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ERFURT/ Domstufenfestspiele: TURANDOT – Premiere

05.07.2013 | Allgemein, KRITIKEN, Oper

ERFURT/ Domstufenfestspiele: TURANDOT – Premiere

20-jähriges Jubiläum der Erfurter Domstufen-Festspiele: Giacomo Puccinis Oper “Turandot”. Premiere am 4.7.2013


Vazgen Ghazaryan, Marsica Mulder, Sergej Nayda. Foto: Domstufenfestival Erfurt

Zwei Jahrzehnte finden nun die Erfurter Domstufen-Festspiele statt und Generalintendant Guy Montavon begrüßte alle Honoratioren überschwänglich und klopfte, wie gewohnt, dreimal auf den Bühnenboden. Die fast 2000 Plätze sind gefüllt und die Gäste schmunzelten zurück. Damit begann die Vorstellung…

Ein riesiger chinesischer Drache schaut zwischen den beiden katholischen Kirchen, dem Dom St. Marien und der Severikirche, auf ein staunend erwartungsgespanntes Publikum.

Das von der Chinesin Hsiu Chin Tsai entworfene Bühnenbild fasziniert und fesselt zugleich. Es widerspiegelt die Symbolik, die Ornamente und die Prächtigkeit der alten Kaiserreiche, vor allem der Tang-Dynastie.

Die Karos auf den Domstufen symbolisieren Macht und Glück, aber auch Gut und Böse, das Rot, gilt in China für Glück, das Schwarz für das Böse. Die Gegensätze liegen der Inszenierung schon auf den Treppenstufen zugrunde. Gegensätzlich wirkt auch die Gesamtanmutung. Über den Stufen erheben sich weiße Fahnen mit chinesischen Schriftzeichen, sie enthalten die Lösungen der drei Rätsel und andere Botschaften.

Und gegensätzlich wirkt auch die Inszenierung. Zu Beginn vermischen sich noch Commedia dell’ Arte und vielleicht “Regietheater”. Die Figuren der Commedia dell’ Arte zeigen archetypische Seiten der Menschen und theatralisieren sie. Arlequin, Polichinelle, Colombine, Pantalon sind Namen, die wir alle schon gehört haben, aber vielleicht wenig kennen. Und doch finden sich Seiten dieser Figuren in jedem von uns! Carlo Gozzi wollte in seinen szenischen Märchen den Beweis erbringen, dass selbst absurde Zauberstücke und Verwandlungsszenen Lebenswahrheit vermitteln und dramatische Überzeugungskraft haben können. Gozzis Turandot erlangte durch Karl Gustav Vollmoellers Arbeit von 1911, zu der Ferruccio Busoni die Bühnenmusik komponierte, wieder eine solche Popularität, dass Busoni eine eigene Opernfassung textete und komponierte.

Auch Giacomo Puccinis nicht ganz vollendete Oper Turandot basiert eben auf Gozzis Stück. Daran knüpft der Regisseur Marc Adam an. Zu Beginn gelingt das auch, da ist Bewegung. Der Henker kommt und schleift sein Schwert für den hinzurichtenden Prinzen, der wird auf den schwarz-roten Stufen nach oben geführt, verschwindet hinter den Kulissen und dann wird, blutiges Spektakel, wie bei der französischen Revolution der abgeschlagene Kopf präsentiert. So weit, so spannend! Doch warum ist der Chor dann plötzlich verschwunden, singt verteilt am Fuße der Stufen und die Bühne bleibt unbespielt? Die Frage kann wohl als das vierte Rätsel bezeichnet werden, denn die Schlüssigkeit der Inszenierung leidet darunter enorm.

Dabei hatte Regisseur Marc Adam zu Beginn viele kongeniale Einfälle. Da kommt beispielsweise der Chor mit kleinen Spieluhren und tritt ans Publikum heran. Freundlich die Aufmerksamkeit erheischend, spielen die Choristen die Melodien aus Turandot („Ma il mio mistero è chiuso in me“, und „Nessun dorma-Geheimnis“). Das ist bei einer Freiluftaufführung gewagt, bindet aber ganz die Aufmerksamkeit des Publikums. Dramaturgisch spannt sich da schon ein Bogen, unter Verzicht auf die dissonante Ouvertüre. Der Spannungsbogen bricht aber jäh ab, schade!

Dieser erste Akt wirkt statisch, weil die Massenszenen des Chores gar nicht ausgeführt werden, doch das ist schließlich ein zentrales Element der Oper und für die Domstufen wäre es allemal geeignet.

Aus dem ersten Akt geht man etwas ratlos in die Pause.

Der 2. und 3. Akt versprechen mehr, aus dem Chor ist eine Terrakotta-Armee geworden, so wie man sie im Mausoleum des Qin-Kaisers sehen kann. Pierre Albert hat die Kostüme gestaltet, er erweckt eine Terrakotta-Armee auf der Bühne. Das schafft einen spannenden Eindruck, denn schließlich lebt Turandot von den Chorszenen. Trotzdem wirkt alles immer noch sehr statisch und die Kunst der Regie hätte darin bestanden, gerade den Chorszenen mehr Dynamik zu geben. Patrice Chéreau und Walter Felsenstein sind da gute Lehrmeister.


