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DRESDEN/Gläserne Manufaktur von VW: RUSSISCHE NACHT BEI „KLASSIK PICKNICKT“

16.06.2013 | Allgemein, KRITIKEN, Oper

Dresden / Gläserne Manufaktur von Volkswagen: „RUSSISCHE NACHT“ BEI „KLASSIK PICKNICKT“ – 15. 6. 2013


Die Gläserne Manufaktur von Volkswagen

 Die Sächsische Staatskapelle Dresden einmal anders – das ist einmal im Jahr ein Abend, nicht wie gewohnt, in der Semperoper oder einem Konzertsaal weltweit, sondern unter freiem Himmel für die Besucher und für die Musiker unterm „Zeltdach“ (falls der Himmel nicht mitspielt). Die Veranstaltung „Klassik picknickt“ ist nun schon zu einer äußerst beliebten Tradition geworden. Zum 6. Mal luden jetzt Staatskapelle und Gläserne Manufaktur von Volkswagen, wo der Oberklassewagen „Phaeton“ gefertigt wird, zu diesem Open-Air-Event der Extraklasse ein. Neben den offiziell genehmigten 3500 Besuchern, die es sich auf den Wiesen vor der Manufaktur „bequem“ machen können, waren noch ungewöhnlich viele „Zaungäste“ erschienen, die außerhalb der Absperrung auf Wegen und Straßen an dem musikalischen Ereignis teilhaben wollten.

 Nach einer „Spanischen Nacht“ (2011) und einer „Chinesischen Nacht“ (2012) war nun der gebürtige Moskauer Michail Jurowski angereist, um vom Dirigentenpult aus, eine „Russische Nacht“ mit russischen „Klassikern“ zu gestalten. Russland ist ein Ort der Sehnsucht und der Melancholie, wie er sagte, die in den Werken der russischen Komponisten immer wieder zum Ausdruck kommen.

 Den Auftakt bildete Dmitri Schostakowitsch mit seiner „Festlichen Ouvertüre“ op. 96. Jurowski hat ein ganz persönliches Verhältnis zu Schostakowitsch, denn seine Eltern waren mit ihm befreundet, und er hat schon als Kind mit dem Meister vierhändig Klavier gespielt. Die ersten Takte schienen sogar an Wagner zu erinnern – was Wunder, im Wagner-Jahr „wagnert“ es überall. Dann brach sich das russische Temperament mit schmetternden Blechbläsern und starken Paukenschlägen Bahn. Die Zaungäste im weiten Umkreis wollten schließlich auch mithören, aber das Konzert wurde ohnehin akustisch verstärkt und auf Großleinwände übertragen.

 Sanfter und „gemäßigter“, aber mit viel russischem Temperament widmeten sich Jurowski und die Kapelle dem Vorspiel zu „Chowanschtschina“ von Modest Mussorgsky. Bei dessen „Morgendämmerung an der Moskwa“ (beides in der Fassung von Schostakowitsch) „glätteten sich die Wogen“ mehr und mehr, zeichneten Dirigent und Orchester mit leichter Melancholie und russischer Mentalität die Naturstimmung des erwachenden Tages am Fluss nach.

 „Die Staatskapelle versteht die russische Musik sehr tief“ bekannte Jurowski, und der Konzertmeister des Abends, Thomas Meining, ergänzte: „Jurowski bringt uns die russische Musik mit Strenge, aber auch mit viel Liebe nahe„.

 Mit Mussorgskys sinfonischer Dichtung „Eine Nacht auf dem Kahlen Berge“ in der Fassung von N. Rimski-Korsakow wurde schon die Johannisnacht (23./24. Juni) „vorweggenommen“. Mit diesem, von ihm nicht vollendeten Werk – er hat manches nicht vollendet, denn als „echter Russe“ liebte er nicht nur die Musik, sondern auch den Alkohol – schuf er eines der bekanntesten Beispiele der russischen Programmmusik des 19. Jh., in dem er den „grauenerregenden“ Tanz der Hexen in der Johannisnacht auf dem Berg Triglav (Julische Alpen) mit feurigen Orchesterfarben schildert. Die Geigenbögen sausten in schnellem Spiel „durch die Luft“, um den Hexensabbat nachzuzeichnen. Sogar der Himmel schien „mitzuspielen“ und zeigte wie zur Untermalung ein seltsam „zerfetztes“ Abendrot. Nach den 12 Glockenschlägen war der aufgewühlte Spuk vorbei. Sanft, rauschhaft und besinnlich klang das Stück aus, und der Himmel wurde allmählich wieder gleichmäßig blaugrau.

