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DRESDEN/Semperoper: LA BAYADERE

Dresden/Semperoper: ZWEI UMJUBELTE AUFFÜHRUNGEN VON „LA BAYADÈRE“ IN
UNTERSCHIEDLICHER BESETZUNG
– Ballett – 4./5.7.2013

 
Nikija, die Tempeltänzerin. Foto: Semperoper

Mit dem großen Gong wurde im alten China die Vollstreckung eines Todesurteils angekündigt. Hier eröffnet er die Musik zu einer traurigen Geschichte, die im alten Indien spielt und sich in einem romantischen Handlungsballett mit klassischen Tanzstrukturen,
erweitert um Elemente des Ausdruckstanzes, entwickelt. Die Musik stammt von Léon (Ludwig) Minkus, einem österreichisch-ungarischen Ballettkomponisten tschechischer und polnischer Herkunft.

 Das Bühnenbild wie aus „1001 Nacht“ (Arne Walther) und die großartigen tänzerischen Leistungen ziehen immer wieder viel Publikum magisch an. Vor allem kommen sehr viele Jugendliche, angehende Tänzerinnen und Tänzer von der Palucca Schule – Hochschule für Tanz, aber auch viele Jugendliche, die einfach nur einmal in die Faszination einer fernen Welt eintauchen, einen Rausch der Farben und Sinne, etwas Besonderes und Ungewöhnliches erleben möchten als Gegenpol zu dem gegenwärtigen Alltag, der mehr und mehr die Bühnen erobert, den sie aber ohnehin kennen. Es ist der ungebrochene Reiz des romantischen Balletts, der seine Wirkung auch in unserer Zeit nicht verfehlt.

 Die Kostüme (Erik Västhed) wirken in ihrer geschmackvollen Farbigkeit keineswegs „kitschig“, sondern wunderbar abgestimmt. Sie sorgen für Abwechslung durch immer neue Farbkombinationen, die die Tänze und damit auch den Fortgang der Handlung unterstreichen. Zusammen mit Choreografie und Bühnenbild ergeben sie immer wieder neue, schöne Bilder.

 Aaron S. Watkin schuf eine einfallsreiche, stimmige Choreografie nach Marius Petipa mit äußerst schwierigen Figurenkonfigurationen, Sprüngen und Pirouetten, die nicht selten nahtlos in einen eleganten Pas de deux mit hohen Schwierigkeiten übergehen. Solisten und Corps de Ballet meistern das alles mit großem Können, Akribie und Hingabe.

 Die beiden Abende boten noch etwas Besonders, den Abschied des 1. Solotänzers Guy Albouy (4.7.), seit 2008 Erster Solist des Semperoper Ballett, der auf dem Zenit seines Könnens schon die Bühne verlässt, und den Auftritt von Polina Semionova als Gast (5.7.). Das fordert den Vergleich heraus, aber es gab kaum Qualitätsunterschiede, höchstens kleine Unterschiede in der persönlichen Auffassung und Darstellung der Rolle. Das hatte alles seinen Reiz und seine Berechtigung.

 An seinem letzten Abend (4.7.) – er wird lediglich noch einmal in der Ballett-Gala (10.7.) mit einem (kürzeren) Auftritt vertreten sein – bot Guy Albouy noch einmal alles auf für die Rolle des edlen Kriegers Solor, der zwischen der Liebe zur Tempeltänzerin Nikija und Hamsatti, der Tochter des Radschas, hin und her gerissen wird. Mit großen, weiten Sprüngen „betrat“ er die Bühne und „lief“ während des Abends zur „Hochform auf“. Immer wieder war man im Laufe des Abends von seinen tänzerischen Fähigkeiten sehr angetan. Nach dieser großartigen Leistung möchte man sagen, schade, dass er sich schon jetzt, auf dem Höhepunkt seiner Karriere von der Bühne zurückzieht. Es war ein glanzvoller, „letzter“ Abend und Abschied mit langanhaltendem, begeistertem Applaus. Ballettdirektor Aaron S. Watkin, ließ es sich nicht nehmen, ihm persönlich den großen Blumenstrauß zu überreichen und ihn ins „Privatleben“ zu verabschieden, das vielleicht zur Lehrtätigkeit führt.

