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DRESDEN/ Semperoper: DER FLIEGENDE HOLLÄNDER – Neuinszenierung

29.06.2013 | Allgemein, KRITIKEN, Oper

Dresden / Semperoper: „DER FLIEGENDE HOLLÄNDER“ – EIN ALPTRAUM – 28.6.2013 – Pr. 15.6.2013

 

Foto: Semperoper

Alles nur Schall und Rauch? Im Orchestergraben setzt Constantin Trinks mit der Sächsischen Staatskapelle Dresden sehr auf Lautstärke und starke Kontraste, obwohl Christian Thielemann doch gerade erst kürzlich bewiesen hat, dass auch bei Richard Wagner mit geringerer Lautstärke ein noch viel größerer Effekt zu erzielen ist.

 Wenn sich der Vorhang hebt, bewegt sich über die echt nordisch-maritime Landschaft – trotz aller Herbheit ein erfreulich ästhetisches Bild – eine Rauch- bzw. Nebelwolke, die sich langsam ausbreitet, bis schließlich „Gewitter und Sturm“ losbrechen, was der Regie Gelegenheit zu gut beobachteten, typisch menschlichen Verhaltensweisen gab.

 Diese letzte Premiere zum Ende der Spielzeit besorgte Florentine Klepper, die schon Claudio Monteverdis „L’incoronazione di Poppea“ (2010/11) an der Semperoper inszeniert hat. Sie löst (leider) die Inszenierung von Wolfgang Wagner ab, die schon Kult geworden war.

 So wie Wagners, 1843 in Dresden uraufgeführte Oper eine Zwischenposition zwischen seinem Frühwerk („Die Feen“, „Das Liebesverbot“, „Rienzi“) und seinen späteren „Dramen“ mit Leitmotivik im durchkomponierten Gesamtkunstwerk, zwischen traditioneller, in „Nummern“, d. h. Arien, Rezitativen und Chören unterteilten Opern und seinem „Personalstil“ einnimmt, so ist die, in den 1950er/60er Jahren angesiedelte Inszenierung Kleppers als „Mischung“ aus realistisch naturgetreuer Küstenlandschaft, auf der sich Sentas Leben in einer traumatischen Retrospektive entwickelt, und den üblichen Inszenierungselementen, die hier allerdings stimmig eingefügt sind, realisiert.

 Senta emanzipiert sich. Sie wollte aus dem Dorfleben in der rauen nordischen Seelandschaft ausbrechen, um nicht wie die gleichaltrigen jungen Frauen in der Enge des Familienlebens ihr Dasein zu fristen und verließ ihren Vater im Streit. Anlässlich seiner Beerdigung mit Seebestattung kehrt sie widerwillig in ihren Heimatort zurück. Ihr ganzes bisheriges Leben entspinnt sich in einem alptraumhaften Rückblick, wirr wie in einem (bösen) Traum aus Realität, Erinnerung und Fantasie. Unverstanden von ihrem, in der Enge seines Daseins befangenen Vaters, dem schwächlichen Verehrer Erik und einer dörflichen Gesellschaft, die für Frauen nur eine Rolle, nämlich Gattin und Mutter, kennt, träumt Senta von der mythischen Figur des fliegenden Holländers, durch den sie die Enge ihres Lebens hinter sich bringen möchte. Aber, wer weiß das alles, wenn er nicht den Einführungsvortrag gehört hat?

 Mit fließenden, verschwimmenden Übergängen reihen sich Bilder an Bilder (Bühnenbild: Martina Segna), die als Elemente der eigentlichen Handlung, wie sie sich Wagner vorgestellt hat, alle etwas mit der Realität, mit Gedanken und Erinnerungen zu tun haben, aber auch eine Art Eigenleben führen. Es ist nicht immer alles ganz logisch – eben wie im Traum. Durch den, vor allem in der romantischen Oper typischen Einbruch des Übersinnlichen in die Realität (vgl. Marschner: „Der Vampir“, Weber: „Freischütz“ usw.) – hier des Holländers, der dazu verdammt ist, bis ans Ende der Zeit die Meere zu umsegeln – wird ein „magisches Traumspiel“ entwickelt.

 Die imaginäre Hochzeit mit Erik verschwimmt mit der Beerdigung Dalands. Sein „Schiff“ steigt aus der Wiese empor und wird zur Bar mit Bardame, „losem Mädchen“ und (plumper) Gallionsfigur. Die Schwertfisch-Beleuchtung kommt von oben. Später erscheint ein Monument mit Flammenzeichen usw. – beklemmend, aber nachvollziehbar.

