Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

Georges DELNON: Ich fühle den Zwang, immer neue Sachen zu versuchen…

Interview mit Georges Delnon  Intendant Theater Basel

 In den letzten Jahren war die Finanzierung von Kulturaktivitäten immer wieder eine vorwiegend politische Angelegenheit. Nun ist doch eigentlich Kultur in jeder Form eine Pflicht, ein Muss der Öffentlichkeit. Können Sie sich erklären, wieso es immer wieder Vorstösse zur Nicht- oder Minder- Finanzierung z. B des Theaters Basel gibt, wieso eine angemessene Finanzierung auf derartig grossen Widerstand stösst?

Für sehr viele Politiker gehört Kultur nicht in die erste Priorität, vor allem nicht für Investitionen oder Subventionen. Viel wichtiger, und da herrscht ein Konsens in der Mehrheit der Bevölkerung, sind Gesundheit, Verkehr, Wirtschaft. Dagegen hat Kultur in den Diskussionen einen schwachen Stand. In den Diskussionen zu den Wahlen in Deutschland zwischen Frau Merkel und Herrn Steinbrück zum Bespiel ist das Wort Kultur gar nie gefallen. Auch habe ich den Eindruck, dass in allen politischen Gremien immer weniger Leute sitzen, für welche der Begriff Kultur, wie er uns hier wichtig ist, nicht mehr so eine wichtige Rolle spielt. Aus diesem Grunde haben wir keine starke, kämpferische Lobby in den Entscheidungsgremien. Das führt dann auch immer wieder zu kulturnegativen Vorstössen wie zum Beispiel aktuell in Bern, wo die dringend notwendige Sanierung des Berner Theaters in Frage gestellt wird. Nur in den Theatern wird immer wieder gespart, während in anderen Bereichen Millionen investiert werden. Hier in Basel wurde der Sanierungskredit für unser Haus bewilligt, nachdem er anstandslos die politischen Gremien passierte, und das finde ich grossartig.

Zu bedenken ist auch, dass sich der Begriff Kultur in den letzten Jahren sehr stark geändert hat. Der Begriff wird breiter angewandt, das Internet wurde immer wichtiger und aus diesem Grund wird es für Institutionen wie Oper, Schauspiel und Ballett nicht einfacher, sich breit und prominent zu profilieren.

Eine der politischen Forderungen besteht darin, dass das Theater Basel eine wesentlich höhere Eigenwirtschaftlichkeit aufweisen soll. (2011/2012 21,3%ca) Der internationale Durchschnitt liegt, wenn ich richtig informiert bin, bei ca. 25% des gesamten Budgets, was als gut bezeichnet wird. Wie soll ein Theater, eine Kulturinstitution dies ohne massive Preiserhöhung bewerkstelligen, und das bedeutet dann im Endeffekt  wohl noch weniger Publikum. Sollte der politische Trend nicht eher umgekehrt liegen: Tiefere Preise  =  mehr Zuschauer, was aber auch mehr Subvention bedeuten würde?

Persönlich bin ich der Auffassung, dass dies, nach meiner Zeit unter neuer Intendanz (2015) durchaus eine Option sein sollte. Also die Preise senken um mehr Zuschauer und ein heterogeneres Publikum anzusprechen. Diese Rechnung sollte gemacht werden. Dies kann nicht als direktoriale Entscheidung durchgeführt werden. Hier müssen sich alle verantwortlichen Gremien einig sein.

Der Personalaufwand im Theater Basel  2011/2012 betrug Fr. 47’226’248 oder 85 des Budgets. Ist der Politik klar, wieso ein Theater wie das Theater Basel teurer ist als eine vergleichbare private Institution? (Fest angestelltes Personal, usw.) Warum nehmen Politiker dies sehr oft nicht wahr?

Die Politik hat in der Kulturpolitik und nicht nur in der Kulturpolitik die Tendenz Äpfel mit Birnen zu vergleichen, zu verwechseln. Es wird zu oft nicht wahrgenommen, dass es um Arbeitsplätze, Steuerzahler geht. Und dies nicht nur im Theater, sondern auch in vielen auswärtigen Betrieben, welche mit uns, für uns arbeiten. Auch sind wir ein Ausbildungsbetrieb für viele Berufe. Daher kann man ein etabliertes Theater wie das Theater Basel nicht mit einem Festival vergleichen. Natürlich könnten wir auch als Festivalorganisator arbeiten und aus aller Welt die besten Künstler einladen. Dann aber verliert ein Stadttheater wie das Theater Basel seinen Sinn als ein Pfeiler der etablierten Stadtkultur. Ich bin der Auffassung, dass die freie Szene wachsen wird und dass innerhalb dieser Szene einzelne Institutionen als „Leuchttürme“ weiterhin finanziert werden und die anderen Kulturanbieter nicht auf feste Strukturen bauen können.

