Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

DRESDEN/ Semperoper: SIMON BOCCANEGRA. Premiere

31.05.2014 | Allgemein, KRITIKEN, Oper

Dresden / Semperoper: SIMON BOCCANEGRA“ IN STARBESETZUNG 30.5.2014  Pr.

sim3
Zeljko Lucic, Maria Agresta. Foto: Mathias Creutziger/ Semperoper

 Neu ist für Dresden die Inszenierung von Giuseppe VerdisSimon Boccangera“ – endlich! Im Gegensatz zur Starbesetzung bei den Sängern und am Dirigentenpult bringen aber Inszenierung und Regie nicht unbedingt etwas wirklich Neues. Zwar hat Jan Philipp Gloger den nur schwer durchschaubaren Inhalt im Wesentlichen mit der Handlung inszeniert, aber wieder mit den gegenwärtig aktuellen Inszenierungselementen, wenn auch gut an den Inhalt angepasst und weitgehend stimmig. Das Opernlibretto mit seinen vielfachen Verbindungen und Verwicklungen der, zwar historisch belegten, aber in sehr freiem Umgang verarbeiteten Persönlichkeiten und ihrer vielfältigen, widersprüchlichen Beziehungen im Genua des 14. Jhs. bietet keinen leichten Stoff. Die Fülle von Konflikten, die sich aus dem ewigen Konflikt zwischen Genua und Venedig um die wirtschaftliche Vorrangstellung und den Spannungen zwischen Plebejern und Patriziern, den beiden Adelsgeschlechtern usw. ergeben, wird hier auf 2 Konfliktparteien reduziert. Simon Boccanegra, der positive Held, schwebt zwischen politischen und privaten Zwängen und hat fast alle anderen Parteien und Gruppierungen gegen sich.

 Vernünftigerweise wurde hier kein anders geartetes, aktuelles Problem unterlegt. Man ist mittlerweile schon viel gewöhnt, was Operninszenierungen betrifft (vom Schauspiel ganz zu schweigen). Im Gegenteil, es werden sogar die eigentlich unsichtbaren Personen, die lediglich erwähnt werden, wie Maria, Amelias Mutter, als starre Verstorbene im weißen (Nacht‑)Gewand, die alte, übertrieben im rechten Winkel krumm gehende, Frau oder Lorenzo, über den nur gesprochen wird, als stumme Rollen von Schauspielern (oder Komparsen) auf die Bühne gebracht, was zwar die Handlung belebt, aber nicht durchsichtiger, sondern für manchen Opernbesucher eher noch verwirrender macht, und, obwohl mit der Rolle des Frieden und Versöhnung stiftenden Boccanegra bei Verdi die Historie in Richtung Humanität verfremdet wird, wird hier die Gewalt und Brutalität überflüssigerweise wieder in eindeutigen Szenen auf die Bühne gebracht.

 Das Volk wird extrem negativ als unreife, wütende und immer gewaltbereite Masse mit ständig wechselnden Zielen dargestellt. Maria, von der ursprünglich nur berichtet wird, dass sie gestorben sei, muss sich hier selbst die Kehle durchschneiden (ein seltsamer Selbstmord!). Natürlich dürfen Kinder – hier als Rückblende auf die Kindheit – auch nicht fehlen, eine zurzeit europaweit verbreitete (Un-)“Sitte“. Damit die Bühne gut gefüllt wird, wirken noch Tänzerinnen und Tänzer sowie Mitglieder der Komparserie und Kinderkomparserie mit. Diese „Zutaten“ beleben zwar das Bühnengeschehen, wären aber bei dieser Sängerbesetzung und diesem Orchester durchaus nicht erforderlich. Sie sind jedoch eine Möglichkeit, die gegenwärtig aktuellen Inszenierungselemente zu verwenden, die es schon seit Jahren europaweit auf den Bühnen gibt.

 Bühnenbild und Kostüme folgen dem gegenwärtigen Mainstream aus Gegenwart und Andeutung von Historie. Sie stören den Handlungsablauf nicht, stehen aber mit ihrer Abstraktion dennoch im Widerspruch zu den großartigen Sängerleistungen auf höchstem Niveau. Ähnlich der gedrängten Anordnung von Häusern auf alten Stadtansichten, könnte man meinen, dass hier hypermoderne Wohnräume wie moderne Einfamilienhäuser als „Beton-Container“, innen mit fleckiger Tapete aus den 50er Jahren (?) und verschiedenen Anordnungen von rustikalen Tischen und Stühlen, durch leicht geschwungene Treppen tatsächlich an altitalienische Städte erinnern sollen (Bühne: Christof Hetzter). Viele wichtige Situationen finden am (Küchen-)Tisch oder am langen Besprechungstisch statt.

 Die naive Personenregie steht in krassem Widerspruch zu den großartigen Leistungen der Sänger, die so viel Ausdruck auf höchstem Niveau bereits in der Stimme haben, und kann denen nicht standhalten.

 Die Kaufhaus-Konfektions-Kleidung (Ausstattungspartner Rudolf Wöhrl AG) wird mit historischen Anklängen (Umhang des Dogen, Kleidung der Frauen aus dem Volk u. a.) aufgemischt (Kostüme: Karin Jud). Diese „Modernisierung“ führt zu zusätzlichen Widersprüchen zwischen Jetztzeit und alten Moralvorstellungen und -zwängen, die schon zu Beginn des 20. Jhs. langsam „aufgeweicht“ und abgebaut wurden und in der heutigen Zeit niemanden mehr wirklich erschüttern. Sie wären als Rückblick auf die ethische Haltung vergangener Jahrhunderte, die so viele Konflikte mit tragischem Ausgang verursachte, verständlicher.

