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FEUCHTWANGEN/ Rothenburg ob der Tauber/Kreuzgangsspiele: ANATEVKA

31.07.2013 | Allgemein, KRITIKEN, Oper

Feuchtwangen: Kreuzgangspiele 26.5. – 17.8: Anatevka -Besuchte Vorstellung: 06.07.2013


Er weiß, was das Publikum wünscht: der sympathische Intendant der Kreuzgangspiele Johannes Kaetzler (Foto: Forster)

 Im Kreise der laufenden Festspiele nehmen die Kreuzgangspiele in Feuchtwangen eine ganz besondere Stellung ein. Das schon deshalb, weil sie ausgesprochen lange dauern (siehe Titel) und zudem in jedem Jahr mit drei neuen Produktionen aufwarten. Dieses Jahr gab es sogar eine Wiederaufnahme des Kinderstückes „Rennschwein Rudi Rüssl“, welches in der vergangenen Spielzeit Gross und Klein mit witzigen Sprüchen, viel Action und lustigen Songs begeisterte und hochverdient zum Hit wurde. Der umsichtige Kreuzgangspiele-Intendant Johannes Kaetzler hat die Zeichen verstanden und serviert auch in diesem Jahr dem Publikum einen gefälligen Cocktail: Er hält es hier wie Milchmann Tevje in Anatevka und hält eine lang gepflegte „Tradition“ aufrecht, indem er auch dieses Jahr ein Shakespeare-Stück spielen lässt. Der „Sommernachtstraum“ gerät so sprudelnd und prickelnd frisch wie ein Glas Sekt in einer warmen Sommernacht. Mit dem Kinderstück „Meister Eder und sein Pumuckl“ wird qualitativ nahtlos an „Rudi Rüssl“ der vergangenen Spielzeit angeknüpft – eine Mordsgaudi in welcher der junge Hauptdarsteller Niklas Marc Heinecke singend, lachend, kalauernd, sich überschlagend über die Bühne wirbelt und Meister Eders Werkstatt in ein lustiges Tollhaus verwandelt. Intendant Kaetzler kennt sein Publikum und weiss, was es sich wünscht: vergnügliche Sommerunterhaltung, welche nicht ins Oberflächliche abdriftet. Lachen, Staunen, Geniessen mit Niveau eben!


Wenn ich einmal reich wär … – Ferdinand Dörfler als Tevje im Gespräch mit dem lieben Gott (Foto: Forster)

