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GRAZ Oper Graz : Giuseppe Verdi LUISA MILLER Premiere : Da ist der Wurm drinnen

13.12.2015 | Allgemein, KRITIKEN, Oper
Wilfried Zelinka als Wurm und Sophia Brommer als Luisa

Wilfried Zelinka als Wurm und Sophia Brommer als Luisa

 

Opernhaus Graz  
Giuseppe Verdi LUISA MILLER
Premiere 12.Dezember 2015

 

 Da ist der Wurm drinnen

 

Eine durchaus gelungene Idee von Nora Schmid, in ihrer ersten Saison Giuseppe Verdis “Luisa Miller” anzusetzen, nicht alleine schon deshalb, weil dessen 15. Oper in den 166 Jahren seit der Uraufführung in Neapel nicht den Weg nach Graz  finden konnte. Es ist ein Werk des Übergangs – wie so oft bei Verdi –  diesmal jenes vor dem Ende der “Galeerenjahre”, jener großen Zeit seiner überzählig pathetischen Stoffe und der erfolgreichen Choropern hin zu seinen großen Triumphen der mittleren Schaffensperiode.

Und wenn der italienische Musikwissenschaftler Franco Abbiati 1959 in seiner Vita Verdis schreibt: “Bis gestern, wenn nicht gar bis heute, hätte “Luisa Miller” auf der Bühne bestehen können: “Rigoletto” einerseits, “La Traviata” andererseits begünstigten das Vergessenwerden.”, so darf man nach der gestrigen Aufführung im Grazer Opernhaus feststellen, dass gerade dieses Werk, seiner musikalischen Sonderstellung wegen, versetzt in das deutlich abgespeckte und entpolitisierte Milieu des Schillerschen Sturm und Drang, jegliche Reanimation verdient.

Natürlich stieß die Bearbeitung Cammaranos des Stoffs von “Kabale und Liebe”, vor allem die Reduktion der zweiten weiblichen Hauptrolle, aber auch die wegen der Zensur vorgenommene Verortung der Intrigen auf das Niveau eines Tiroler Bergdorfes auf die Kritik Verdis, die aber diesmal mit aller Güte und überraschender Resignation endete: “Ich weiß, dass man nicht immer das tun kann, was man möchte, und es geht schließlich auch so.”

Der Ärmlichkeit, der Enge, dem Bigotten des Tiroler Bergdorfes, dem zensurbedingten Ausweichquartier aus der fürstlichen Residenz, wird in Bühne und Kostümen von Mathis Neidhardt Rechnung getragen. Schnell sind die Ortswechsel im hinteren Bühnenteil vollzogen, nahezu übergangslos geht es aus Millers Stube in einen Salon Graf Walters über, in welchen Paul Esterhazy dieses bürgerliches Trauerspiel, angereichert mit Wunschvorstellungen, Angstvisionen und Chimären ablaufen läßt.

Und überall ist der Wurm drin, denn der Regisseur läßt Wilfried Zelinka in seiner Rolle als Hofintrigant seinem Namen gerecht werden, denn dieser kriecht am Boden herum, aus dem Spiegel heraus, auch aus dem Kamin, auf der Tapete die Wände hoch oder läßt ihn gar von der Decke hängen: Das Böse ist dort immer und überall… Wurm entkleidet und vergewaltigt die nackte Luisa regelrecht um der Pastorentochter (Miller ist ja, von Schillers Stadtpfeiffer und Musikanten und über den alten Soldaten bei Cammarano, bei Esterhazy zu einem Pastor mutiert) das letzte von ihrer Ehre zu nehmen. Bemerkenswert spannende Momente der Aufführung, die ob ihrer Offenheit auch gleich mit kräftigen Buhs quittiert wurden. Natürlich ist das ein Double, das nackt beim Pastor vorbei zum Spiegel läuft, das da wie tot zu Boden sinken oder aus dem Spiegel klettern muss, welches da vergewaltigt wird. Und auch Wurm kommt ohne einem solchen Double nicht aus. Ein Figurenkabinett der Eitelkeiten, der Bösartigkeit, der Wunschbilder, oder eines Wahns und der Trauer. Da gibt es aber auch Momente, vor allem im ersten Akt, die, ob gewollt oder ungewollt an eine alte Opernparodie erinnern. Und jene, eine gefühlte Ewigkeit dauernde Schlussszene mit dem melodiösen Tod der Liebenden ebenso.

