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DRESDEN/ Semperoper: GISELLE – eine moderne Version von Adolphe Adams romantischem Ballett

Dresden/Semperoper: WIEDERAUFNAHME „GISELLE“ – EINE MODERNE VERSION VON ADOLPHE ADAMS ROMANTISCHEM BALLETT 11.4.2014

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Szene aus dem 1. Akt. Foto: Semperoper

 Es hat schon viele mehr oder weniger gelungene Versuche gegeben, Althergebrachtes neu zu gestalten. Mit der Wiederaufnahme von „Giselle“ (9.4.2014) in der Inszenierung und Choreografie von David Dawson (Uraufführung 2008) wurde eine sehr gelungene Neufassung dieses abendfüllenden Ballettes von Adolphe Adam wieder in den Spielplan aufgenommen, mit einem lachenden und einem weinenden Auge, einem lachenden, weil Inszenierung, Bühnenbild, Kostüme und vor allem die Choreografie modern, ansprechend und anspruchsvoll sind und stimmig miteinander harmonieren, und einem weinenden Auge, weil sich gleich 2 der besten Ersten Solistinnen in der Rolle der „Giselle“ verabschieden: Natalia Sologub (11. und 17.4.) und Yumiko Takeshima (20. und 22.4.).

Yumiko Takeshima schuf auch die passenden Kostüme, die die Choreografie sinnvoll unterstützen. Die Tänzerinnen auf Giselles Seite tanzen in kurzen, leicht fließenden pastellfarbenen Kleidchen, Bathilde auf der Gegenseite im langen Kleid und wie die „Adelsclique“, ganz in schwarz wie Punks oder Grufties mit besonderer Kennzeichnung durch einen schwarzen Zweig. Besonders gelungen wirken die weißen Schleier der Wilis vom Kopf bis (nicht ganz) zu den Füßen über weißem Trikot. Sie verleihen diesen Bräuten, die vor der Hochzeit sterben, etwas Gespenstisches als wären sie gerade dem Grab entstiegen, und sind doch jugendlich und anmutig.

 Eine XXXL große runde Scheibe als überdimensionaler Mond (oder Erde) ruft im 2. Akt eine außerweltliche Sphäre hervor und verlegt das nächtliche Geschehen in eine Welt zwischen Himmel und Erde als Kontrast zu einer stark abstrahierten, fast kubistisch anmutenden Landschaft, die eine ländliche Gegend in lieblicher Landschaft vermuten lässt, im 1. Akt. Arne Walther schuf in dieser Produktion Bühnenbilder, die mit nur wenigen Mitteln ein abstraktes und dennoch sehr wirkungsvolles Szenarium zu schaffen, das dennoch die ursprüngliche Handlung zum Ausdruck bringt – ein Musterbeispiel, wie mit sehr wenigen Mitteln, aber gekonnt, in abstrahierender Weise Illusionen geschaffen werden können, bei denen es keiner Erklärung oder Einführungsvortrages bedarf. Man weiß sofort, worum es geht. Selbst, wenn immer wieder Flitter von oben rieselt, geschieht das jeweils in der richtigen Situation und fein dosiert, ohne dass man des Anblicks müde würde. Hier hatte alles Niveau.

 Was auch neu war, aber einfach passte, waren, von den Tänzern eingefügte Geräusche, zuweilen artikulierte Laute oder rhythmisches In-die-Hände-Klatschen der „Mädchen“ zur Begleitung eines eindrucksvollen Tanzes der Männer, oder wenn Albrecht hörbar, genau mit der Musik, an Giselles Haus anklopft, alles immer im genau richtigen Maß und Takt. Die äußeren Erscheinungen lassen sehr viel Raum für die dynamische und ausdrucksstarke Choreografie Dawsons, große Tanzkunst in ein modernes Gewand integriert.

 Was das Semperoper Ballett von anderen Ballettkompanien unterscheidet, ist nicht nur die enorme Leistungsfähigkeit der Ersten Solisten, sondern auch der übrigen Tänzerinnen und Tänzer bis in die letzte Reihe, die ebenfalls ihr spezielles Können zeigen können und müssen. Es scheint keine nur mittelmäßig Mitwirkenden zu geben, da offenbar alle nach ihren Fähigkeiten eingesetzt werden und alles zu einem in sich geschlossenen, großartigen Ganzen arrangiert wird. Der Schwierigkeitsgrad ist oft sehr hoch, und dennoch tanzen alle mit großer Einsatzbereitschaft und sehr anmutig.

