Im Porträt: Dirigentin Elisabeth Attl „An die Grenzen gehen…“
Elisabeth Attl. Foto: privat
In Wien geboren; Akademisches Gymnasium; Studium Dirigieren, Klavierkonzertfach und -pädagogik – Musikuniversitäten Wien und Salzburg und in den USA.
Erstes Festengagement: Wiener Volksoper. Konzerte mit dem Niederösterreichischen Tonkünstlerorchester, in Montenegro, Irland, Straßburg, Mulhouse, Barcelona, Luxemburg, Berlin, Brandenburg, Rheinische Philharmonie; Operndirigate und Assistenz: Deutsche Oper Berlin, Genua, Baden-Baden, Salzburger Festspiele, Barcelona, Klangbogen Wien, Festival de Musique de Strasbourg…
So weit, so normal, könnte man sagen. Aber über Elisabeth Attl ist etwas mehr zu sagen als die Aufzählung bisheriger Wirkungsstätten (womit so manche Opernhäuser und Agenten fragwürdige Engagements rechtfertigen zu können glauben).
Während ihrer letzten Opernproduktion: „Talestri, regina delle Amazzoni“ von Maria Antonia Walpurgis (1724-80) am Wiener Kosmostheater, wo sie für die musikalische Leitung, die Einstudierung und das Casting zuständig war – siehe Merker 2/13 – erwachte in mir das heftige Bedürfnis, diese hochtalentierte Frau näher kennen zu lernen. Voller Elan, spannungsreich und mit höchster Expressivität hatte die Dirigentin ein unbekanntes Werk aus der Zeit der Frühklassik zu überaus lebendigem Leben erweckt. Spontan war man von dieser Musik gefesselt, konnte sich mit den Gefühlen der handelnden Personen identifizieren und staunte nicht wenig, was sich mit einem Ensemble von 9 (neun) Musikern und 5 Sängern alles bewegen lässt.
Hineingeboren
Ich wusste, dass sie aus der Guschlbauer-Familie kommt, dass sie die Nichte des Dirigenten Theodor Guschlbauer und unseres im Dezember verstorbenen Frankreich-Korrespondenten Dr. Wilhelm Guschlbauer ist (der als Biochemiker in Paris tätig war). Das volle Ausmaß des künstlerisch-akademischen-multinationalen Erbteils habe ich jetzt erst erfahren. Es flößt Respekt ein. Ihre Mutter war Romanistin, unterrichtete Französisch und Spanisch. Die Großmutter, Französisch- und Englisch-Lehrerin, lebte in Lyon, später mit dem Großvater, Dipl.Ing. für Maschinenbau, in Paris, wo Willy und Johannes geboren wurden. Als die Familie nach Wien zurückkehrte, kamen Theodor und als jüngstes Kind Elisabeths Mutter Friederike auf die Welt. Kinder und Kindeskinder sind fast auf die ganze Welt verteilt, u.a. ist eine Tochter von Willy mit einem Iren verheiratet, der das Clonmel Junction Festival in Tipperary gegründet hat. Elisabeths Cousine Dorothea Schönwiese ist eine hervorragende Cellistin im Concentus Musicus.
Väterlicherseits gibt es böhmische Vorfahren, woher auch der Familienname kommt. Elisabeth Attls Mann ist zwar Jurist (Kammeramtsdirektor der Zahnärztekammer), aber natürlich sehr musikalisch interessiert, und der sehr vife 6-jährige Sohn Emil spielt bereits eifrig Geige. Die Schwägerin ist jene Elke Hesse, deren Name in Verbindung mit dem neu eröffneten Wiener Sängerknabensaal im Augarten ins Bewusstsein der Musikliebhaber trat: sie war die Initiatorin und ist die Leiterin dieses Instituts.
Was sich da an Initiative, an Können und Wissen, Fleiß und Organisationsvermögen geballt präsentiert, ist allein schon der Aufmerksamkeit wert.