 Nach dem grossen Erfolg von „My Fair Lady“ vor zwei Jahren setzt Johannes Kaetzler in dieser Spielzeit wieder ein Musical auf den Spielplan und inszeniert es, unterstützt durch Cornelius Henne, gleich selbst. Mit „Fiddler On The Roof“ oder „Anatevka“, wie das Stück hierzulande heisst, kommt ein Musical in den Kreuzgang, welches neben viel Lebensfreude, Humor und fantastischen Songs auch den Aufruf zu Menschlichkeit und Toleranz in sich birgt. Die Aufführung macht Vergnügen, berührt aber auch und macht betroffen – auch das darf sein in einer lauen Sommernacht! Regisseur Kaetzler hat das Stück für die Kreuzgangspiele bearbeitet und auf zwei Stunden (ohne Pause) gekürzt. Sämtliche Kürzungen wurden äusserst sorgfältig vorgenommen und sind absolut vertretbar. Die Möglichkeiten der Bühne sind im Kreuzgang sehr beschränkt. Mit einfachen Holzbrettern werden die Häuser der kleinen Stadt Anatevka angedeutet. Der Rest besorgt die Fantasie des Zuschauers und die stimmungsvolle Beleuchtung von Thomas Schwarzensteiner (auch für den Ton zuständig). Für diese in ihrer Schlichtheit fantastische Ausstattung der Bühne zeichnet Werner Brenner, für die Dekorationsmalerei und Requisite Elmar Sölle verantwortlich. Natürlich hat es auch für ein grosses Orchester keinen Platz. Von der Seite her musizieren Hans Ernst (Klarinette), Franziska Forster (Querflöte/Altflöte), Markus Fritsch (Kontrabass), Bernd Meier (Klavier und musikalische Leitung) und Hildegard Senninger (Violine). Diese kleine Besetzung bringt die jiddischen Klänge verstärkt zum Tragen. Auch der grosse Chor fehlt; somit sind sämtliche Darstellerinnen und Darsteller auch gesanglich sehr gefordert. Die beiden grossen Chornummern „Sunrise, Sunset“ und „Anatevka“ wirken in dieser Art jedoch besonders ergreifend – die Gefahr, ins Pathetisch-Kitschige abzugleiten, wird so eindrücklich vermieden. Ferdinand Dörfler gibt einen wunderbaren Milchmann Tevje, der vom grossen Reichtum träumt und schweren Herzens einsehen muss, dass sich seine Töchter – und somit sein Leben – nicht nach seinen traditionellen Vorstellungen richten. Er nimmt dies an, arrangiert sich – denn schliesslich will er seine Töchter glücklich sehen. Dass er seinen Konflikt mit der dritten Tochter Chava, welche einen jungen Mann nichtjüdischen Glaubens heiratet, nicht wirklich lösen kann, macht am Schluss den Wegzug aus Anatevka nur noch schwerer – es besteht ein Leck in der Familie, welche doch gerade jetzt zusammenhalten sollte. Ferdinand Dörfler geht in dieser Rolle auf und überzeugt vom Anfang bis zum Schluss in jeder Beziehung. Ebenso stark Gabriele Fischer als Tevjes Gattin Golde. Die Ärmste hat ja um ihren Tevje wahrlich keinen leichten Stand und muss sich oft vehement gegen ihren Ehemann behaupten, aber: Sie liebt ihn – und er liebt sie, wie sich die beiden nach 25 Jahren (arrangierter) Ehe (endlich) eingestehen. Diese Szene gerät dem Duo Fischer/Dörfler besonders berührend. Clara Cüppers, Nagmeh Alaei, Sina Schulz überzeugen als Tevjes Töchter Zeitel, Hodel und Chava. Ein besonderes Meisterwerk haben Maskenbildner Manfred Massler und Gewandmeisterin Marion Schultheiss an der jungen Schauspielerin Rabea Lübbe, welche die doch schon etwas in die Jahre gekommene Heiratsvermittlerin Jente spielt, vollbracht. Die ausgezeichnete Maske und Rabea Lübbes fantastisches Spiel machen die Figur zu einem eigenen kleinen Highlight. Mit Konstantin Krisch ist der Schneider Mottel Kamzoil ideal besetzt. Timo Klein überzeugt als Metzger Lazar Wolf. Herrlich verschroben gelingt dem „Urgestein“ der Kreuzgangspiele Wolfgang Beigel die Rolle des Rabbi. Herrlich gerät auch Tevjes Traum, in welchem Nagmeh Alaei als Oma Zeitel und Elisabeth Köstner als Fruma-Sarah schrill ihr Unwesen treiben. In den übrigen Rollen überzeugen Lulu Bail (Mottels Mutter), Mario Thomanek (Perchik), Matthias Klösel (Gastwirt Motschach), Ulrich Westermann (Wachtmeister), Leenert Schrader (Fedja), Giovanni Napoli (Soldat Sasha) und als tänzerisch verspielter Fiedler auf dem Dach Pamela Ferraroni (Choreographie: Emanuele Soavi).

Anatevka in Feuchtwangen – ein schön ausgestattetes, stark gespieltes Vergnügen mit leisen, nachdenklichen Zwischentönen. Beim kühlen Bier im Café Kreuzgang im Anschluss an die Aufführung ist der vielfache Wunsch hörbar, dass nebst dem Shakespeare auch das Musical in Feuchtwangen zur Tradition wird. Und so hoffen wir auf offene Ohren bei Intendant Kaetzler, der bei jeder Aufführung anwesend ist und sich danach gerne unter die Besucherinnen und Besucher mischt.

Michael Hug

 

 

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