 Der Ausnahmetrompeter Sergei Nakariakov, von der Fachwelt als „Paganini“ oder sogar „Caruso der Trompete“ bezeichnet, begeisterte mit dem „Konzert für Trompete und Orchester As-Dur“ des vor etwa 100 Jahren verstorbenen armenischen Komponisten Alexander Arutjunjan (1920-2012). Es ist sein bestes und auch sein bekanntestes Stück. Nakariakovs Spiel bestach durch einen außergewöhnlich klaren, frischen Ton, äußerst sauber gespielte, „getupfte“ Läufe in extrem hoher Geschwindigkeit, aber auch mit betörend sanften Tönen, die er auf seiner Trompete, einem Instrument von Antoine Courtois, Paris hervorzauberte. Als Kind hat er nicht gern Klavier gespielt, aber Trompete umso besser. Bereits mit 12 Jahren stand er damit auf der Bühne. Jetzt schöpft er die technischen und klanglichen Möglichkeiten dieses Instrumentes voll aus, erweitert und variiert sie und gestaltet sein Spiel sehr virtuos, aber auch mit Verständnis für das jeweilige Werk.

 Als zweites Stück bot er die „Tarantella“ aus „La Napolitaine“ op. 25 für Trompete und Orchester von Oskar Böhme (1870-1938?) mit Bravour und zündendem Temperament. Er hatte sie bewusst ausgewählt, nicht nur wegen ihrer Virtuosität, sondern auch, weil Böhme, ein Deutscher aus Freital, einer Nachbarstadt von Dresden, 24 Jahre am Mariinski-Theater in St. Petersburg (bzw. Leningrad) als Kornettist wirkte, deshalb die russische Staatsbürgerschaft annehmen musste und später wegen seiner deutschen Herkunft Opfer von Stalins Terror und Verfolgungskampagne wurde.

 Was wäre eine „Russische Nacht“ ohne die beiden Paradestücke „Ruslan und Ludmilla“ von Michail Glinka – nach dem gleichnamigem Versepos von Alexander Puschkin – und „Capriccio Italien“ op. 45 von P. I. Tschaikowsky mit seinem italienischen Flair in russischem Gewand, das mit sehr schönen Streichern, guten Bläsern und den Becken in kraftvoller „russischer“ Art dargeboten wurde.

 Dieser fröhliche Ausklang „ging ins Blut“, so dass sich Dirigent und Orchester noch für zwei Zugaben als Dank für den stürmischen Applaus entschieden: die „Polonaise“ aus „Eugen Onegin“, echt russisch, ziemlich herb und auch etwas derb dargeboten, mit Kraft und noch mehr Temperament, so wie es in Deutschland eher seltener gespielt wird, und einem „Walzer“ von Schostakowitsch, den Michail Jurowski selbst für Orchester bearbeitet hat, weil Schostakowitsch so viele ungewöhnliche Instrumente dafür vorgesehen hat, die normalerweise gar nicht aufgebracht werden könnten. Bei diesem heiteren Ausklang unterstrich die Pauke sehr dezent und im genau richtigen Maß den Gesamtklang, bei dem man trotzdem auch den leisesten Paukenschlag im Gesamtgefüge wahrnahm.

 Es war ein leichter, schwungvoller und auch ein wenig melancholischer Abend mit echt russischem Temperament, durch den Bettina Volksdorf vom Klassiksender des Mitteldeutschen Rundfunks führte.

 Im nächsten Jahr will Christian Thielemann „seine“ Sächsische Staatskapelle bei „Klassik picknickt“ leiten. Man kann sich schon jetzt darauf freuen.

 Ingrid Gerk

 

 

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