 Tanztechnisch sehr versiert und für seine besonders hohen, weiten Sprünge bekannt, präsentierte Jiri Bubenícek (5.7.) mit seinen sehr ästhetischen Bewegungen, sehr guten Sprüngen und Drehungen und als Partner im Pas de deux einen ausdrucksstarken Solor. Er verband die tänzerischen Leistungen mit einer entsprechenden Charakterdarstellung, die auch die seelischen Vorgänge dieser Gestalt deutlich machte. Ihm liegt der Tanz „im Blut“. Jede seiner Bewegungen wird zur „Augenweide“. Trotz seiner Erfolge als Choreograf bleibt er hoffentlich dem Semperoper Ballett noch lange erhalten.

 Bei den beiden Protagonistinnen, die die Tempeltänzerin Nikija darstellten, fällt der Vergleich ebenfalls schwer. Beide tanzten ihre Partien sehr exakt und mit großem Können. Natalia Sologub, immer wieder in wichtigen Rollen an der Semperoper bewundert, zeigte einmal mehr ihr enormes Können, mit ausgezeichneter Körperhaltung, kraftvoll, professionell und exakt bis in die letzte „Faser“ ihres durchtrainierten Körpers. Bei ihr wird jede Bewegung zu einem optischen Genuss. Trotz aller Schwierigkeiten erscheint bei ihr alles sehr leicht. Sie begeisterte mit scheinbar endlosen Pirouetten, schönen Sprüngen und sehr geschmeidigen Figurenkombinationen im Pas de deux.

 Während die Sologub eine eher selbstbewusste Nikija tanzte, war Polina Semionova, seit September 2012 Erste Solistin des American Ballet Theatre (ABT) in New York, mit ihren sehr schönen, grazilen Armbewegungen eine eher zarte, sensible, fast zerbrechlich wirkende Tempeltänzerin. Leicht wie eine „Feder“, berührte sie mit den Füßen kaum den Boden und schwebte beim Pas de deux wie eine Fee in die Höhe.

 Die anderen Rollen waren an beiden Abenden gleich besetzt. Svetlana Gileva tanzte eine edle, sehr grazile, feinfühlige Radschastochter Hamsatti, die mit Verständnis und Hingabe Solors Liebe zu erringen sucht. Oleg Klymyuk verkörperte einprägsam den würdevollen und mit menschlichen Schwächen behafteten Hohen Bramanen Kanj. Mit ungeheuer geschmeidigen Bewegungen vertiefte sich Jan Oratynsky in die Rolle des bis zur Selbstaufgabe unterwürfigen obersten Fakirs.

 Ausgezeichnete Leistungen brachten auch Denis Veginy mit äußerster Körperbeherrschung als das Goldene Idol und die drei Damen Chiara Scarrone, Julia Weiss und Sangeun Lee im „Königreich der Schatten“, die Gelegenheit hatten, ihre „Spezialitäten“ in ausgezeichneter Qualität vorzutragen.

 Alle Tänzerinnen und Tänzer bis in die letzte Reihe waren bemüht, immer genau mit der Musik zu tanzen, was auch oft in schöner Weise, manchmal punktgenau, gelang. Das sind dann die großen Momente eines Ballettabends, wenn alles zusammen passt, die Musik, die Choreografie und die Ausführenden, nicht nur die Tänzer, sondern auch die Auffassung des Dirigenten und das Orchester. Oft verschmolzen die Tanzbewegungen mit Musik, Bühnenbild und Kostümen zu einer untrennbaren Einheit. Von diesen glücklichen „Momenten“ gab es an beiden Abenden viele, und sie dauerten oft lange. Manchmal waren die Tanzenden ganz eins mit der Musik.

 Unter der Leitung von David Colemann spielte die Sächsische Staatskapelle Dresden mit Gewissenhaftigkeit, Verständnis für das Werk und ihrem unnachahmlichen Klang, einschließlich schöner Harfenklänge, sanftem Violinsolo (Matthias Wollong) und beseeltem Cellosolo (Simon Kalbhenn) in den höchsten Tönen.

 Minkus‘ melodisch und rhythmisch ansprechender Musik fehlt zwar manchmal die anspruchsvolle Durchdringung mit Hinblick auf die Instrumentierung, aber sie drängt sich nicht in den Vordergrund. In dieser sehr guten Wiedergabe war sie ein wesentlicher Bestandteil des Gesamteindrucks. Diese Musik lebt vom Reichtum der Emotionen. Sie teilte sich den Tänzern mit, die sie adäquat in Körperbewegungen umsetzten.

 Ingrid Gerk

 

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