GRAZ: Schloßbergbühne Kasematten: Beethovens FIDELIO konzertant
20. August 2020
Von Manfred A. Schmid
Die im 18. Jahrhundert als Gefängnis für Schwerverbrecher genutzten Kasematten auf dem Schloßberg in Graz wurden in der Zwischenkriegszeit in eine Bühne umgewandelt und 1937 sinnigerweise mit der Oper Fidelio feierlich eröffnet. In den folgenden Jahrzehnten kam Beethovens Freiheitsoper in diesem stimmungsvollen Rahmen immer wieder, zuletzt 1997, zur Aufführung. Dem Verein „Junge Konzerte in Graz“, in Kooperation mit der Spielstätte, ist es zu verdanken, dass im Corona-Sommer 2020 dieses Werk dort wieder gespielt wird. Konzertant, aber zum Teil auch durchaus halbszenisch dargeboten wird die dritte Fassung von 1814, die sich allgemein auf der Opernbühne durchgesetzte hat. Die bei Wiener Aufführungen traditionsgemäß seit der Direktionszeit Gustav Mahlers zwischen Kerkerakt und Finale eingeschobene Leonoren-Overtüre ist in Graz nicht zu hören, was bei einer konzertanten Aufführung wohl auch angemessen ist. Da sich aber das aufgrund der Corona-Regeln besetzungsmäßig verkleinerte Orchester – im Programmheft ist daher nur von „Mitgliedern der Grazer Philharmonie“ die Rede – unter der Leitung von Marcus Merkel aber in Höchstform präsentiert, was nicht zuletzt wohl auch der übergroßen Freude geschuldet ist, wieder Oper spielen zu können, hätte man dieses jubelnde Bekenntnis Beethovens zu Befreiungsidee diesmal vielleicht doch allzu gerne gehört. Denn musiziert wird hinreißend, und wenn die strahlende Fanfare der Solotrompete, im Rücken des Publikums positioniert, die rettende Ankunft des Ministers meldet, verspüren wohl viele einen wohlig-feierlichen Schauer.
Trefflich bewährt sich auch der aus Mitgliedern des Grazer Opernchores zusammengesetzte Chor. Berührend als Gefangenenchor beim unverhofft gewährten Ausgang im sonnendurchfluteten Hof des Kerkers, hymnisch dankbar nach der Befreiung, wenn der Männerchor durch die Stimmen der Frauen, die die den Befreier hochleben lassen, verstärkt wird.
Bei der Besetzung der Gesangsrollen gibt es einen erfrischenden Mix aus großen Namen, allen voran Bryn Terfel, und jungen Kräften aus dem Grazer Opernhaus, darunter Mario Lerchenberger, Mitglied des Opernstudios, der als Jaquino gute Figur macht, stimmlich einwandfrei und sympathisch über die Bühne kommt. Ein Grazer Ensemblemitglied ist auch Neven Crnic, der als Minister zwar nur einen kurzen Auftritt hat, aber den aufgeklärten, humanistisch gesinnten Minister mit sonorem Bariton verkörpert und ihm so respektgebietende Würde verleiht.
Peter Kellner, der den Part des Gefängniswärters Rocco innehat, gehörte ebenfalls einige Jahre dem Ensemble der Grazer Oper an, ist aber seit 2018 an der Wiener Staatsoper engagiert und hat in verschiedensten Rollen gezeigt, dass er als Bassbariton mit zukünftigen Engagements an der MET und Covent Garden schon international gefragt ist. Sein junger Rocco ist angesiedelt zwischen Listigkeit und Bonhomie. Spielfreudig verwandelt er die konzertante Aufführung an passenden Stellen in eine semi-szenische Angelegenheit und nützt dann den breiten Platz der Spielstätte voll aus.
Von den beiden Frauenrollen wirkt die armenische Sopranistin Narine Yeghiyan am überzeugendsten. Mit ihrem hell leuchtenden, frischen Sopran ist sie eine alle Sympathien auf sich ziehende Marzelline. Einfach entzückend und dennoch fernab von aller Soubrettenhaftigkeit. Eher enttäuschend präsentiert sich hingegen Barbara Krieger als Fidelio/Leonore. Im wunderbaren Quartett des 1. Akts, „Mir ist so wunderbar“, wirkt sie stimmlich zu sehr zurückhaltend. Ihr dunkel timbrierter Sopran kann sich so zu wenig mit den anderen Stimmen amalgieren, was sich bis zum Ende der Oper durchzieht. Ihrem Sopran fehlt in den tieferen Lagen die entsprechende Grundierung. Dort klingt er hohl dumpf. In der Höhe sind vereinzelt auch Probleme, bis hin zu Intonationsschwankungen, zu registrieren. Und auch in punkto Wortdeutlichkeit lässt Krieger Wünsche offen.
Anstatt des ursprünglich als Florestan angekündigten Peter Seiffert, der kurzfristig abgesagt hat, kommt Roberto Saccà zum Einsatz. Der deutsch-italienische Tenor, der sich vor allem im deutschen Fach einen Namen gemacht, gestaltet seinen Florestan intensiv, beinahe schon vollszenisch. Mit expressiver Mimik und Gestik windet er sich am Rande der Bühne hoch und beklagt sein grausames Schicksal. Leider aber wirkt er auch seine Stimme irgendwie gequält. Das mag zwar zu dieser geschundenen, halb verhungerten Figur passen, aber so viel gesanglicher Realismus ist auf der Opernbühne doch fehl am Platz. Auch die „namenlosn Freude“ lässt die Klarheit und das Aufflackern neuen Lebensmutes weitgehend vermissen. Es gibt eine Inszenierung, in der der entkräftete Florestan am Schluss an stirbt. Dort ließe sich Saccàs Interpretation eventuell sinnvoll platzieren.
Nun zum Stargast des Abends: Bryn Terfel hat sichtlich Freude daran, einen abgrundtief bösen, niederträchtigen Pizarro darzustellen. Eine Partie, die er, ein gefeierter Scarpia, merkwürdigerweise auf der Bühne noch nie verkörpert hat. Nur auf einer CD, den Bad Boys der Opernwelt gewidmet, wie der Titel besagt, hat er Pizarros Arie „Ha! Welch ein Augenblick“ aufgenommen. Das ist auch einer der Höhepunkte bei seinem späten Rollendebüt – und das ausgerechnet in Graz. Corona macht vieles möglich, aber damit hätte wohl keiner gerechnet. Und so könnte die Stadt Graz ihren Platz in der internationalen Operngeschichte bekommen. Terfels Pizarro ist eine Wucht, und der Bariton mit offensichtlicher Spiellaune voll dabei.
Zu erwähnen bleiben noch der 80jährige (!) Kammersänger Reiner Goldberg als unglaublich stimmstarker Erster Gefangener sowie Richard Jähnig als Zweiter Gefangener. Weitere Fidelio-Termine sind der 22. und 23. August 202