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FRANKFURT/ Bockenheimer Depot: DER GOLDENE DRACHE von Peter Eötvös.

04.07.2014 | Allgemein, KRITIKEN, Oper

Uraufführung in Frankfurt:

„Der goldene Drache“ von Péter Eötvös (Vorstellung: 4. 7. 2014)

 Im Bockenheimer Depot in Frankfurt, wo immer wieder Opernraritäten oder Erstaufführungen stattfinden, wurde am 29. Juni 2014 „Der goldene Drache“ von Péter Eötvös nach einem Theaterstück von Roland Schimmelpfennig uraufgeführt.

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Das Bühnenbild wurde von einem bunten Riesendrachen dominiert (Foto: Monika Rittershaus)

 Die Handlung dieser neuesten Schöpfung des erfolgreichen, in Wien lebenden Komponisten, von dem im Vorjahr im Museumsquartier seine Oper „Paradise reloaded (Lilith)“ uraufgeführt wurde, in Kurzfassung: Ein junger Mann aus China, der seine Schwester sucht, hat keine Papiere und leidet an entsetzlichen Zahnschmerzen. Ihm wird im China-Vietnam-Thai-Restaurant „Der goldene Drache“ der schmerzende Schneidezahn mit einer Rohrzange  gezogen, da er ohne Aufenthaltsgenehmigung nicht zum Arzt gehen kann. Der faule Zahn landet in einem Suppentopf und wenig später im Mund einer Stewardess, die zu den Stammkunden des Restaurants zählt. Sie wirft schließlich den Zahn in den Fluss, in den zuvor der bei der „Operation“ verblutete junge Mann geworfen wurde. Eingewickelt in einen großen Teppich soll er den Weg zurück in seine Heimat finden.

 Daneben gibt es noch weitere Handlungsstränge: die Fabel von der Grille, die bei der Ameise Unterschlupf sucht, weil sie nicht für den Winter vorgesorgt hat, und von ihr zur Hure gemacht wird; ein junges Paar, dessen Liebe an einer ungewollten Schwangerschaft zerbricht und den Großvater, der sich mit seinem Alter nicht abfinden kann.

 Über den Inhalt seines Theaterstücks, das 2010 zum Berliner Theatertreffen eingeladen war und nach einer Kritikerumfrage des Fachmagazins „Theater heute“ zum „Stück des Jahres“ gewählt wurde, äußerte sich Roland Schimmelpfennig mit folgenden Worten: „Der Drache arbeitet mit den einfachen Mitteln der Ansage, der Verstellung und des Vorspielens, aber das Ziel des Stücks ist nicht Distanz, sondern das Gegenteil: Nähe, Identifikation. Es geht darum, zu ermöglichen, dass das Publikum den Figuren so nah wie nur irgend möglich kommt.“

 Péter Eötvös (geb. 1944), der für seine Fähigkeiten gerühmt wird, außergewöhnliche Klangwelten zu erschaffen, ließ sich von der Gedankenwelt des Autors inspirieren und schuf eine illustrative Musik mit oft scharfen Klängen, die sich als Kommunikation zwischen Komponist, Interpreten und Publikum versteht. Komponieren besteht für ihn „aus Verzauberung der Zuhörer durch Klang“, wobei sein Interesse einer Technik gilt, mit der „das Unglaubliche zum Klingen“ gebracht werden kann.

 Das Ensemble Modern schaffte es unter der Leitung von Hartmut Keil, die Klänge dieses  modernen Musiktheaterwerks dem Publikum im Bockenheimer Depot in allen Nuancen nahezubringen (die Premiere dirigierte der Komponist selbst). Für die asiatische Atmosphäre sorgte die Regisseurin Elisabeth Stöppler gemeinsam mit dem Bühnenbildner Hermann Feuchter, der aus Müllresten einen eindrucksvollen riesigen bunten Drachen als Hintergrund der Bühne schuf, und der Kostümbildnerin Nicole Pleuler, die für die fünf Darsteller, die in insgesamt 18 Rollen zu schlüpfen hatten, zum Teil sehr witzige Gewänder entwarf.  Beachtenswert die gute Personenführung der Regisseurin, die in diesem Stück mit 21 Szenen, in denen oftmals die Männer Frauenrollen und die Frauen Männerrollen zu singen hatten, besonders wichtig war.

 In der Vorstellung am 4. Juli musste die Sopranistin Kateryna Kasper wegen einer akuten Halsentzündung passen, sodass die Rolle der jungen Frau (bzw. des Kleinen) von der Regieassistentin Corinna Tetzel szenisch hervorragend dargestellt und von der Sopranistin Sarah Maria Sun aus dem Orchestergraben brillant gesungen wurde. Sie beeindruckte besonders in der Abschiedsarie für den toten Jungen, die sie mit einer ans Herz rührenden Innigkeit sang. Musikalisch wurde gerade diese Szene zur großen Oper, wozu auch die Idee, den riesigen Drachen in sich zusammensinken zu lassen, beitrug.

 Eindrucksvoll auch die Mezzosopranistin Hedwig Fassbender als Frau über sechzig und in weiteren fünf Rollen, wobei sie als alte Köchin und als Ameise besonders trefflich agierte.  Als junger Mann mit ebenfalls fünf weiteren Rollen, darunter der Grille, stand der Tenor Simon Bode, der sich gleichfalls als „verkühlt“ ansagen ließ, auf der Bühne. Man merkte ihm bei seinen ambitioniert gespielten Szenen (köstlich als Grille) seine Indisposition nicht an. Seine schauspielerischen Fähigkeiten stellte auch der Tenor Hans-Jürgen Lazar als Mann über sechzig sowie besonders als Stewardess Eva unter Beweis, daneben agierte er auch als alter Asiate, Freund der Enkeltochter und chinesischer Vater. Ihm stimmlich und darstellerisch ebenbürtig – vor allem als blonde Stewardess Inga, die den Zahn in ihrer Suppe fand – zeigte sich der Bariton Holger Falk. Sie alle waren für die Leichtigkeit, mit der sie fortwährend in neue Rollen schlüpften, zu bewundern.

 Das von dieser Art modernen Musiktheaters begeisterte Publikum belohnte die Leistungen aller Mitwirkenden – auch des Orchesters und seines Dirigenten –  am Schluss mit nicht enden wollendem Beifall und vielen Bravorufen.   

 Udo Pacolt

 

 

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