Elisabeth Attl. Foto: privat
Eigeninitiative
Aber Elisabeth Attl bedurfte keines familiären Nachdrucks und keiner Protektion.
Mit Onkel Theodor gibt es regelmäßige Treffen – stets mit einem Stoß Partituren, die dann gemeinsam durchgegangen werden. Sie hat viel bei ihm assistiert, u.a. bei einem „Don Giovanni“ in Straßburg (wo er bekanntlich GMD war und immer noch wohnt). Er hat ihr viel beigebracht, ist aber auch für Anregungen oder Ratschläge ihrerseits aufgeschlossen.
Die Sprachbegabung der gesamten Familie und die Begierde, möglichst viele davon gut zu beherrschen, hat sich auf die Dirigentin vererbt. Sie bezeichnet sich selbst als „sprachbesessen“ und ist mit Englisch, Französisch, Italienisch und Spanisch unterwegs und eben dabei, Tschechisch zu lernen, nicht nur wegen der Vorfahren, deren Geburts- und Wirkungsstätten die Attls immer wieder gern besuchen, sondern vor allem, um die Texte ihres geliebten Leoš Janáček genau zu verstehen.
Damit sind wir auch schon bei ihren Arbeitsprinzipien.
Lehrjahre
Rückblickend auf ihre bisherige Dirigiertätigkeit, sieht Frau Attl zwei Entwicklungsstadien. Das Studium bei Leopold Hager, Michael Gielen und James Moore, die alle sehr präzises Arbeiten forderten, brachte ihr die Erlernung des „Handwerks“ und das Berufsethos: „Das Werk beherrschen, der Sache dienen!“ Ihre Tätigkeit als Assistentin und Repertoiredirigentin an der Volksoper gute Praxis und Flexibilität. Um schließlich alles in Klang umzusetzen, was man aufgrund des Partiturstudiums für gut und richtig hält, bedarf es nicht nur ausreichender Proben, sondern auch des richtigen Umgangs mit dem Orchester. Sie erzählt von verschiedenen Erfahrungen, wie sie bei Neuübernahme eines Werkes mit Diplomatie und guter Laune die Musiker dahin brachte, wo sie sie haben wollte. Eine lustige Anekdote zu erzählen, eine Berichtigung auf humorvolle Weise anbringen, kann hilfreich sein. „Im Lehrberuf ist es ja schließlich genau so“, fügt sie hinzu, was ich natürlich nur bestätigen kann.
Doch wurde ihr während ihrer Volksopernzeit (2003-2009) immer klarer, dass die bisher erarbeiteten Kenntnisse und Fähigkeiten noch nicht alles sein können. „Ich habe damals noch unreflektiert gearbeitet.“ Die Entscheidung, aus dem Festengagement wegzugehen, habe sich als richtig erwiesen. Um alles aus einem Stück herauszuholen, brauche man viel mehr Zeit und muss viel gründlicher arbeiten können, als dies im Repertoirebetrieb möglich ist.
Basisarbeit
Die Arbeit an „Talestri“ empfand sie als tief befriedigende Aufgabe. „Wir haben an der Partitur nichts geändert, nur in der letzten Arie musste die Traversflöte durch ein Englischhorn ersetzt werden.“ Das vozügliche WienerKlassikNonett und Sänger, die sie sich im Hinblick auf die Ausrucksfähigkeit der Stimmen ausgesucht hat, waren eine gute Basis.
„Ich gehe immer vom Text aus und folge der Dramaturgie und fordere die Sänger auf, ebenfalls davon auszugehen. Z.B.: Was kann man mit einer Doppelkonsonanz ausdrücken? Wie viel Atem ist für eine musikalische Phrasierung nötig? Ich habe mir ein großes Italienischwörterbuch gekauft, sodass ich wirklich jede Einzelheit verstehe – wie weiß ich sonst, wo ich eine Phrasierung machen kann? Und natürlich kenne ich den Text immer auswendig!“
Die Gestaltungsfähigkeit von Heidi Brunner, der Hohepriesterin, die – zunächst unwissend – ihren eigenen Sohn hinrichten lassen soll, kannte Elisabeth Attl ja schon von der Volksoper. Mit Anna Manske wurde auf der Basis von Mozart-Gesang die schwierige Mezzorolle der Amazonenkönigin Talestri erarbeitet. Ivana Canovic (eine Schülerin von Heidi Brunner) musste als Antiope mit einem Tonumfang vom kleinen b bis zum D3 zurechtkommen. Und alle kamen zurecht. Und dem Publikum war keine Arie zu lang! „Wir haben gewagt und gewonnen!“
Solche Grenzerfahrungen sind Elisabeth Attl immer wichtiger geworden.