 Die Spinnstube, wo früher das Garn für die „Aussteuer“ und die Zukunft „gesponnen“ wurde, wird – abschreckend für Senta – als Entbindungsstation mit dunkelhäutiger Hebamme und Geburten wie am „Fließband“ dargestellt, ziemlich simpel mit unzähligen schwangeren Frauen, jung und alt, alle in dem gleichen bürgerlichen Outfit, der gleichen Haarfarbe, der gleichen Frisur (Kostüme: Anna Sofia Tuma), den gleichen Gesten und schließlich auch den gleichen simplen „Puppen-Kindern“. Wenn später bei Senta und Erik „der Haussegen schief hängt“, rutschen die Wände schief, bis sie später hochgezogen werden und den Blick auf die schroffe Seelandschaft wieder freigeben, auf der sich in einer Rückblende der Rückblende, wieder ausgehend vom toten Vater, der Alptraum bis zum Höhepunkt entspinnt.

 Hier stoßen verschiedene Welten aufeinander. Die Gestalt des Fliegenden Holländers wird zur metaphysischen Imagination, auf die Senta ihre Sehnsucht als Erlösungsfigur projiziert, die aber keine Erlösung bringt, weder für ihn noch für sie. Gespenstische Schatten von großen Schwarzen Vögeln kreisen durch den Raum und kennzeichnen ihn als einen, der mit dem Teufel im Bunde ist. … und natürlich gibt es Stühle, Stühle, Stühle bei der Beerdigung, die in die von Satan überschattete „Hochzeitsfeier“, die nicht wirklich zustande kommt, übergeht, und die die Dorfbewohner und Matrosen schließlich zur „Abwehr“ gegen das Böse nutzen …

 Am Ende nimmt Senta ihren Koffer und geht – wohin? In die Entbindungsklinik, in „ferne Lande“, zum Zug nach Hause? Auf jeden Fall nicht ins Wasser. Der Holländer wird nicht erlöst. Er muss weitersegeln und verschwindet aus Sentas imaginärer Vorstellungswelt.

 Er ist nur eine Erscheinung, kommt durchs Fenster und scheint unantastbar. Er bricht ins realistische Leben ein, mehr tangierend als realitätsnah. Als Symbol eines Herrschers – des „Beherrschers der Meere“ – wurde sein Mantel mit einem Adlerflügel ausgestattet. Das hatten wir doch schon bei der „Titus“- Inszenierung (Bettina Bruinier, 2012).

 Markus Marquardt füllt diese Rolle sowohl als Sänger als auch darstellerisch mit großer Intensität aus. Er erscheint als alter, vom Leben und vom ewigen Herumirren gezeichneter Mann wie aus einer längst vergangenen Zeit und fernen Welt. Mit seiner voluminösen Stimme bewältigt er die Partie problemlos und ist neben Georg Zeppenfelds die beeindruckendste Sängerpersönlichkeit der Aufführung. So kann man sich den Fliegenden Holländer vorstellen. Er ist jetzt hier zur Inkarnation dieser Gestalt geworden und dürfte die vielen, sehr guten Verkörperungen dieser Opernfigur weltweit um eine weitere Version bereichern.

 Georg Zeppenfeld erscheint als ungewohnt schlanker Daland, obwohl das eigentlich dem Typ des Nord- und Ostsee-Bewohners entspricht. Mit seiner sehr guten, voluminös-klangvollen Stimme und der volltönenden Tiefe kann er auch in dieser Rolle voll und ganz überzeugen.

 Keine Senta wie gewohnt, nicht unbedingt mit der herkömmlichen Vorstellung dieser Rolle vergleichbar, gab Majorie Owens ihr Rollendebüt. Ganz der Regie verhaftet, wirkt sie nicht gerade sehr leidenschaftlich. Bei Wagner spielt sie neben dem Holländer die wichtigste Rolle. Ihr kommt das Erlösungsmotiv zu. Hier umrahmt sie eher, im Spiel sehr reserviert, die turbulente Handlung. Mit auffallend viel Vibrato erscheint ihre schöne, lyrische Stimme oft ziemlich flackernd, aber man gewöhnt sich daran, und schließlich wird der Klang ihrer Stimme oft zum Lichtblick in der düsteren Handlung.

 Christa Mayer ließ als Mary und Hebamme ihre schöne Stimme hören, hatte aber wenig Gelegenheit, sich wirklich zu entfalten. Sie widmete sich auch dieser Rolle mit der ihr eigenen Gewissenhaftigkeit und verlieh ihr – im Gegensatz zu Tichina Vaughn, mit der sie alternierend singt, menschliche Wärme.

 Eigentlich hatte man sich auf Wookyung Kim als Erik gefreut, aber für ihn war Will Hartmann eingesprungen. Er bewältigte die Partie gut, aber vor allem bei der, der Tradition noch verpflichteten, Belcanto-Arie im 3. Akt hätte man sich mehr Schmelz in der Stimme gewünscht.

