Dresden/Semperoper: FASZINIERENDE MATINÉE DER STUDIERENDEN DER PALUCCA HOCHSCHULE FÜR TANZ DRESDEN – 22.6.2013
Erstaunliche Leistungen, die selbst dem Vergleich mit dem derzeit auf sehr hohem Stand befindlichen Semperoper Ballett standhalten konnten, präsentierten mehr als 80 Schüler und Studenten der 1925 von Gret Palucca, einer Schülerin von Mary Wigmann und eine der führenden Ausdruckstänzerinnen, gegründeten Palucca Schule – Hochschule für Tanz, Dresden zum Abschluss ihres Schul- und Studienjahres. Paluccas Vermächtnis, mit dem Tanz in freien Bewegungen fröhlich, unbeschwert und humorvoll Tanzfreude zu vermitteln, steht auch weiterhin an der Schule im Lehrprogramm, ebenso wie der klassische Tanz.
In anspruchsvollen, modernen Choreografien tanzten die jungen Tänzerinnen und Tänzer der verschiedenen Ausbildungsstufen (Klasse 02 (Klasse 6) bis zur Absolventenklasse) zur Musik vom Band. Vieles begann zunächst stumm, ganz auf die exakten, fließenden Bewegungen der Tanzenden konzentriert, bis allmählich die Musik einsetzt.
Bei dem ersten Stück, „Axis Shift“, basiert die Choreografie von Tamas Geza mit Musik von Joe Hisaishi und Ryuichi Sakamoto, in die das gesprochene Wort von Mann und Frau integriert ist, auf der Verschiebung der Achsen hin zu einem neuen Fokus, weg von starren Formationen, hin zur Freiheit der großzügigen Improvisation in einer Vermischung mit den präzisen klassischen Tanzbewegungen. Sehr gut abgestimmt mit der sich bis zu entsprechender Lautstärke entwickelnden Musik zeigten die jungen Tänzerinnen und Tänzer ihr beachtliches Können in großer Vielfalt mit gut getimten Sprüngen und Drehungen.
Im „Pas de Cheval“ nach der Musik von J. B. Lully, Choreografie, Licht- und Kostüm-Konzept: Pierre Darde, spiegeln sich die Gegensätze von Gut und Böse, Leben und Tod, Tragik und Komik, in der symbolischen Gestalt des Zentaur, halb Mensch – halb Pferd, wieder, aufgelöst in gegensätzliche, sich ergänzende Tanzformationen, die Tänzerinnen in roten Jacken, die an die englischen Fox Hunter erinnern und braunen (Tier )Beinen, die Tänzer mit braunem Oberteil und den weißen Hosen der Fox Hunter. Halb witzig, halb mit strenger, fast militanter Disziplin, zeigten die Tanzenden erstaunliche Leistungen. In exakter Synchronität konzentrierten sie sich auf äußerst exakte, ausdrucksstarke Bewegungen wie die „Profis“ und nicht ohne Komik, wenn sich eine Tänzerin in ein „Tier“ der Gegenseite „verliebt“ und schließlich nur noch die Tiermaske in Händen hält, weil die Gestalt darunter entflohen ist.
Was bedeutet Sturm? Wie gegen den Strom schwimmen? In der Choreografie „Stürmische Zeiten“ von Katrin Wolfram, von der auch das Kostümkonzept stammt, kämpfen junge Leute nahezu perfekt gegen den Sturm an, den Sturm der Naturgewalten und sinngemäß die Stürme des Lebens, der Gefühle und der scheinbaren Ohnmacht. In ausdrucksstarken Tanzbewegungen erliegen sie der Gewalt, raffen sich wieder auf, um erneut dagegen anzukämpfen, zu erliegen und neu zu kämpfen. Mit überzeugender Hingabe stellen sie sich den tänzerischen Anforderungen, um herauszufinden, wie sich der Mensch in der Auseinandersetzung mit Widerständen verhalten sollte. Ist er, wenn alle individuell als Teil der Gemeinsamkeit kämpfen in der Gemeinschaft stärker?
2006 wurde in Kooperation mit dem Dresden Semperoper Ballett ein Eleven-Programm initiiert, bei dem junge Tänzer die Möglichkeit haben, ihre Fähigkeiten weiterzuentwickeln und in der professionellen Praxis anzuwenden. Schöne Beispiele waren hierfür „Coppelia“ und „Nussknacker“ an der Semperoper.
