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FRANKFURT: LA GAZZA LADRA/ Die diebische Elster). Premiere

31.03.2014 | Allgemein, KRITIKEN, Oper

Frankfurt: Die diebische Elster/La gazza ladra  30.3.2014


Jonathan Lemalu, Sophie Bevan. Foto: Wolfgang Runkel

 An der Oper Frankfurt hatte ‚Dier diebische Elster‘, ein Melodram von Gioacchino Rossini Premiere. Die 1817 in Mailand uraufgeführte Oper ist eigentlich eine „Semiseria“, d.h. sie schwankt zwischen Buffo-/komischen Elementen und z.T. tragischer Handlung. Es ist eine Jugendoper von Rossini, in der er noch viel experimentierte, und in die er sein ganzes Herzblut legte. Vielleicht strebte er damit, sich gar nicht so bewusst, eine Große Oper, wie sie später auch Giacomo Meyerbeer schuf, an. Heute ist ja nur noch die die Handlung reflektierende lange Ouvertüre bekannt, die in ihrer Schmissigkeit und festlichen Fröhlichkeit eher auf eine buffoneskes Genre mit einer Silberbesteck klauenden Elster hinweist und dabei verdeckt, dass es sich um einen sehr realistischen Stoff Ende des 18., Anfang 19. Jahrhundert handelt. Ein Sohn kehrt in sein Vaterhaus nach einem Krieg zurück und wird groß empfangen, er ist mit dem Dienstmädchen Ninetta quasi verlobt, die aber auch aus gutem Hause stammt. Als die Familie den Onkel besucht, trifft Ninettas Vater ein, der als Deserteur gesucht wird und der ihr ein Silberbesteck aushändigt, dessen Erlös sie in einem hohlen Baum deponieren soll, um seine weitere Flucht zu ermöglichen. Dann tritt der Bürgermeister Gottardo auf, der hinter Ninetta her ist und die Gelegenheit zu einer Schäferstunde gekommen sieht.  Als die zurückgekehrte Mutter Lucia das Fehlen eines Silberstücks beklagt, führt Gottardo in dem Haus eine ‚Untersuchung‘ durch, bei der Ninetta Geldstücke aus dem Kleid fallen.

Der Händler Isacco wird befragt, ob ihm Siberlöffel mit den Initialen F.V. verkauft wurden. Er bejaht dies, diese Initialen können aber sowohl  für Fabrizio Vingradito wie für Fernando Villabella, den Vater von Ninetta, stehen. Somit wird das Dienstmädchen verhaftet. Bei der Gerichtsverhandlung wird sie wegen Diebstahls zum Tod verurteilt, was auch der Vater nicht verhindern kann, da er sich als der gesuchte Deserteur herausstellt. Ninetta will das nicht überstellte ‚Reisegeld‘ für den Vater durch den Erlös ihres Kreuz-Halsbandes durch den Diener Pippo in den hohlen Baum deponieren lassen. Dort wird das von der Elster geklaute Silberbesteck gefunden, und die Hinrichtung kann gerade noch verhindert werden, Fernando wird vom König begnadigt.

 Neben den einschlägig bekannten Melodien, die damals jeder pfeifen konnte, sprudelt Rossini in der Gesamtoper nur so mit Erfindungsgabe.

Einiges erkennt man ähnlich im ‚Barbiere‘ wieder.Vieles zieht wirklich in seinen Bann, und man bleibt mit angehaltenem Atem dabei, auch und gerade weil sich die Gerichtsverhandlung so unverschämt lange hinzieht. Das Frankfurter Orchester ist blendend auf diese Musik einsgeschworen, und der Dirigent Henrik Nanasi, der schon mit anderen Opern in Frankfurt überzeugt hat, ist mit immer hellwacher Zeichengebung und so empathischen Modellierungen  musikalischer Gestalten ein großer Animator für die vielleicht manchmal auch spröde daherkommenden Partiturteile.

 David Alden rückt dem großen sperrig anmutenden Stoff mit eindeutigen Vorgaben zu Leibe. Er beläßt das Geschehen weitgehend in seiner Entstehungszeit und verschärft die Grausamkeit der Vorgänge noch durch eine Bevölkerung, die als Sektengruppe, als sog. „Aimishe“, die sich nach der Episode um das Mayflowerschiff besonders in den USA als Sekte etablierten, gekennzeichnet hat. Diese zeichnen sich neben religiöser Strenge durch schwarze Gewandung aus, Männer und Frauen mit obligaten Hüten, bei letzteren kegelförmig und vorne zum Zubinden. Sie werden in kruden Choreographien von Maxine Braham, teils Angst einflößend, bewegt. Die Einheitsbühne ist ein oval bühnenbeherrschendes Fort mit vielen Auftrittstoren, das aber erst im 2.Akt als Gefängnis und Gerichtsaal voll zur Geltung kommt (Charles Edwards). In ihn fährt im 1.Akt das einzimmrige Haus der Vingradito-Familie herein. Dort ist alles aseptisch, und große Lettern verkünden: Willkommen zuhaus Giannetto, Kriegsheld. Der Bürgermeister fährt in einer großen Kutsche vor, deren Räder sich nicht drehen, gezogen von Dienern. Später wird diese Kutsche für Ninetta zum Triumphwagen, schließlich aber von den Menschen angezündet. Weitere spannende oder symbolische Momente hält die Inszenierung en masse bereit.Die peinlich detailgearbeiteten zeitkongruenten Kostüme stammen von Jon Morrell.

 Ein großes Plus der Premiere ist auch, dass fast völlig neue Sänger „ausprobiert“ werden, die aber alle gut einschlagen. Ein alter Bekannter ist Carlos Krause, der die schlagende Bigottheit des Amtsrichters darstellt, der nach Verkündung des Urteilspruch sich erst mal eine fette Mahlzeit gönnt. In weiteren Nebenrollen singen Thomas Charrois, Iurii Samoilov und Michael McCown als Kerkermeister mit Telefon und Lautsprecheranlage am vorgelagerten Schreibtisch. Gottardo kommt als langer Bürgermeister Kihwan Sim fast dämonisch herüber und singt einen guten Baßbariton. Nicky Spence bekleidet die tenorale Kurzrolle des Isacco. Gianetto wird mit lieblichem Tenor von Francisco Brito gesungen, und man kann die Rolle als Nukleus für den später so berühmten Rossini-Tenore di grazia sehen. Fabrizio wird von Federico Sacchi mit schlankem Baß interpretiert. Den anderen F.V., Vater Ninettas,  singt Jonathan Lemalu mit großer Emphase seines schlackenlosen Baßbaritons. Diese Männer werden aber von 3 Damen noch getoppt. Katarina Leosons (mamma) Lucia singt einen smarten Mezzo mit schöner kompakter Gesangsphrase. Den Pippo der Altistin Alexandra Kadurina mit rhythmisch gestochen perlendenden Koloraturen,  auch farblich berückend im Duett mit dem lieblich timbrierten Sopran von Sophie Bevan, die ihre reine Seele durch alle Lagen und schlimmen Fährnisse hindurch gesanglich in bestem Licht präsentiert. Sie kann damit zu einem geliebten Publikumsmagnet werden.

                           
Friedeon Rosén

 

 

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