Die Sache Makropulos – Helsinki, 31.8.2012
Wenn alle 7 Vorstellungen eines auch fast 90 Jahre nach der Uraufführung immer noch sperrigen Werks wie Janáčeks „Sache Makropulos“ ausverkauft sind, kann sich ein Opernhaus gratulieren, eine charismatische Attraktion gefunden zu haben, die diesen Ansturm auslöste. Im Falle der Neuproduktion an der Finnischen Nationaloper (Premiere am 31.8.) war es also ein Glücksfall, dass der finnische Weltstar KARITA MATTILA nicht nur für Janáčeks Opern ein spezielles Faible hat (sie trat schon als Jenufa und Katja Kabanova auf), sondern die Titelrolle in „Makropulos“ bereits in der San Francisco Oper gesungen hatte, mit der dieses Stück in Koproduktion nun den Weg nach Helsinki fand.
Um mit dem Fazit zu beginnen: Diese Premiere geriet zu einem einhelligen Erfolg für das gesamte Team. Natürlich konzentrierte sich der Jubel des enthusiasmierten Publikums auf La Mattila, doch die Verantwortlichen hatten ein ganz hervorragendes Stück-Ensemble verpflichtet, in dem die finnische Diva prima inter pares war. Dasselbe Team, das ihr 1998 bei ihrer Jenufa an der Hamburgischen Staatsoper einen „inszenatorischen roten Teppich“ bereitet hatte, war auch für die Neuproduktion in San Francisco und nun Helsinki verantwortlich, und der Erfolg Mattilas ist unzertrennbar mit der Arbeit des Regisseurs OLIVIER TAMBOSIs und des Ausstatters FRANK PHILIPP SCHLÖSSMANN verbunden: eine (wenn das Wort heute nicht verpönt wäre, würde ich sagen) im besten Wortsinn „werkgerechte“ Inszenierung, bei der sich gar nicht erst die Frage stellt, ob sie dem traditionellen oder dem „Regietheater“-Lager zuzurechnen ist. Das Stück ist nun einmal auf das Schicksal der Titelfigur fokussiert, und so steht auch Emilia Marty im Mittelpunkt einer alle Extreme auslotenden Personenführung, die von der Mattila kongenial umgesetzt wurde. Ich muss gestehen, Karita Mattilas stimmlicher Leistung gegenüber häufig Vorbehalte gehabt zu haben: In ihren Anfängen irritierte mich ihre Manie, manche Töne steif-vibratolos anzusetzen, während ich später, z. B. an ihrer Tosca, eine unergiebige Mittellage und Tiefe monierte. Doch bei ihrer Emilia Marty stimmte einfach alles, war neben der großen Ausdrucksstärke die Schönheit ihres immer noch jugendfrisch-strahlenden Materials zu bewundern, das alle Extreme vom verhauchenden Pianissimo bis zum die Orchesterfluten durchdringenden Forte makellos bewältigte. Gut, dass sie Rollen wie Ballo-Amelia oder Tosca ad acta gelegt hat, in denen sie ihre Vorzüge nie so einbringen konnte, ohne auch ihre Nachteile aufzuzeigen. Die Emilia Marty ist „ihre“ Rolle, eine – wie andere Beispiele (Anja Silja!) zeigen ¬¬- hervorragend geeignete Altersversicherung!
Die anderen Rollen waren alle wohl ausgewählt, z. T. mit Gästen aus dem Ausland (JÜRGEN MÜLLER als Albert Gregor, HUBERT FRANCIS als Vitek), mit Mitgliedern des eigenen, nur ca. 20 Köpfe starken Ensembles (HANNA RANTALA als Kristina, NINA KEITEL als Putzfrau und JUHA RIIHIMÄKI als Hauk-Šendorf) sowie anderen finnischen Gästen (JAAKKO KORTEKANGAS als Jaroslav Prus, NICHOLAS SÖDERLUND als Kolenatý und JOSKA LEHTINEN als schön-, aber etwas kleinstimmiger Janek). Kompliment an alle! Die Rollen sind zu klein, um sich gegenüber der Titelfigur profilieren zu können.
Bei einem seiner wenigen Abende als (bald scheidender) Künstlerischer Leiter stand MIKKO FRANCK einem sehr gut vorbereiteten Orchester voran. Wenn ich trotzdem mit seiner Interpretation nicht ganz glücklich wurde, mag es daran gelegen habe, dass ich einen anderen Janáček-Klang im Ohr habe. Dirigenten wie Mackerras, Belohlávek, Krombholc, Smetaček (um nur einige zu nennen) dirigieren ihren Janáček weniger dick, weniger kompakt, besser durchstrukturiert, ohne ein Weniger als Dramatik zu produzieren. Bei Franck klang es (pardon!) nach „Einheitsbrei“. Trotz dieser Einwände ein mitreißender Abend mit einer fantastischen Karita Mattila im Mittelpunkt.
Sune Manninen