Essen/Philharmonie: PARSIFAL – konzertante Aufführung am 26. Januar 2013
Thomas Hengelbrock, Kwangchul Youn. Foto: Sven Lorenz
Mit dem „Parsifal“, Wagners „Bühnenweihfestspiel“, haben Regisseur(innen) so ihre Schwierigkeiten. Einerseits geht es um „Bühnen..spiel“ also dramatische Handlung, andererseits um „Weihfest“, einen dem katholischen Hochamt nachempfundenen religiösen Ritus auf der Opernbühne. Beides kann man anscheinend nicht so einfach zusammenbringen. Bewundert wird aber immer wieder die Instrumentationskunst des „Parsifal“ etwa von Claude Debussy bis hin zu Sir Simon Rattle und Andris Nelsons in einem gemeinsamen Interview in der Wochenzeitung „Die ZEIT“ vom 3. Januar diesen Jahres. Dieses Lob konnte besonders bestätigt werden in einer konzertanten Aufführung, nämlich beim „Ruhr-Parsifal“, zuerst in Dortmund und vergangenen Samstag in der Philharmonie Essen, weil dort versucht wurde, den Klang der Uraufführungszeit wiederzubeleben.. Nun kann man einwenden, Instrumente der Zeit der Uraufführung oder nicht, der „Parsifal“ sei für die spezielle Akustik des Bayreuther Festspielhauses komponiert, aber auch dort hört der Besucher das, was das Orchester spielt.
So war man gespannt auf das „ historischem Instrumentarium“ des Balthasar-Neumann-Ensembles zusammen mit dem Balthasar-Neumann-Chor und ausgesuchten Solisten unter Leitung von Thomas Hengelbrock, dem Meister der „historisch informierten Aufführungspraxis“
Was vor allem hörbar auffiel, war die tiefere Stimmung des Orchesters. Das ergab einen schönen sonoren Klang, insbesondere bei Celli und Kontrabässen. Bei den Violinen bestanden die höheren Saiten nur aus Darm. Da zudem fast ohne Vibrato gespielt wurde, klangen sie weniger durchdringend, eher etwas zarter als gewohnt, wobei man das Vibrato manchmal, etwa beim Karfreitagszauber, durchaus vermisste, vielleicht aber nur wegen langer Gewöhnung an den breiteren Klang. Ganz anders als sonst klang das Englischhorn, hier Altoboe – noch ausdrucksvoller als sonst, wie schön müsste das im „Tristan“ klingen! Bei den anderen Bläsern war kaum ein Unterschied zu hören, sie klangen aber voll, farbig und in perfekter Balance zu den Streichern.. Die nachgebaute „Donnermaschine“ ließ Klingsors Reich mit gewaltigem Lärm untergehen. Die Java-Gongs und Thai-Gongs als Gralsglocken klangen für den Spielort „gotisches Spanien“ doch etwas exotisch, weniger die ebenfalls verwendeten Plattenglocken.
Überhaupt nicht der Zeit der Uraufführung entsprachen die gewählten Tempi. Dirigent Hengelbrock schaffte den ersten Akt in knapp 100 Minuten, da mußten die Gralsritter schon ziemlich schnellen Schrittes schreiten, aber das „weihevolle“ wurde zugunsten einer mit Chor und großem Orchester dargestellten Opernhandlung weitgehendst vermieden.. Das galt vor allem für die dramatischen die Welt Klingsors darstellende Klänge, der spannende zweite Akt war richtig „Große Oper“. Daß die Erzählungen von Gurnemanz im I. Aufzug eher rezitativisch schnell erklangen, erfreute das Publikum und wohl auch den Sänger der Partie. Der hätte auch langsamer singend Erfolg gehabt. Gurnemanz, die eigentliche Hauptpartie des Parsifal, wurde nämlich gesungen vom Bayreuth-erfahrenen Kwangchul Youn. Bei ihm wußte man nicht, was man mehr bewundern sollte, seine alle Register bis zu tieferen Lagen gleichermassen beherrschende Stimme, sein legato, seine p-Töne, manchmal nur gehaucht aber gut hörbar, wie er überhaupt sehr textverständlich sang und auch dem Mitleid mit seinem König Amfortas singend Ausdruck verlieh.
