Gedanken zur Derniere der Faust Inszenierung von Peter Konwitschny am 29. Mai 2013 in Graz
Jan Thümer, Udo Samel. Foto: Schauspiel Graz
Magische Wirklichkeiten
Peter Konwitschny inszeniert Faust I und II, kürzt Goethes sprachgewaltiges Monument und dessen ewig wandelbarer Ausdeutungen auf drei Stunden.
Was in Erinnerung bleibt ist viel Aktionismus auf der Bühne, Gespräche mit Gott von Ahne, der berlinernd Gott am Telefon mit Alltagsfragen belästigt.
Herausragend, der großartige Mime Udo Samel als Mephistopheles, im schwarzen Sakko, rotem Schlips und Schlangenlederboots. Er hüpft, huscht grazil, neckisch teuflisch und gebiert einen höllisch wandelbaren Versucher, der ewiger Zuschauer bleibt und so dem Menschlichen allzu Menschlichen tief in die Seelenabgründe blickt.
Das Lächeln Mephistos
Das Lächeln hat er sich noch nicht abgewöhnt. Kennt seine Facetten und lebt agierend mit dem Bewusstsein, dass Gott sich das Lachen längst abgewöhnt hat.
Während Faust hinter verschlossenen Vorhängen laut sein „Habe nun ach…“ zitiert und dabei hörbar Mobiliar zertrümmert, Ahne vor dem Vorhang am Stehtisch am Telefon mit Gott parliert, meldet sich aus der sechsten Zuschauerreihe in gewitzter und sehr gelangweilter Herr, der eine echt spannende Show vermisst. Prime-Time im Theater und dann wird mit Gott gequasselt. Das lässt sich ein Mephisto nicht gefallen und greift ein. Schwups ist er auf der Bühne und es kommt wahrhaftiges Leben in die Bude.
Udo Samel ist dieser wendige Geist, der Faust den Pakt anträgt, ihn durch den Zaubersaft verjüngt und zuschaut wie dieser schnurstracks alles ausprobiert bis ihm fad wird. Faust, gespielt von Jan Thümer ist ein gedankenloser, freiheitsliebender, hormongesteuerter Youngster, der im Faust II ein IPad-Homunkulus kreiert, durch Raum und Zeit stürzt und natürlich am Ende dieser langen Reise durch die Nacht verbrannte Erde hinterlässt.
Gretchen, Katharina Klar, ein junges selbstbewusstes Blondchen, landet nach der Verführung durch Faust bei Konwitschny natürlich bei den Hexen im Bordell. Schnoddrig schmeißt sie „Gerettet“ durch die Luft und geht an.
Udo Samel, Jan Thümer. Foto: Schauspiel Graz
Schluss mit Faust I.
Im übergroßen Bett-( Bühne und Kostüme: Johannes Leiacker) tummelt sich der Hofstaat von Faust II. Auf dieser Spielfläche wird das Papiergeld erfunden, gefeiert, gehurt und intrigiert.
Was tut Mephisto? Er faltet die Hände und betet. Mit Stirnrunzeln und spöttischem, süffisant gepressten Mundwinkeln. Eine Reminiszenz an die Abwesenheit Gottes. Denn mit ihm ist auch der Glaube, die Liebe, die Hoffnung abhanden gekommen, oder haben die Menschen diese abgeschafft? Es scheint so.
In dieser Faustdeutung gibt es nur einen Gewinner: derjenige, der zuschaut. Und das mit einem Lächeln, das aber so wunderbar genüsslich sein sollte wie bei Udo Samel.
Mephistos Kommentare zur Misere klingen wie der Goethes alter Ego selbst, der das deutsche Volk als eines „von Natur völlig gleichgültiges Publikum“ bezeichnete. Und, Charakter vermisste er sowieso.
Diesen Spott schrieb Goethe seinem Mephisto auf den Leib.
Goethes Statement: „Im Grunde verstehen die meisten unter uns weder zu hassen noch zu lieben“ könnte als Headline über Konwitschnys Faust-Intospektion stehen.
Aber allein wegen Udo Samels Mephisto lohnt(e) sich der Weg zum Faust nach Graz.
Besetzung:
Faust: Jan Thümer
Mephistopheles: Udo Samel
Margarethe: Katharina Klar
Helena: Birgit Stöger
Kaiser: Thomas Frank
Heermeister, Wanderer: Simon Käser
Schatzmeister: Sebastian Klein
Wagner, Kanzler: Claudius Körber
Philemon: Rudi Widerhofer
Baucis: Gerti Pall
Hexe: Birgit Stöger
Lynkeus: Katharina Klar
Special Guest: Ahne
Partygäste, Personal der Burlesque-Show: Christina Cervenka, Bettina Langehein, Lisa Schützenberger, Tamara Semzov
Euphorion: Kilian Alexander Langner, David Rauchenberger
Regie Peter Konwitschny Bühne & Kostüme Johannes LeiackerMusik Johannes Harneit Choreographie Kai Stöger DramaturgieRegina Guhl, Marion Hirte