Dass diese Zusammenarbeit Früchte trägt, wurde in der rein klassischen Choreografie von Marius Petipa aus dem Ballett „Paquita“, mit der Musik von Ludwig Minkus mehr als deutlich („Pasquita“ ist das berühmteste Ballett des französischen Komponisten É. M. E. Deldevez, das Minkus um einen Akt erweiterte). Die Nähe des Semperoper Ballett und seiner Spitzenleistungen war unverkennbar. Höhepunkt und Gradmesser aller tänzerischen Leistungen ist und bleibt nun einmal der klassische Tanz mit seinen Spitzenleistungen im doppelten Sinne. Er stellt die höchsten Anforderungen und ist auch für einen sehr guten modernen Ausdruckstanz bezüglich Technik, Anmut und Musikalität Grundlage und Orientierung. Die reizenden Kostüme mit den roten Tutus und das klassische Weiß für die Solisten in vollendeter Eleganz entwarf Frauke Schernau (Licht: Ted Meier).
In gekonnt aufgelösten klassischen Formationen, mit Spitzenleistungen im wahrsten Sinne des Wortes, zeigten Solisten und Corps de Ballet ihr vielseitiges Können. Es waren erstklassige Leistungen mit allen Elementen des klassischen Tanzes, schönen Hebefiguren und vielen Pirouetten, schönem Pas de deux und elegantem Pas de trois, mit großer Anmut und Grazie der Bewegungen bis in die Finger- und Zehenspitzen. Durch die geschickte Choreografie wurde jede Spitzenleistung im Einzelnen durch „nahtlose“ Übergänge in ein gutes Gesamtkonzept eingefügt und zu einem einzigen Schwelgen für Auge und Ohr. Jede Tänzerin, jeder Tänze konnte sein spezielles Können zeigen. Die durchtrainierten Körper lösten sich in Grazie auf. Jede Bewegung war genau mit der Musik getimt, auch die scheinbar endlosen Drehungen einer Solistin in völliger Übereinstimmung mit der Musik endeten genau mit dem letzten Ton.
In vollendeter Schönheit und Leichtigkeit, den Tanz im wahrsten Sinne des Wortes „auf die Spitze getrieben“, mit perfekter Körperhaltung, geschmeidig fließenden Bewegungsabläufen, ganz von Musik durchdrungen bis zur scheinbaren Schwerelosigkeit, bei der die Körper wie entmaterialisiert wirkten, wurde die Musik künstlerisch in Tanz umgesetzt und überhöht.
Wieder auf dem Boden der „Realität“, wieder im Ausdruckstanz angekommen, ließ der Percussionist in „Get the Rhythm“, der Uraufführung einer Choreografie (auch Kostüm und Licht) von Angelika Forner, als „Chef“ wie ein Magier die zehn- und elfjährigen wie die „Puppen tanzen“. Die „Musik“ zunächst stumm, dann Klatschen, Geräusche, Sprache, „Cymbalklänge“ und Percussion ließ erkennen, wie bereits die Jüngsten lernen, eigene Bewegungen zu entwickeln, sich ihrer schöpferischen Fähigkeiten bewusst zu werden und mit anderen Tänzern zu kommunizieren. Alles war rhythmisch in Bewegung, „punktgenau“ auf die Geräusche (statt Musik) abgestimmt. Es waren optisch wirksame Bewegungskombinationen und Bilder.
Nach der Musik von J. S. Bach und seiner „Ciaccona“ aus der „Partita d-Moll“ für Solo-Violine (BWV 1004), ergänzt durch die menschliche Stimme (in einer Bearbeitung von Helga Thoene) hat Stijn Celis (Kostüme: Kathy Brunner, Licht: Eric Berglund) seine Choreografie zu „Vertico Maze“ konzipiert. Sie wird auch an der Semperoper vom Semperoper Ballett gezeigt, aber die Studierenden brauchten den Vergleich keineswegs zu fürchten.
Wenn auch mal eine kleine Unstimmigkeit sehr geschickt abgefangen und überspielt wurde, wenn die Schwierigkeiten nicht so hoch und noch nicht so viel Ausdauer gefordert war wie bei einem professionellen Ballet, kann man doch ohne Übertreibung konstatieren, dass sich hier ein Ballett-Nachwuchs der Sonderklasse präsentierte, der sich im wahrsten Sinne des Wortes sehen lassen kann und mancher Ballett-Companie zur Ehre gereichen wird. Man sollte sich manchen Namen merken, der wahrscheinlich einmal von sich reden machen wird, nur in diesem Rahmen ist es wegen der Fülle der guten und sehr guten Leistungen kaum möglich.
Was Wunder, wenn alle Absolventen der Hochschule mit ihren ausgezeichneten Leistungen sofort ins Engagement gehen konnten, was derzeit nicht selbstverständlich ist. Leistung und Qualität empfehlen sich eben selbst.
Ingrid Gerk