DRESDEN/ Semperoper: ERINNERUNGEN AN ELFRIDE TRÖTSCHEL UND HEINRICH PFLANZL – 17. 11. 2013
Sie gehörten zu den glanzvollen Sängerpersönlichkeiten der Dresdner Oper, die die künstlerische Ausstrahlung dieses Hauses bis in unsere Zeit prägten und noch immer unvergessen sind: die beiden Jubilare Kammersängerin Elfride Trötschel (* 22.12.1913 Dresden – † 20.6.1958 Berlin) und Kammersänger Heinrich Pflanzl (* 9.10.1903 Salzburg – † 21.3.1978 Salzburg). Die in Dresden geborene Elfride Trötschel würde im Dezember dieses Jahres 100 Jahre, der aus Salzburg stammende Heinrich Pflanzl wäre im Oktober 110 geworden.
In einer Matinee im Rundfoyer der Semperoper mit dem Titel „Mir ist so wunderbar“, erzählten beider Söhne, unterstützt durch Filmdokumente, Ton- und Bildaufnahmen, manche Geschichte und Anekdote aus dem Leben ihrer berühmten Eltern. Dr. Andreas Trötschel, promovierter Tierarzt und ausgebildeter Sänger, der „nebenbei“ auch Oratorien sang, war aus der Bayreuther Gegend gekommen, Dr. Robert H. Pflanzl, Film-, Fernseh- und Opernregisseur, aus Salzburg. Da beider Eltern an der Dresdner Staatsoper engagiert waren, verbrachten sie ihre Kindheit in einem künstlerischen Haushalt in Dresden, bis die Stadt 1945 durch einen furchtbaren Bombenangriff zerstört wurde.
Heinrich Pflanzls Haus ging in Flammen auf und mit ihm alle Erinnerungsstücke an Sängerfreunde und große Opernaufführungen. Er selbst hatte das Bühnenkostüm mit der Uniform vertauschen müssen. Seine Frau und sein Sohn entkamen dem Inferno mit zwei kleinen Koffern, von denen einer noch gestohlen wurde.
Elfride Trötschel lag während des Bombenangriffs am 13.2.1945 hochschwanger in einem Notkrankenhaus, das in einer Schule provisorisch eingerichtet war, in der 20 km entfernten Stadt Dippoldiswalde im Erzgebirge und sah von dort aus den glutroten Himmel über dem brennenden Dresden und damit auch ihre geliebte Oper untergehen, die für die Sänger und die Dresdner Bevölkerung gleichermaßen „Heimatgefühl“ bedeutete.
1948 waren dann auch beide Söhne bei der Wiedereröffnung der Dresdner Oper im einstigen Schauspielhaus (das es nun auch nach Wiedereinweihung der neuen, alten Semperoper wieder ist), wo damals Oper und Schauspiel zu gleichen Teilen gegeben wurden, wieder dabei, denn ihre Eltern standen auf der Bühne.
Heinrich Pflanzl kam 1942 an die Dresdner Oper, obwohl er gleichzeitig ein Angebot an die Wiener Staatsoper hatte und als Österreicher eher dahin tendierte, aber Karl Böhm, „der Reklameheld und Geschäftsmann“ überredete ihn mit den Worten „Wir Österreicher müssen doch zusammenhalten“. Ein Jahr später ging er selbst an die Wiener Staatsoper, was ihm Pflanzl nie so recht verziehen hat, aber er fühlte sich dann doch in Dresden wohl.
Karl Böhm war es auch, der Elfride Trötschel aus dem Dresdner Opernchor, in dem sie als Achtzehnjährige sang, ins Solistenensemble holte. Beim Vorsingen, dachte sie, alles geben zu müssen und sang die Pamina hochdramatisch, bis Böhm sie aufforderte, „nun aber lyrisch“ zu singen, und das war ihre große Stärke. Er übernahm sie daraufhin 1934 ins Ensemble, das sehr wohlwollend miteinander umging und sie freundlich aufnahm, und auch die Dirigenten (mit Ausnahme von Böhm) gingen sehr auf die Sänger ein.
Noch im gleichen Jahr wurde sie zur Sächsischen Kammersängerin ernannt. Mit ihrem glockenklaren Sopran fing sie zunächst mit kleinen Rollen, wie dem 1. Knaben in der „Zauberflöte“, an und nahm dann eine stimmliche Entwicklung von der Soubrette über die slawischen Opern, die ihr besonders lagen, bis zum dramatischen Fach. Bis 1950 wirkte sie in Dresden in zahlreichen großen Partien des lyrischen und später auch des jugendlich-dramatischen Faches, vom lustigen Ännchen im „Freischütz“ bis zu den tragischen Rollen, der Butterfly, Katja Kabanowa, Mimi u. a.
Ihr Anliegen war die Wahrhaftigkeit der Rollengestaltung. Sie war dafür bekannt, dass sie in ihre Rollen auch Eigenes einbrachte, um – mit Respekt vor dem Werk und der Komposition immer auf der Suche nach der Wahrheit – jede Rolle wirklichkeitsnah auf der Bühne wiederzugeben. Von eminenter Wichtigkeit war ihr neben der Musik deshalb auch die Sprache.