Die für Wagner-Tenöre eher überschaubare Titelpartie wurde gesungen von Simon O’Neill, der passend für den jungen Toren über einen helltimbrierten Tenor verfügte, auch mit der nötigen Kraft etwa für „Nur eine Waffe taugt“, bei ganz hohen Tönen etwas eng klang und manchmal Silben verschluckte.
Angela Denoke, Simon O’Neill. Foto: Sven Lorenz
Angela Denoke als Kundry deutete mehr als die anderen Sänger darstellerisches Spiel an, wechselte für die versuchte Verführung im II. Akt in ein ausgeschnittenes rotes Kleid und meisterte die Partie zwischen Verführerin und Büßerin bis auf einige Schwierigkeiten gegen Ende des II. Aktes großartig, der grosse Sprung vom hohen b zum tiefen cis bei „und lachte“ kam punktgenau.
Mathias Goerne verlieh im grossen Monolog im I. Akt dem Amfortas mitleiderregende Stimme, die Verzweiflung im III. Akt hörte sich auch gegen das hier eher wie gewohnt aufdrehende Orchester glaubhaft an. Im Programmheft wird hervorgehoben, daß er bei Elisabeth Schwarzkopf und Fischer-Dieskau studiert hat, für manchen Gesangsexperten keine Empfehlung!
Ein vollendetes Rollenporträt sang Johannes Martin Kränzle mit der kleineren Rolle des bösen Zauberers Klingsor. Nur mit stimmlichen Mitteln zeigte er den Zyniker über die männliche Schwachheit gegenüber schönen Frauen, aber auch die Not, die ihn ihn dazu trieb, „an sich die Frevlerhand zu legen“, das alles äußerst textverständlich.
Neben Victor von Halem als orgelndem Titurel-Bass erregten ganz besonders die beiden Solisten des Knabenchors der Chorakademie Dortmund Bewunderung, sie sangen wie richtige Profis!
Was die kleineren solistischen Partien so besonders auszeichnete, war ihre sängerische Herkunft aus ganz anderen Musikwelten als Wagner, so studierten etwa dritter und vierter Knappe am Mozarteum in Salzburg, die ganz verführerisch singenden (und auch Spiel andeutenden) Blumenmädchen waren mehr in Barock und Moderne bisher tätig als bei Wagner.
Dies gilt natürlich auch für den gesamten Balthasar-Neumann-Chor, der seine umfangreichen Aufgaben ausdrucksvoll und textverständlich, aber wenn nötig auch klangmächtig bewältigte. Trotz ganz oben im Rang über der Bühne aufgestellt sang der Knabenchor der Chorakademie am Konzerthaus Dortmund präzise mit sicheren Einsätzen und wunderbar klangschön. Alles wurde auswendig gesungen!
Durch Hörner, die im I. Akt seitlich von aussen ertönten wurde zusätzlich etwas Theateratmosphäre vermittelt.
Dieser schnellste „Parsifal“ aller Zeiten war innerhalb des selbstgesteckten Rahmens auch einer der eindrucksvollsten, die ich bisher hörte. Dieser Meinung war wohl auch, das Publikum in der fast ausverkauften Philharmonie, es durfte in Essen auch schon nach dem I. Akt applaudieren, tat dies reichlich auch vor dem II. und III. Akt und zum Schluß langandauernd gemischt mit Bravos für Sänger, Chor und Orchester und insbesondere für Thomas Hengelbrock als den Initiator dieser denkwürdigen Aufführung.
Wer dies nachprüfen will, kann am 19.05.12 in WDR 3 ab 19.05 Uhr eine Aufzeichnung hören.
Sigi Brockmann
Fotos Sven Lorenz