Sie freut sich, dass „Talestri“ im Herbst (11.10.-22.10) wieder aufgenommen wird. Eine zweite Oper von Frau Walpurgis, „Il trionfo della fedeltà“ fände sie etwa für die Kammeroper geeignet.
Mozart
Aufgrund eines kurz vorher gehörten frustrierenden Mozart-Dirigats an prominenter Stelle war ich nur zu begierig, mich mit Elisabeth Attl über ihre Herangehensweise an diesen Komponisten zu unterhalten, der in ihrer bisherigen Laufbahn den größten Raum einnimmt. „Zauberflöte, Don Giovanni und Figaro sind bei mir jederzeit abrufbar“ bemerkt sie lachend.
Ein paar Stichworte, was sie am „Figaro“ besonders reizt und begeistert: „In der Ouvertüre geht es in den ersten 6 Takten gleich von Null auf Hundert…die Strukturen im Holz, die Synkopen, die Vorhalte in den Flöten und Oboen, die Fagotte (die sind ja bei Mozart das Köstlichste)…Der geniale Allegro-Anfang des 1. Aktes – man versteht sofort, worum es in dem ganzen restlichen Stück gehen wird… Das Duett Susanna-Marcellina voll raffinierter Bissigkeiten zwischen zwei Frauen– unglaublich, wie Mozart alles szenisch auskomponiert hat…“ Bemerkenswert die Wahl der Tonarten – „Das Duett Graf-Susanna in A-dur erreicht einen unmittelbar!“ Besonders der Gestaltung der Rezitative misst Frau Attl große Wichtigkeit bei. Auch da ist ihr wieder die Verdeutlichung von Text und Inhalt ein Anliegen.
Auf meine Frage, wie sie das Finale von „Così fan tutte“ sieht, ob alles eitel Wonne sei oder überhaupt keine Lösung gezeigt werde, hat sie eine interessante Antwort: „Die Länge der ersten Szene, also der langwierige Abschied der Liebenden, lässt darauf schließen, dass am Schluss alles wieder so wird wie früher. Nicht eitel Wonne, aber auch keine Veränderung. Ob die damit glücklich sind oder nicht, ist eine andere Frage. Die eigentliche Entwicklung der Charaktere im Laufe der Oper wird nur in der Musik hörbar.“
Zum Thema Mozarts Erotik – „Er hatte sicher eine stark vegetative Veranlagung – als Interpret kann man sich darauf einlassen oder nicht – man muss wissen, ob man da an die Grenzen gehen will! Im Repertoire ist das stets eine Herausforderung – zu wissen, dass man daran auch scheitern kann.“
Und sie fasst zusammen: „Dirigenten sind nur Interpreten. Aber sie müssen, wie schaffende Künstler, die Möglichkeit haben, etwas auszuprobieren.“
„Wie schafft man es, über bloßes Taktschlagen hinaus die Seele und die Dynamik dieser Musik hörbar zu machen?“ ist meine Kardinalfrage. Die Antwort finde ich faszinierend:
„Ich glaube, dass es wichtig ist, den Puls nicht zu verlieren. Das ist bei Mozart, wenn man der natürlichen Phrasierung folgt, ohnehin fast unmöglich. Mit dem „Puls“ meine ich auch nicht ein „Hudeln“ oder „spritzig sein“ – das ist ja reine Interpretation. Nein, ich meine eher eine Art „Energiezufuhr“: Wie komme ich auf völlig natürliche Weise zu dieser notwendigen Energie? Und da meine ich eben, bin ich bei Mozart besonders gut aufgehoben: durch genaue Linienführung , also das, was man als Phrasieren bezeichnet, kann ich mich innerhalb der doch sehr klaren Form der Klassik völlig frei bewegen, elastisch bleiben und dadurch aus der Musik die Impulse bekommen, die mich ohne Anstrengung immer wieder weitertragen.
