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GRAZ Opernhaus Georges Bizet CARMEN Wiederaufnahme

10.06.2016 | Allgemein, KRITIKEN, Oper
Dshamilja Kaiser als >Carmen und Martin Muehle als Don José (Copyright PhotoWerK OG)

Dshamilja Kaiser als Carmen und Martin Muehle als Don José (Copyright PhotoWerK OG)

Opernhaus Graz 
Georges Bizet  CARMEN
Wiederaufnahme am 8.6.2016
29.Vorstellung in der Inszenierung von Stefan Herheim

 

Metamorphosen in Sevilla

Die kesse Putzfrau eines Museums verwandelt sich in die weibliche Hauptrolle, ein Museumswärter in deren Adoraten, war das nicht schon vor Jahren in Salzburg beim Trovatore ähnlich? Ja, aber das jus primae noctis geht ja doch an Graz, schon 2006 handelte die Neuinszenierung dieses Thema ab, während ähnliches erst im Salzburger Festspielsommer 2014 in höchst prominenter Besetzung unter dem Regisseur Alvis Hermanis stattfand.

Die Oper Graz zeigt Bizets Hauptwerk in einer Wiederaufnahme in der Inszenierung von Stefan Herheim, die schon 2006 stattfand mit der Bühnengestaltung und mit den sehenswerten Kostümen von Heike Scheele, wobei die gar nicht so unkomplizierte szenische Neueinstudierung für diese Serie von Christiane Lutz beachtlich wiedererarbeitet wurde.

Wer aus dem Programmheft, das umfänglich die Zugänge zu dieser Inszenierung freizulegen versucht, einen Sinn zu dieser Regie finden will, sollte vielleicht nur der bekannten Essenz dieses Stoffes folgen: “Carmen vereint schon in sich die singende Zauberin und die erlösende Gottesmutter; Hure und Heilige, die tradierten Figurationen der Frau im männlichen Blick fallen bei Carmen ineinander. Hier werden Venusberg und Golgatha deckungsgleich und entpuppen sich beide als Orte männlicher Nöte, die in der Kunst sublimiert werden”. (Programmheft)

So einfach, so gekonnt, so führt und verführt uns Stefan Herheim zuerst ins Museum mit seinen Verwandlungen, aus dem Wärter wird das Muttersöhnchen José, aus der Reinemachefrau eine verführerische Carmen und aus den allmählich eintretenden Besuchern jenes Volk, dass die Handlung in Sevilla verfolgt.

Höhepunkt ist ohne Zweifel jedoch ab dem zweiten Akt die museale Verwandlung der Personen in Figuren aus der Welt der Kunst, alles was in den Bildern dargestellt war, ist nun in seiner sehenswerten Maskierung und Kostümierung in Lillas Bastias Wirtshaus zu Besuch, alle nur erdenklichen Archetypen der europäischen Kunst taumeln und tanzen zu Bizets angesagten Rhythmen: Frankreichs Marianne mit teilentblöster Brust, Napoleon, Andy Warhole, Elisabeth die Erste, Don Quijote, Marilyn Monroe usw.usf. Man kommt tatsächlich aus dem Schauen und dem Erraten bekannter Darstellungen und aus dem Staunen nicht heraus! Ein Extravorhang für Heike Scheele, die diese Show entwarf und entsprechend begleitete!

Eingefügte Dialoge von Stefan Herheim und dem Dramaturgen Alexander Meier-Dörzenbach verbinden die Grundhandlung der Oper mit dem Anliegen der darübergelegten Deutung, da die Übertitel der Übersetzungsanlage oft genug den aufgesetzten Handlungen entgegen stehen. Augenzwinkernd kann man das ja als “Palimpsestieren” durchgehen lassen.

Der Schüttmaler José-Nitsch (Copyright PhotoWerK OG)

Martin Muehle als der Schüttmaler José-Nitsch (Copyright PhotoWerK OG)

Dass aber das bunte Treiben gegen Ende des Abends bereits etwas ermüdend wirkt (soweit zumindest mein persönlicher Eindruck), dass auch die besten Einfälle in dieser Masse an Wirkung nachlassen können, das erklärt vielleicht den relativ kurzen Applaus am Ende der Vorstellung.

Prädestiniert ist die Oper Graz ja ganz hervorragend für derartige, in ihrer Kleinteiligkeit und Detailzuordnung wirksame Regieeinfälle, denn Chor, Extrachor (Berhard Schneider) und Singschul (Andrea Fournier) sowie die Statisterie des Hauses realisieren alles, so auch an diesem Abend, mit offensichtlicher Freude an der Sache.

Dshamilja Kaiser als Carmen, Martin Muehle als Don José mit der Todeskarte (Copyright PhotiWerK OG)

Dshamilja Kaiser als Carmen, Martin Muehle als Don José mit der Todeskarte (Copyright PhotoWerK OG)

Dshamilja Kaiser ist eine Carmen mit großer und angenehm verführerischer Stimme, knalligen Höhen, guten Tiefen und macht auch figürlich einiges her ohne gleich plakativ sexuell wirken zu müssen. Ihre Gegenspielerin, die Botin der Mutter ist mit Sophia Brommer ganz ausgezeichnet besetzt, ihr lyrischer Sopran klingt in allen Lagen gut, ihr Schicksal ist allerdings schon im dritten Akt besiegelt, Escamillo zielt zu gut.

Bei Martin Muehle muß man sich fragen, ob er Legatophrasen nur unter Druck auf die Stimme herzustellen instande ist. Seine Liebeserklärung an Carmen sang er mit dem gleichen gepressten Aplomb wie er dramatische Attacken gestaltete, einige Phrasen im Duett mit Micaela wurden piano wieder nur mit Kopfstimme bewältigt. Auch litt sein Spiel sichtbar noch unter dem speziellen Inszenierungsstil mit den Anforderungen an das geteilte Rollenbild, wahrscheinlich läge ihm die Partie in einer klassischen Inszene besser.

Und für den Escamillo hat Marcus Butter (noch) nicht jene durchschlagkräftige Stimme, die erfolderlich wäre, die Damenwelt des zweiten Aktes in den Wahnsinn zu versetzen.

Dancairo und Remendado als köstliche Travestieshow: Ivan Orescanin und vor allem Taylan Reinhard waren ganz wunderbar in diesen ungewöhnlich angelegten Rollen. Und die scharfstimmige aber höhenfreudige Frasquita der Tatyana Miyus und Anna Brull als Mercédès ergänzten das Schmugglerquintett. Dass Konstantin Sfiris eine sichere Bank für köstliche Typen wie der Zuniga einer ist, das weiß man in Graz, Dariusz Perczak gab den Moralès rollendeckend.

Das Grazer Philharmonische Orchester ließ sich von Dirk Kaftan zur Höchstleistung anspornen, dieser Bizet lief mit einem beeindruckenden Drive ab und gab dem Abend die nötige musikalische Unterfütterung.

Sechs Minuten Applaus vom ausverkauften Haus waren zuletzt auch für Grazer Verhältnisse wenig, trotzdem: Diese Show ist sehenswert.

 

Peter Skorepa
MerkerOnline

Fotos: Werner Kmetitsch/Oper Graz

 

 

 

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