 Es fällt mir auf, dass Aufführungen wie z.B. Aida in Pfäffikon, Classic Open Air Solothurn oder Opera Basel trotz  stolzer Preisen gut besucht sind, auch wenn die künstlerische Leistung nie das Niveau von Basel oder Freiburg erreicht. Haben Sie dafür eine Erklärung?

 In der heutigen Event Kultur wird das Zusatzgeschäft als Einnahmequelle zur Querfinanzierung zunehmend wichtiger, zum Teil sogar unverzichtbar. Als Intendant staune ich, dass einerseits der Publikumszustrom zum Beispiel nach Salzburg so zugenommen hat, dass Alexander Pereira meldet, dass die Warteschlangen noch nie so lang waren wie 2013. Ich glaube, dass Pereira als guter Geschäftsmann spürt, dass es eine Sehnsucht für das Theater von gestern gibt und dieses „Nachtrauern“ ausnützt. Aber in der Kunst, und nicht nur im Theater, herrscht ein Bestreben, Neues zu erfinden. Ich fühle den Zwang, anscheinend im Gegensatz zu Pereira, immer neue Sachen zu versuchen, neue Formen zu entwickeln, entwickeln zu lassen. Und es ist für mich auch spannend, den Bogen zwischen Tradition und Avantgarde zu schlagen.

 Viel ist die Rede vom Regietheater. Im Musiktheater war früher oft der Dirigent der Vorherrschende, heute scheint es der Regisseur zu sein. Im Sprechtheater führt allem Anschein nach das Regietheater oft zu Verstümmelung und extremen  Kürzungen der Texte. Halten solche Mechanismen nicht oft das Publikum vom Theaterbesuch ab? Oder haben die Theater Angst, lange Aufführungen könnten das Publikum vom Besuch abhalten?

 Nein, dies ist sicher nicht der Fall. Nicolas Stemann hat 2011 in Salzburg einen achtstündigen Faust inszeniert und auch Frank Castorf scheut sich nicht vor langen Inszenierungen und beide haben damit Erfolg, das heisst Publikum. Man hat zum Teil die Texttreue aufgegeben, um den Drang nach neuen Formen, Neuinterpretationen ausleben zu können. Regisseure wollen nicht unbedingt den Text inszenieren, sondern übernehmen die Strukturen oder die Personen. Ich habe den Eindruck, dass es im Schauspiel extrem darum geht, den Zeitgeist zu bedienen, neuen Zeitgeist zu provozieren. Dies funktioniert beim Sprechtheater, bei der Oper ist dies nicht so einfach zu bewerkstelligen. Es gibt Möglichkeiten, die relativ starre Form der Oper aufzubrechen und Christoph Marthaler hat dies in seiner Inszenierung „La Grande-Duchesse de Gérolstein“ auch gemacht. Ich bin überzeugt, dass man heute eine Zauberflöte zum Beispiel modern inszenieren kann, mit Sorgfalt und historischem Bewusstsein, so dass sehr unterschiedliche Altersklassen, unterschiedliches Publikum angesprochen wird. Eines der Probleme besteht darin, dass ein guter Teil unserer Zuschauer in den letzten Jahren einfach weggeblieben ist. Diese Leute kommen ohne Diskussion einfach nicht mehr ins Theater. Dieser fatale Mechanismus muss durchbrochen werden. Dies ist meine Aufgabe in dieser Spielzeit in Basel, dies sollte die Aufgabe aller Theaterintendanten sein. Ich wünsche mir ein Theater als  Plattform, auf welcher sich Theaterfreunde, Theaterbegeisterte aller Altersklassen treffen.

 Musiktheater wird im Allgemeinen entsprechend der Musik inszeniert. Sollte nicht im Schauspiel  die Regie den Künstlern auf der Bühne die Möglichkeit geben, Kopf und Bauch(Musik durch Sprache/Schauspielkunst laut Calixto Bieito) anzusprechen? Besteht nicht die Gefahr, dass durch die Kürzung der Texte den Schauspielerinnen die Möglichkeit genommen wird, neben dem Kopf auch noch die Emotionen anzusprechen?

Es ist richtig, dass in den letzten Jahren das Sprechtheater sehr „verkopft“ daherkommt. Aber es gibt auch sehr viele andere Regisseure, welche sehr stark mit den Emotionen arbeiten. Ich denke dabei zum Beispiel an Christoph Marthaler, Sebastian Nübling, Calixto Bieito und einige andere. Bei Marthaler ist es sicherlich auch die Lebenserfahrung, die Freude, welche sich in seinen Arbeiten ausdrückt und dabei das Publikum ergreift.

 Vielen Dank George Delnon, dass Sie sich am arbeitsintensiven Saisonbeginn für den neuen Merker Zeit genommen haben.

 Mit Georges Delnon sprach Peter Heuberger

 

Diese Seite drucken