Das geht erstaunlicherweise bei meinem heißgeliebten Haydn nicht so friktionsfrei und von Beethoven ganz zu schweigen! Da kommen andere Parameter zum Tragen. Da geh ich allerdings auch anders heran.“
Internationale Tätigkeit
Während Elisabeth Attl in der Volksoper neben den erwähnten Mozart-Opern einerseits das „leichtere“ Repertoire wie Land des Lächelns, Fledermaus, Der Vetter aus Dingsda, Boccaccio, Bettelstudent, Im Weißen Rössl, dazu die ja fast schon wagnerische Oper Hänsel und Gretel, aber auch mit großer Begeisterung die „Meistersinger“-Produktion (Mielitz-Inszenierung) mitbetreut hat, sich Werken des 20.Jhs. wie Erwartung/Il Prigioniero und mit besonderer Hingabe Ballett-Dirigaten verschrieben hat, u.a. Nussknacker und in Zusammenarbeit mit Manuel Legris 2011 und 2012 den Ballettabend „Junge Talente“ geleitet hat, ist sie an internationalen Bühnen ins ganz große Opernfach eingestiegen.
Einem Verdi-Requiem an der Deutschen Oper Berlin 2001, einer Zauberflöte in Genua 2002 und im selben Jahr Fidelio bei den Festspielen Baden-Baden sowie als Assistentin Zauberflöte in Salzburg folgten als Mitarbeiterin von Bertrand de Billy im gesamten musikalischen Bereich am Liceu in Barcelona Produktionen von Vec Makropulos (mit Silja), Puritani (Gruberova), Samson et Dalila (Carreras/Cura), Aida und Frau ohne Schatten (Thomas Moser, Susan Anthony, Hanna Schwarz; Eva Marton), wo sie die große Freude hatte, für Peter Schneider, der erst später abkömmlich war, alle Proben bis zur Premierenwoche machen zu dürfen und dann eine wunderschöne Zusammenarbeit mit ihm incl. Hauptprobe, die er sie dirigieren ließ, zu erleben.
Selber dirigiert hat sie am Liceu Turandot (mit Eva Marton), Ballo in maschera, Le nozze di Figaro, Zauberföte, Lucia di Lammermoor und La serva di padrona.
Interessiert hat mich, ob sie als dirigierende Frau jemals auf Vorurteile und damit vielleicht auf Schwierigkeiten gestoßen ist. Da lacht sie: „Seltsamerweise überhaupt nicht in den südlichen Ländern wie Spanien, Italien und Montenegro. Da fand man das ganz normal, dass ich dirigiere. Wohl aber in Deutschland und Österreich, wo doch die Frauen emanzipiert sind…“
Da muss sich die Frage anschließen, ob sie schon mit der Wiener Staatsoper Kontakt aufgenommen hat? „Ja, ich hatte ein sehr schönes, ausführliches Gespräch mit Dominique Meyer. Nur geht das natürlich nicht von heute auf morgen, da ja alles auf Jahre im voraus geplant wird.“
Und auf die Frage, welche Stücke ihr denn ein Anliegen wären, nennt sie spontan Werke des 20.Jhs.: Janáceks Vec Makropoulos und Die Ausflüge des Herrn Broucek, Korngolds Tote Stadt, Schmidts Notre Dame, Dantons Tod von Gottfried von Einem und auch Franz Schrekers Opern.
Wir werden uns auf jede neuerliche Begegnung mit dieser interessanten Künstlerin freuen!
Sieglinde Pfabigan