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GREIFSWALD: KLEIDER MACHEN LEUTE von Alexander Zemlinsky

16.05.2013 | Allgemein, KRITIKEN, Oper

Gelungene Opernausgrabung in Vorpommern: „Kleider machen Leute“ von Alexander Zemlinsky (Vorstellung:
16. 5. 2013)


Foto: Theater Vorpommern

 Als Liebhaber der Opernmusik des österreichischen Komponisten Alexander Zemlinsky (1871 – 1942) muss man oft weite Wege auf sich nehmen, diesmal sogar bis nach Norddeutschland, wo im Theater Vorpommern in Greifswald die Oper „Kleider machen Leute“ auf dem Spielplan stand (abwechselnd mit dem Theater in Stralsund). Die musikalische Komödie in einem Vorspiel und zwei Akten, deren Text Leo Feld nach der gleichnamigen Novelle von Gottfried Keller (1874) verfasste, wurde 1910 an der Wiener Volksoper uraufgeführt.
Erst im Jahr 1985 kam es in Österreich (wieder an der Volksoper in Wien) zu einer Wiederaufführung des Werks, das – wie der Reclam-Opernführer schreibt – „die noch zu entdeckende deutsche komische Oper des 20. Jahrhunderts“ ist.

 Obwohl Leo Felds Libretto die feine Figurenzeichnung und lebensechte Psychologie von Kellers Erzählung etwas vergröbert hat, ist es ein ausgesprochen publikumswirksames Stück, wie auch bei der Aufführung im Theater Vorpommern zu bemerken war. Die Handlung ist in der Art einer Verwechslungskomödie aufgebaut, wobei im Vorspiel Zemlinsky das Schneiderlied „Schneiderlein, was machst denn du?“, das den vermeintlichen Grafen leitmotivisch begleitet, in das Grafenthema überführt.  

 Die Handlung in einer Kurzfassung: Die Goldacher leben in der ständigen Erwartung von romantisch-aufregenden Ereignissen, die ihre behäbig-biedermeierliche Existenz an das Geschehen in der großen Welt knüpft. Als nun ein gutgekleideter Reisender in einer eleganten Kutsche vorfährt und der Kutscher ihn aus Rache, weil er kein Trinkgeld bekommen hat, als polnischen Grafen vorstellt, nimmt die Geschichte ihren Lauf, ohne dass der Schneidergeselle Wenzel Strapinski etwas dazutut: Nettchen, die von vielen Männern begehrte Tochter des Amtsrats, verliebt sich in ihn und es folgt eine Kettenreaktion von Täuschungen. Nur der geborene Zweifler und verschmähte Liebhaber Melchior Böhni bemerkt Dinge, die nicht zusammenpassen und stellt Nachforschungen an. Wenzel fühlt sich als Adeliger immer unwohler und versucht zu fliehen, was Nettchen zu verhindern weiß. – Als Wenzels ehemalige Kollegen für die Verlobungsfeier den Schwank „Kleider machen Leute“ vorführen und dadurch die Wahrheit ans Tageslicht kommt, wird Wenzel ausgelacht und Nettchen bedauert. Aber sie entpuppt sich als resolute Lebensretterin und standfeste Verteidigerin ihrer Lebenswahl. Sie pfeift auf den Grafentitel, denn sie liebt Wenzel auch als Schneider.

 Horst Kupich, seit 2012 Operndirektor des Theaters Vorpommern, zeigte in seiner komödiantisch-realistischen Inszenierung die
spießbürgerliche Welt einer Kleinstadt, in der die Goldacher am Schluss ihre gutbürgerliche Maske fallenlassen und zur sensationslüsternen Masse werden. Der kleinstädtische Charakter wurde auch bei der Bühnengestaltung und Ausstattung gewahrt, für die Christof von Büren verantwortlich war. Das Orchester und der Dirigent sind in zwei Etagen auf der Bühne platziert, die Handlung selbst läuft davor ab, wobei das Sängerensemble und die Statisten teilweise mitten unter den Musikern agierten.

 Eine gute Wahl hatte das Theater Vorpommern mit dem isländischen Tenor Bragi Bergthórsson als Schneidergeselle Wenzel Strapinski getroffen. Durch seine ausgeprägte Bühnenpräsenz und seine kräftige, wohlklingende Stimme nahm er das Publikum von Beginn an für sich, wobei seine Wortdeutlichkeit besonders erfreulich war. Köstlich seine pfiffige Art, mit seinem eleganten, selbst geschneiderten Mantel den Grafen zu mimen, gut auch, dass er nie Gefahr lief, in Klamauk zu verfallen. Ihm ebenbürtig die schlanke junge russische Sopranistin Liubov Belotserkovskaya als resolutes Nettchen. Sie wirbelte in frecher Art über die Bühne und überraschte mit einer dramatischen Stimme, die nur hin und wieder schrill wurde. Berührend die Schlussszene, als sie zu „ihrem geliebten Wenzel“ steht und ihn vor der kleinbürgerlichen Wut bewahrt.

 Der österreichische Bariton Thomas Rettensteiner gab einen gemütlichen Amtsrat mit Bierbauch, der rumänische Bassbariton Alexandru Constantinescu den in Nettchen verliebten und daher besonders misstrauischen Melchior Böhni. Sehr komödiantisch agierte das Schneider-Trio, das Wenzel durch das Puppenspiel entlarvte: der deutsche Tenor Damien Schmedje und der koreanische Bassbariton Taeyoung Ji sowie als Schneidermeister Dirk Löschner, seines Zeichens Intendant des Theaters und auch für das Puppenspiel verantwortlich!

 Als stimmgewaltig erwies sich der Opernchor des Theaters Vorpommern (Einstudierung: Anna Töller) und als spielfreudig die vielen Darstellerinnen und Darsteller der zahlreichen kleinen Rollen, die fleißig über die Bühne und auch zwischen den Orchestermusikern hin und her wieselten.

 Das Philharmonische Orchester Vorpommern bot unter der umsichtigen Leitung von Golo Berg eine gelungene, facettenreiche Wiedergabe der musikalisch reizvollen Partitur des Komponisten, deren Klang hin und wieder zu sinfonischer Größe aufblühte. Ein Extra-Bravo zu der mehr als gediegenen Leistung!

 Das überwiegend junge Publikum – darunter einige Schulklassen – applaudierte allen Mitwirkenden begeistert minutenlang.

 Udo Pacolt, Wien

 

 

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