 Für die beiden Ersten Solisten, Natalia Sologub und Jiří Bubeníček gab es viel Gelegenheit, ihr außergewöhnliches Können in oft ungewöhnlichen Kombinationen von Sprüngen und Hebefiguren – öfters auch „überkopf“, bei denen Schwierigkeit auf Schwierigkeit folgt, in höchster Perfektion, ausdrucksstark, grazil, dynamisch und immer mit der Musik, zu zeigen. Hier hatte Natalia Sologub noch einmal Gelegenheit ihr großartiges Können zu präsentieren. Schade, dass sie nun schon aufhört. Sie fasziniert immer wieder durch sehr geschmeidige, nahtlose Übergänge von einer schwierigen Figur zur anderen in diesen gekonnten, neuartigen Kombinationen, die sehr viel Kondition verlangen. Die Musik scheint durch ihren Körper zu gehen, wenn sie den von ihr gestalteten Bühnenfiguren Leben einhaucht. Mit ihren außergewöhnlichen tänzerischen Leistungen hat sie Maßstäbe gesetzt und wird allen Ballettfreunden in bester Erinnerung bleiben. Mit ihrer eleganten, stattlichen Figur schwebt sie trotz aller in die Choreografie eingebauter Schwierigkeiten „wie eine Feder“ über die Bühne, ob solo oder mit Partner, an diesem Abend mit dem für seine weiten, hohen Sprünge und seiner Ausdruckskraft in jeder seiner Bewegungen immer wieder stark beeindruckenden, Bubeníček als Albrecht.

 Aus der Vielzahl der ebenfalls sehr eindrucksvollen Tanzszenen in weniger umfangreichen Partien seien hier Svetlana Gileva, die als Bathilde nicht nur gute Figur machte, sondern durch leichtfüßige, agile Sprünge auf sich aufmerksam machte, Laurent Guilbaud als Hilarion sowie Sonia Vinograd als Braut und Denis Veginy als Bräutigam im Hochzeits-Pas de Cing hervorgehoben. Alle, selbst die Herren, tanzten mit enormer Leichtigkeit und schienen oft nur sanft den Bodens zu berühren. Beeindruckend, wie die Wilis zu nächtlicher Stunde an Albrecht vorbei huschen, wenn er in jeder seine Giselle zu erkennen hofft und doch nie zu fassen bekommt, was dann in einen ungewöhnlichen (zunächst getrennten) Pas de deux mündet.

 Leicht und gefühlsbetont unterstrich auch die Sächsische Staatskapelle Dresden unter der Leitung von David Coleman die Tanzleistungen. Nach einem lautstarken Start wurde die Musik immer gefühlvoller, eindrucksvoller und ausdrucksstärker – je nach Bühnensituation. Mit herrlich sanfter Solo-Violine, einschließlich klangvoller Doppelgriffe (Kai Vogler) und guter Solo-Bratsche (Gerd Gröschel) sowie hinreißend schönen Holzbläsern machte die Staatskapelle ihrem guten Ruf alle Ehre, obwohl ein Teil des Orchesters zurzeit bei den Osterfestspielen in Salzburg Furore macht.

 An diesem Abend stimmte einfach alles, die moderne, dynamisch belebende, in sich stimmige Choreografie, die genial umgesetzten Bühnenbilder und die in gleichem Sinne mitgestaltende Kapelle, die nicht nur das tänzerische Bühnengeschehen mitgestaltend „untermalte“, sondern den sehr guten Gesamteindruck maßgeblich mitbestimmte. Mit der dynamischen Choreografie, die rasant einsetzt und bei der der ursprüngliche Inhalt nur wenig für den Geschmack junger Leute, die auch zahlreich im Publikum vertreten waren, umgedeutet wird, hat Dawson die richtige Balance zwischen Modernität und folgerichtiger Weiterentwicklung nicht gegen das Stück, sondern im Sinne guter Tradition, gefunden.

 Ingrid Gerk

 

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