
Andrzej Lampert als Hirte. Copyright: Werner Kmetitsch
Ein Fundstück als Meisterstück
Die selten gespielte Oper KRÓL ROGER von Karol Szymanowski an der Grazer Oper
Donnerstag, 7. März 2019 Von Manfred A. Schmid
1929 in Warschau uraufgeführt, wurde die Oper Król Roger (König Roger) des polnischen Komponisten Karol Szymanowski jahrzehntelang außerhalb seiner Heimat höchst selten gespielt. Seinem kammermusikalischen Schaffen hingegen kann man in den Konzertsälen immer wieder begegnen. Dass sich so berühmte Musiker wie Arthur Rubinstein und Henryk Szeryng dafür eingesetzt haben, hat sicher zu dieser Popularität beigetragen. Eine allmähliche Wiederentdeckung seiner Oper hat erst in den letzten zehn Jahren eingesetzt, initiiert durch eine Neuinszenierung des Werks im Rahmen der Bregenzer Festspiele 2009. Derzeit steht Król Roger – mit Vorstellungsterminen noch bis Anfang Mai – auf dem Spielplan der Oper Graz. In einer Inszenierung, die sich Opernfreunde nicht entgehen lassen sollten.
Als „spätimpressionistisch“ und „eklektisch“ wird der Kompositionsstil Szymanowskis oft abgetan. Tatsächlich finden sich darin Anklänge an Skrjabin, an den frühen Strawinsky oder an Bela Bartok. Dabei wird jedoch übersehen, dass es ihm – in einer kühnen Synthese dieser und anderer Einflüsse – gelungen ist, einen eigenständigen Personalstil zu entwickeln, der fernab jeden Epigonentums steht. Das zeigt sich gerade an seiner Oper Król Roger, die eine herbe, ausdrucksstarke Melodik aufweist, bis an die Grenzen der Tonalität geht und auch archaische Klänge nicht scheut.
Im Mittelpunkt der kargen Handlung steht der Selbstfindungsprozess von König Roger II, der sich im 12. Jahrhundert in Sizilien, am Kreuzungspunkt byzantinischer, arabischer und griechisch-römischer Antike, mit einem vermeintlichen Ketzer konfrontiert sieht, der an den Grundfesten des Christentums rüttelt und eine pantheistische, dionysische, ekstatische Lebenseinstellung propagiert. Der Verkünder dieser Heilslehre, ein Hirte, bei dem es bis zum Ende offenbleibt, wer er wirklich ist, findet immer mehr begeisterte Anhänge, darunter auch Roxane, Rogers Frau. Die Kirche verlangt seine Hinrichtung, doch Roger entschließt sich, der Sache genauer auf den Grund zu gehen und sich auf den Hirten einzulassen. Am Schluss grenzt er sich aber deutlich von ihm ab und bekennt sich in einem Hymnus an die Sonne als ein Jünger apollinischer Klarheit.
Die Inszenierung von Holger Müller-Brandes stellt den Läuterungs- und Reifungsprozess der Titelfigur in der Auseinandersetzung mit der Kirche und dem geheimnisumwitterten Hirten, vor allem aber die Auseinandersetzung Rogers mit seiner Frau und mit sich selbst, in den Mittelpunkt. Das Bühnenbild von Katrin Lea Tag wird im 1. Akt von einem goldenen Taufbecken dominiert und unterstreicht die zunehmende Verunsicherung Rogers, die auch durch das vom Erzbischof stets mahnend hochgehaltene Kreuz unterstreichen wird. Der zweite Akt – die Durchgangsstation im Prozess der Prüfung – spielt in einem rudimentär angedeuteten Palast, während im 3. Akt die Bühne von Erde bedeckt ist, in der Roger zu versinken droht, bis er dann strahlend aus der Grube (das mit Erde verschüttete Taufbecken aus dem 1. Akt!) emporsteigt.
Die Titelpartie ist in dieser Vorstellung dem lettischen Bariton Valdis Jansons anvertraut, der fast pausenlos auf der Bühne steht und die zunehmende Verunsicherung des Helden und seinen Läuterungsprozess intensiv – auch mit expressivem Mienenspiel – zum Ausdruck bringt. Aurelia Florian ist Roxane, seine Ehefrau, von der er sich zunehmend entfremdet, ihr aber doch verbunden bleibt. In der Sopranrolle, der von Szymanowski vor allem Vokalismen zugeordnet werden, verleiht sie den ekstatischen Verzückungen, denen Roxane zunehmend verfällt, starken Ausdruck. Der geheimnisvolle Hirte, der vielleicht sogar ein Gott ist, passt gut zu Timbre und Ausstrahlung des lyrischen Tenors Andrzej Lampert, der einen faszinierenden, nie ganz greifbaren und daher geheimnisvollen Verführer abgibt. Manuel von Senden strahlt die Aura des klug beobachtenden Mentors aus, der die Entwicklung seines Schützlings stets begleitet und ihm offenbar allein durch seine Präsenz Halt gibt. Ein Charaktertenor erster Güte. Wilfried Zelinka und Marijana Grabovac pochen als Erzbischof bzw. Diakonissin unnachgiebig auf die Autorität der Kirche. Großes Lob gebührt dem Chor unter der Leitung von Bernhard Schneider sowie Beate Vollack und ihrer Ballett-Truppe für die expressiven Tanzeinlagen.
Musikalischer Leiter der akklamierten Aufführung, die allerdings mehr Zuschauer verdient hätte, ist Roland Kluttig. Der künftige Chefdirigent der Oper Graz und der Grazer Philharmoniker (ab der Saison 2020/21) zeigt, dass die Partitur auch emotional zu fesseln weiß. Den Verdacht, dass es sich vielleicht doch um ein Werk an der Grenze zwischen Oper und Oratorium handelt, kann letztlich aber auch er nicht ganz ausräumen.
Manfred A. Schmid