Carter Scott in der Titelrolle. Foto: Domstufenfestival Erfurt

In den Rollen singen zur Premiere: Carter Scott als Turandot – im Rahmen der DomStufen-Festspiele 2013 erstmals zu Gast am Theater Erfurt, Calaf, Sergey Nayda, Altoum, Robert Wörle, Timur, Vazgen Ghazaryan und Liu, Marisca Mulder. Die Minister: Pang, Jörg Rathmann, Ping, Máté Sólyom-Nagy und Pong, Benedikt Nawrath – sowie als Mandarin, Sebastian Pilgrim.

Carter Scott verkörpert anschaulich eine herrische Turandot und wirkt stimmlich sehr souverän. Dennoch räumt ihr die Regie zu wenig Möglichkeit ein, sich als Herrscherin zu präsentieren. Wenn sie auftritt, dann oft allein und ohne jede Interaktion mit dem Chor. Das schafft, vor allem in dieser großen räumlichen Distanz, fast eine Verlorenheit, zumindest optisch. Auch hier sind die Chancen des Stückes versäumt.

Besonders emotional beeindruckt Marisca Mulder als Liu. Sie versteht es Emotionalität mit Wahrhaftigkeit zu verbinden, hier stimmt jeder Ton und jede musikalische Phrase. Diese Fähigkeiten lassen das Publikum mitgehen und vor allem die Todesszene wird zum Höhepunkt, sowohl musikalisch als auch dramatisch.

Vazgen Ghazaryan als Timur ist ein stimmlich glaubwürdiger enttrohnter König. Spielerisch setzt er seine Rolle überzeugend um, sein voller Bass vermittelt auch die Wehmut über Vergangenes und die notgetränkte Sorge um den Sohn.

Sergey Nayda als Calaf klingt etwas metallisch. Nicht alle Töne stimmen immer. Gesangstechnisch überfordert ihn die Rolle an diesem Abend. Vielleicht sind einige Gründe auch in der Übertragungstechnik zu suchen. Die von allen herbeigesehnte Arie „Nessun dorma“ glückt ihm aber dennoch besser.

Die drei Minister: Ping, Máté Sólyom-Nagy, Pang, Jörg Rathmann, und Pong, Benedikt Nawrath nehmen ja den roten Faden der Geschichte auf und das machen sie auch gesanglich bravorös. Auch der chinesische Kaiser Altoum, gesungen von Robert Wörle, ist überzeugend. Für die Hauptrollen gibt es Mehrfachbesetzungen: Turandot, Irina Rindzuner, am Theater Erfurt gab sie in der Saison 2011/12 ihr Debüt als Abigaille in Verdis Nabucco. Ilia Papandreou und Daniela Gerstenmeyer werden noch die Liu singen, beide gehören zum Erfurter Ensemble. Für die drei Minister treten Florian Götz, Thomas Stückemann und Marwan Shamiyeh noch auf. Beim Mandarin kommt auch noch Juri Batukov ins Spiel.

Die Ausstattung ist üppig, insgesamt 200 Kostüme stellte Gewandmeisterin Susanne Ahrens mit 17 Schneidern, Hut- und Schuhmachern her.

Die Kostüme sind ein Kaleidoskop aus klassischen Schnitten der asiatischen Sphäre mit märchenhafter Anmutung und die Masken lehnen sich auch an die Commedia dell’arte an, erinnern aber gerade bei den drei Ministern ein wenig an „Fluch der Karibik“.

Solide, wie ein Schweizer Uhrwerk, wird das Philharmonische Orchester unter der Leitung von Samuel Bächli geführt. Der Chor mit sicherer Hand von Andreas Ketelhut geleitet, ist musikalisch wieder ausgezeichnet und hätte sicher an mehr Spielmöglichkeiten Freude gehabt. Das Lichtdesign ist anspruchsvoll und wird von Thomas C.Hase illuminiert.

Zum 20-jährigen Jubiläum der Erfurter Domstufen-Festspiele ist der Publikumsraum neu gestaltet, fast 2000 Zuschauer finden auf der neuen Tribüne mit Rückenlehnen Platz.

Turandot gehört zu den unvollendeten musikalischen Werken, weil Puccini 1924 verstorben ist. Seitdem rätselt man über den wahren Schluss. Kommen die Beiden zusammen, gibt es ein Happy-End? Arturo Toscanini beauftragte einen Komponisten und strich dann wieder fast alles. In Erfurt hat der Regisseur Marc Adam auf diesen nachträglichen Schluss verzichtet. Er überlässt es dem Publikum als eigene Entscheidung, ob Tragik oder Liebesglück am Ende gewinnt.

Das Theater Erfurt hat sich im Jubiläumsjahr für die unvollendete Puccini-Oper entschieden. Der langanhaltende Applaus von 2000 Premierenbesuchern zeigt, dass die Kulisse von Mariendom und Severikirche, in Verbindung mit einem interessanten, von der Chinesin Hsiu Chin Tsai entworfenen Bühnenbild, schon lockt. Generalintendant Guy Montavon und sein internationales Team können sich freuen.

Bis zum 21. Juli ist die Oper noch 14 Mal zu erleben.

Thomas Janda

 

 

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