, wobei er auch seine kräftige Bassstimme stets wirkungsvoll einzusetzen wusste, wie beispielsweise bei der köstlichen „Hungerarie“. Eine Idealbesetzung für diese schillernde Charakterrolle! Ihm fast ebenbürtig der deutsche Countertenor Hagen Matzeit (er war auch schon in Baritonrollen zu hören!) als Stellidauras Page Armillo. Er spielte seine Rolle ebenfalls komödiantisch und sang seine Partie exzellent. Als zauberhafte Wesen in stummen Rollen bereicherten die Zwillingselfen Aurélie Remy und Morgane Lambinet das Bühnengeschehen.

Die Academia Montis Regalis, die zu den führenden Originalklangensembles zählt, wurde von Alessandro De Marchi geleitet, der auch am Cembalo spielte. Der Dirigent – er ist seit dem Jahr 2010 künstlerischer Leiter der Innsbrucker Festwochen der Alten Musik – ist mit dem von ihm gegründeten Orchester stets Garant für eine hohe musikalische Qualität, die er auch bei Provenzales Werk unter Beweis stellte. Die reizvollen, oft tänzerischen Melodien der folkloristischen Partitur, bei der auch exotische Instrumente zum Einsatz kamen, wurden mit allen Facetten wiedergegeben.

Das begeisterte Publikum bejubelte am Schluss der fast vierstündigen Vorstellung alle Mitwirkenden – inklusive Regieteam – mit Bravorufen und nicht enden wollendem Applaus, wobei etwa die Hälfte der Zuschauerinnen und Zuschauer die Leistungen mit Stehenden Ovationen würdigte.

Udo Pacolt, Wien – München

 

 

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