Zeitgenössische Darstelung der Sterbeszene

Zeitgenössische Darstelung der Sterbeszene

Ein ausgesprochener Gewinn für das Grazer Ensemble ist Sophia Brommer. Sie bietet in der Rolle der Luisa mit ihrem gelegentlich auch dramatisch geschärften Sopran ein mitreißendes Bild des, von der Intrige zermalmten etwas altjüngferlich ausstaffierten Mädchens. Kein Wunder, ihr Vater läuft ja bei jeder Gelegenheit zum Betschemel an der Wand mit dem Kruzifix, um sich wegen der Vorkommnisse in seinen Räumen zu entschulden. Elia Fabbian ist der alte Miller mit den allzuoft ungezügelt ausufernden stimmlichen Mitteln, der erst gegen Ende zu manch vorbildlicher Verdischen Gesangslinie findet, die er ja seiner italienischen Heimat schuldet.

Szene Walter, Miller, Rodolfo, Luisa

Szene Walter, Miller, Rodolfo, Luisa

José Manuel, ein mallorquinischer Tenor mit sympathisch verhaltenem Äußeren und der gerade zu dieser Partie bestens passenden Bühnenrescheinung, dem man jedoch höchstens den, in dessen Vita genannten Alfred, sicher aber nicht den genannten Pollione zutrauen kann. Er versuchte sich zwar mit manchmal zu engem Tenor als Rodolfo, konnte dabei höchstens Teilerfolge mittels Intensität zum Nachteil der Gesangslinie verbuchen. Es muß ja nicht alles Schöngesang aus dem Vollen sein, was zu dem aufregenden Thema dieser Oper ja gar nicht erforderlich ist, aber manchmal wäre es schön, hörte man vom Sänger, dass er auch das kann. Und schade, dass Verdi von Cammarano nicht mehr Text für die Federica bekommen konnte, aber dieser verwies auf die Gleichgewichte der Rollen und vor allem auf das Fehlen eines guten Mezzos im Teatro San Carlo in Neapel. Wir hätten sicher gerne mehr von Dshamilja Kaiser hören wollen.

Verbleiben die finsteren Gestalten des Wurm und des Grafen Walter, Charaktere, für die Verdi oft genug wirkungsvolle Musik schrieb. Wilfried Zelinka, der kriecherisch-kriechende Intrigant konnte auch Böses gut singen, vor allem in all den verzwickten Lagen, während der Graf Walter von Petar Naydenov, wir kennen ihn aus der Volksoper in Wien, eher blass war und gesanglich zu unsicher nur wenig Wirkung ausstrahlte.

Zelinka als Wurm mit Sophia Brommer als Luisa

Zelinka als Wurm mit Sophia Brommer als Luisa

Eher etwas gegen den Strich gebürstet, dramatisch akzentuiert mit auffallend schroffen Bläsereinsätzen stimmte Robin Engelen das Grazer Philharmonische Orchester auf diesen Ausnahmeverdi ein, die nicht übermäßigen Choreinschübe kamen aus dem Off. Schade, dass der Musikalische Leiter sich nicht gegen die Bebilderung einer der schönsten Verdischen Ouvertüren wehrte.

Die Buhs vor der Pause für die Regie wiederholten sich beim Schlussapplaus nur mehr in mäßiger Intensität, dafür gab es viel Jubel für die Sänger und den musikalischen Leiter, besonders für Frau Brommer und Herrn Zelinka.

 

Peter Skorepa
MerkerOnline
Fotos von Werner Kmetitsch

 

Fazit.: Ein seltener Verdi in passendem Bühnenbild und interessanter Regie.

Anhang: Ein Video über die Produktion an der Grazer Oper

 

 

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