1948 nahm sie einen umfassenden Gastspielvertrag an die Komische Oper Berlin zu Walter Felsenstein an, wo die Operngestalten durch „singende Schauspieler“ realisiert wurden. 1950 – 1951 war sie an der Berliner Staatsoper engagiert und danach an der West-Berliner Städtischen Oper.
Ihre Auslandskarriere begann bereits 1936 mit Gastspielen in London und Florenz. Später folgten Edinburgh, Glyndebourne, Wien, Neapel, Lissabon, Marseille und Zürich. 1941 gastierte sie erstmals bei den Salzburger Festspielen und kam oft nach Dresden zurück.
In den „Meistersingern von Nürnberg“ sang sie das Evchen und Pflanzl den Beckmesser, in Dresden aber leider nie zusammen, erst später in München. Letztmalig gastierte sie 1953 in Dresden in den „Meistersingern“. Sie starb im Alter von nur 44 Jahren in Berlin und wurde, ihrem Wunsch entsprechend, in Dresden beigesetzt unter großer Anteilnahme der Bevölkerung. An sie erinnern die „Elfride-Trötschel-Straße“ (in Dresden-Nickern) und ein gepflegtes Grab auf dem Friedhof in Dresden-Cotta, dem Stadtteil, wo sie den glücklicheren Teil ihrer Kindheit verbringen konnte.
Man kann annehmen, dass die geheimnisvolle Tragik in ihrer Stimme auf ihr Leben zurückzuführen ist, das es nicht immer gut mit ihr meinte. Sie war die Tochter eines Liszt-Schülers, Orgelbauers und Musikpädagogen. Mit 9 Jahren wurde sie Vollwaise und kam zu Pflegeeltern, wo ihre kindliche Seele litt. Erst in einer anderen Familie fand sie Geborgenheit. Später war sie die einsame, verlassene junge Mutter mit ihrem Kind, was den Grundstein zu ihrer, zu Herzen gehenden, Darstellung der Butterfly gelegt haben mag. Trotzdem oder gerade deshalb war sie ein äußerst liebenswerter Mensch und hatte nur Freunde und Verehrer. Sie war ihrem Sohn eine zärtlich-emotionale Mutter. Durch sie hat er so viel Liebe erfahren, dass sie als „Vorrat für sein ganzes Leben, seine Familie und auch noch für seine Enkel reicht“.
Neben ihrer Operntätigkeit war Elfride Trötschel eine begnadete Liedsängerin. Ihr letzter Liederabend 1956 im Kurhaus Bühlau, der Interimsbühne, als die Dresdner Innenstadt in Schutt und Asche lag und alle Theater zerstört waren, wurde mitgeschnitten und erscheint in absehbarer Zeit auf CD. Die Menschen waren damals so begeistert (und werden es beim Hören der CD wieder sein), dass eine Zugabe auf die andere folgte.
Robert Pflanzl schwärmte schon als Elfjähriger für Elfride Trötschel. Er kennt ihren Sohn schon sehr lange, u. a. von einem Foto, das sie ihm mit Widmung schenkte und das sie mit ihrem kleinen Sohn auf dem Arm zeigt. Er hat es bis heute bewahrt.
Sein Vater, der Kammersänger, kam über viele Bühnen: Bern, Breslau, Nürnberg und schließlich Kassel, der „Einflugschneiße“ der Bombenflugzeuge, nach Dresden, wo (noch) „Frieden“ war, bis „das furchtbare Inferno am 13.2.1945 über die Stadt hereinbrach“. Er hatte bereits ein breites Repertoire. Seine Partien studierte er immer zu Hause ein, denn er war auch ausgebildeter Pianist.
Heinrich Pflanzl war der Sohn eines Salzburger Mundartdichters und Vortragstalentes, der noch heute sehr populär in Salzburg ist und an den die Otto-Pflanzl-Straße in Salzburg erinnert. Er selbst war auch ein großer Komödiant, hasste aber Klamotte, weil er meinte, die Menschen seien ohnehin schon komisch genug, „da muss nichts noch drauf gesetzt werden“. Er wollte immer wahrhaftige Menschen darstellen, und er hat alles immer deutsch gesungen. „Jetzt wird das Publikum oft überfordert, wenn es auf Sänger, Orchester, Übertexte und auch noch auf die Bühne achten soll, wo oft etwas ganz anderes stattfindet, als das Werk beinhaltet“.
Pflanzl sang Beckmesser, Ochs auf Lerchenau, Leporello, Alfonso („Cosi fan tutte“) und vieles andere mehr. Auf einem Tondokument erzählt Pflanzl persönlich die Episode, wie er sich in München im „Rosenkavalier“, 3. Akt immer auf die Leberknödelsuppe gefreut hat, da Bühnenessen immer besonders gut schmeckt („vielleicht, weil es nichts kostet“), aber Herta Töpper als Octavian spielte ihm einen Streich, so dass er keinen Happen essen konnte und sich dann sein Bühnensohn Leopold auf die Leberknödel stürzte. Zu allem Unglück wiederholte die Töpper dann auch noch immer diese „Leberknödelschlacht“.