 Welcher Regisseur hätte einmal so viel Mut, Werkverständnis und Courage, dem ewigen Epigonentum der Inszenierungen zu entsagen, auf alle gegenwärtig üblichen Inszenierungselemente zu verzichten und eine Oper so auf die Bühnen zu bringen, wie sie (wenigstes) vom Komponisten gedacht war? Das wäre doch auch mit modernen Mitteln realisierbar. Nicht alle Opernlibretti sind schwach. Manche stammen sogar von anerkannten Schriftstellern oder wurden zumindest zwischen Komponist und Librettist so abgesprochen, dass der Komponist seine Vorstellungen durchgesetzt hat. Was in unserer Zeit noch an den Opern interessiert, ist doch vorrangig die Musik und weniger die Handlung. Die großen Opern, die heutzutage noch aufgeführt werden, müssen musikalisch ohnehin über ein entsprechendes Niveau verfügen, sonst würden sie nicht mehr aufgeführt.

 Bei Glogers Inszenierung möchte man den Inhalt der Oper schon genau kennen oder die Übertitel aufmerksam lesen und damit die Aufmerksamkeit teilen, die man lieber ganz den hervorragenden Solisten widmen würde, um der Handlung zu folgen. Bei dieser Besetzung kann man sich ganz auf Musik und Gesang verlassen, weil Orchester und Protagonisten keine Wünsche offen lassen. Hier liegt, neben den großartigen Stimmen, auch der, die Handlung bestimmende, Ausdruck vor allem im Gesang und beim Orchester.

 Unter der Leitung von Christian Thielemann lässt die Sächsische Staatskapelle Dresden in (sehr) großer Besetzung bereits bei der, ausgesprochen klangschön und mit großem Gestaltungsvermögen musizierten, Ouvertüre aufhorchen und Großartiges erwarten. Die über 24 Jahre entstandene Oper enthält musikalische Stilelemente der verschiedensten Art, denen Thielemann und die Kapelle in schönster Weise gerecht werden. Das Orchester wird von Verdi über weite Strecken sinfonisch geführt, wodurch es zum gleichberechtigten Partner der Sänger wird. Es gab immer wieder wunderbare Orchesterpassagen zwischen höchster Dramatik bei der Zuspitzung der Handlung und psychologisch durchdrungener lyrisch-betrachtender Szenen und immer wieder überraschend schöne Stimmen und großartige Darstellungen bei den Sängern.

 Zeljko Lucic, der in Dresden schon als Rigoletto Begeisterungsstürme auslöste, zeigt hier als Boccanegra sehr glaubhaft eine ganz andere Bühnengestalt und beweist damit seine Vielseitigkeit – endlich einmal wieder echte große Opernkunst ohne Pathos, aber mit großer Stimme und ungewöhnlich schönem, ausdrucksfähigem Timbre und überzeugendem Spiel, das allen Situationen gerecht wird. Er beherrscht die ganze Palette großen Operngesanges.

 Maria Agresta, die seit ihrer Rolle der Julia in der konzertanten Aufführung von “La vestale“ (2013) an der Semperoper in sehr guter Erinnerung ist, war mit ihrem ansprechenden, ausdrucksstarken Sopran als Boccanegras zart besaitete Tochter Amelia das stimmliche Pendant an Lucic‘ Seite und begeisterte immer wieder mit ihrer klaren, schönen Stimme.

 Der Dritte im Bunde der großen Stimmen war Ramón Vargas, dessen leidenschaftlicher Gesang und Darstellung in der großen Arie des Gabriele Adorno gipfelte, aber es beeindruckte auch, wie er sich am Schluss der Oper als Nachfolger in den Dogenmantel hüllt, als würde er innerlich frösteln. Das ewig unschlüssige, aber immer gewaltbereite Volk lässt denn auch, bewaffnet mit Knüppeln und Mistgabeln in einer von Verdis dunkelsten und fantastischsten Opern nicht lange auf sich warten.

 Gut bei Stimme war auch Kwangchul Youn, der sehr beeindruckend den Jacopo Fiesco als alten abgeklärten Herrn gab. Markus Marquardt erinnerte in seiner negativ besetzten Rolle des Paolo Albiani, Höfling des Dogen – man möge mir verzeihen – etwas an Mime. Erstaunlicherweise überzeugte er am meisten in der angstvoll betrachtenden Situation „seines“ nahenden Todes.

 In weiteren Rollen agierten Andreas Bauer als Pietro, Christopher Kaplan als Hauptmann und Christel Loetzsch als Amelias Magd.

 Der Sächsische Staatsopernchor Dresden (Einstudierung: Jörn Hinnerk Andresen) unterstrich die dramatischen Szenen mit exaktem Gesang in entsprechender Lautstärke, aber auch guter Qualität in den besinnlichen Situationen und sehr feinen leisen Tönen hinter der Bühne, unterstützt von den Herren des Sinfoniechores und dem Extrachor der Semperoper.

 Es war wieder einmal ganz große Oper, die, abgesehen von der großartigen „Elektra“ (Pr.: 19.1.2014), in Dresden lange vermisst wurde.

 Ingrid Gerk

 

Diese Seite drucken