Bei der letzten Premiere 1944 in Dresden musste Pflanzl im „Don Giovanni“ als Komtur einspringen, obwohl er eigentlich als Leporello vorgesehen war, weil der schwedische Sänger Sven Nielsen, der den Komtur singen sollte, nicht mehr aus seinem Urlaub zurückgekehrt war. Es gab keine weiteren Aufführungen wegen Schließung aller Theater im totalen Krieg, aber bereits nach der 1. Aufführung eine Aufnahme, die jetzt noch auf DVD verfügbar ist.
Auch Pflanzl zog es nach Berlin. Seit 1950 war er durch Gastspielverträge mit der Komischen Oper und der Staatsoper, wo er bis 1961 auftrat, verbunden. Sehr erfolgreiche Gastspiele führten ihn an die Staatsopern von Wien, München, Berlin und Stuttgart und an die Opernhäuser in Italien und Spanien. 1953 wirkte er bei den Salzburger Festspielen als Solist im Mozart-Requiem mit. Nach Beendigung seiner aktiven Sängerlaufbahn gab er als Pädagoge seine reichen Erfahrungen am Salzburger Mozarteum (1962 – 73) weiter.
Nach der Zerstörung Dresdens hatte die Bevölkerung auch trotz oder gerade wegen der Notjahre ein großes Bedürfnis nach Oper als Trost. In der „Kulturscheune“, dem Kurhaus Bühlau mit einem einfachen Ballsaal und kleiner Bühne, alles zu ebener Erde, aber mit ganz großem Enthusiasmus wurde „große Oper“ mit legendärer Besetzung gespielt. Im „Barbier von Sevilla“ gab es damals nur Dialoge statt Rezitativen, was den Sängern viele Gelegenheiten bot, Eigenes einzubringen. Da „schleppte“ Kurt Böhme unter Mithilfe von Heinrich Pflanzl einen „schweren“ Koffer bis in die Mitte der Bühne und antwortete auf Pflanzls Frage: „Was haben Sie denn darin?“ in echtem Sächsisch: „Ich habe Ziegelsteine gesammelt für den Wiederaufbau des Opernhauses“.
Pflanzl hatte als junger Sänger in Berlin angefangen, wo ihn der junge Herbert von Karajan am Klavier begleitete. Als sich beide Salzburger 1951 in Bayreuth zu den Festspielen, wo Pflanzl den Alberich im „Ring“ und den Kothner in den „Meistersingern“ sang (1953 sang er den Beckmesser), wieder trafen und Pflanzl Hernn v. Karajan mit den Worten begrüßte: „Hallo Herbert, wie geht es dir“, antwortete dieser: „Grüß Gott, Herr Kammersänger“, weshalb das lesenswerte Buch, in dem Robert H. Pflanzl Tagebuchblätter, Briefe und Manuskripte seines Vaters zusammengetragen hat, den Titel „Grüß Gott, Herr Kammersänger!“ trägt. Sein Vater hat alles selbst geschrieben, er hat es (nur) wieder zusammengestellt.
Zum Abschluss der Matinee, wo für manchen der Anwesenden Erinnerungen wach wurden und für die Jüngeren ein Interesse an den einstigen Glanzzeiten der Oper aufgefrischt oder geweckt wurde, erklang in einem historischen Tondokument, durch ein Bild illustriert, „Mir ist so wunderbar“ aus der legendären Aufführung von L. v. Beethovens Menschheitsdrama „Fidelio“ im Kurhaus Bühlau. Es war damals ein „magischer Augenblick für Künstler und Publikum gleichermaßen“. Beide Künstler waren auf der Bühne, Elfride Trötschel als Marzelline und Heinrich Pflanzl als Minister, zusammen mit Christel Goltz als Leonore/Fidelio und Gottlob Frick als Fernando.
„Mir ist so wunderbar“ dachten auch viele des überaus zahlreich erschienenen Publikums, die die Künstler noch auf der Bühne erlebt haben oder sie von Tondokumenten kennen und nicht zuletzt die vielen Musikfreunde, die durch die legendäre Aufnahme, bei der Elfride Trötschel das „Lied an den Mond“ aus „Rusalka“ singt, so beseelt, mit so viel Innigkeit und der unergründlichen Traurigkeit im Timbre, die vermutlich auf ihre traurigen Kindheitserlebnisse und die für sie doppelt bitteren Ereignisse des Jahres 1945 zurückzuführen ist und das Publikum immer wieder in rätselhafter Weise ergreift, ihre Liebe zur Oper entdeckt haben (Verfasserin des Artikels eingeschlossen).
Als „Zugabe“ und Gruß aus Salzburg, Dresdens Partnerstadt, sang Heinrich Pflanzl in einer Tonaufnahme die „heimliche Salzburger Hymne“, dem von einem Salzburger vertonten Text seines Vaters, die er nur im privaten Kreis oder ggf. als Zugabe sang. Hier fühlte sich jeder in diesen Kreis einbezogen.
Ingrid Gerk