 Simeon Esper hält sich bei der Arie des Steuermannes unverhältnismäßig lange am Ende jeder Phrase auf, kann aber dann doch durch kraftvolle Stimme und gute Artikulation überzeugen.

 Die neu eingeführte Gestalt der kleinen Senta, die nur bedingt zum Geschehen nötig wäre, ist auch nur verständlich mit entsprechender Erläuterung. Sie soll Sentas, von den Matrosen bedrohte Kindheit symbolisieren (Kinder auf der Bühne haben immer etwas Rührendes) und auch die Bedrohung durch Kindesmissbrauch ins Bild bringen. Sie bewegt und verselbständigt sich in der Landschaft, ohne sichtbaren Bezug zu der erwachsenen Senta. Sie pflegt und liebkost einen abgeschossenen schwarzen Rabenvogel (der an die geschossene weiße Taube im „Freischütz“ erinnert) – einer von denen, die dann als übergroße Schatten geisterhaft wie „Unglücksraben“ am Schluss durchs (Bühnen-)Bild flattern? Die kleine Natalia Pyre spielte ihre Rolle jedenfalls mit erstaunlicher Sicherheit und Natürlichkeit.

 Während der Männerchor des Sächsischen Staatsopernchores Dresden nicht durchgängig homogen sang, war der Frauenchor mit seinen schönen Stimmen, sowohl innerhalb der Stimmgruppen, als auch im Miteinander sehr gut abgestimmt und ausgeglichen (Choreinstudierung: Pablo Assante). Den Chor der Mannschaft des fliegenden Holländers hatte das Vocalensemble der Theodor Gouvy Gesellschaft übernommen.

 Wagner selbst wies dem „Holländer“ rückblickend eine Schlüsselstellung innerhalb seines Schaffens zu, sei er doch hiermit vom „Verfertiger von Operntexten“ zum „Dichter“ geworden und schlug damit konsequent den Weg zu seinen Musikdramen ein. Er hat diese Oper oft umgearbeitet. Hier wurde nicht die Fassung der Dresdner Uraufführung von 1843 gespielt, sondern die Bearbeitung von Felix Weingartner, der aus den zahlreichen Änderungen Wagners eine Fassung geschaffen hat, bei der der Erlösungsschluss schon in der Ouvertüre erscheint.

 Trinks ließ die Ouvertüre sehr lautstark beginnen, stürmischer und bewegter als jedes Meer es sein kann, und setzte im Weiteren auf extreme Kontraste zwischen ungeheurer Lautstärke und lyrisch-romantischen Passagen. Bei den sehr harten Paukenwirbeln und Paukenschlägen bis an die Grenzen des „Hörbaren“, wenn Unheil und Gefahr drohen oder von Satan die Rede ist, wurde nicht nur das „Trommelfell“ der Pauken, sondern auch das der Opernbesucher sehr strapaziert. In einer, der Romantik noch verhafteten, Partitur ist aber nicht die Pauke das wichtigste Instrument. Die lyrisch schönen, „friedlichen“ Passagen gestalteten die Musiker der Staatskapelle mit dem ihnen eigenen Können. Dann hörte man auch sehr feine akzentuierte Paukenschläge. Mitunter waren im Orchester auch schauerlich-schöne Klänge zu vernehmen, die unter die Haut gingen.

 So kann man Wagners „Fliegenden Holländer“ auch sehen. Wagner hat seine Musik auf der Handlung aufgebaut. Hier lenkt die Inszenierung zwingend die Aufmerksamkeit auf sich und von der Musik ab, auch ein interessanter Aspekt, aber was hätte wohl Wagner mit seiner Idee vom Gesamtkunstwerk dazu gesagt?

 Es gibt eine in sich stimmige Konzeption, wenn auch eine ganz andere als die, die Wagner vorschwebte, und bei der man Hintergrund und Absicht der Neuinszenierung unbedingt kennen muss, um die zwar optisch wirksamen, aber auf den ersten Blick verwirrenden Bilder, einschließlich moderner „Action-Effekte“, „Männervergnügen“ an der „Strandbar“, Jagd auf Vögel und auch etwas von der braunen Bedrohung – symbolisiert durch ein Monument mit Flammenzeichen auf der Klippe, zu verstehen.

 Die Inszenierung ist heiß umstritten. Die Wagner-Anhänger sind enttäuscht. Sie möchten sich doch lieber, wie gewohnt, auf die Musik konzentrieren. Schließlich hat Wagner selbst viel von seinen Vorstellungen hinsichtlich Bühnenbild und Regie in der Partitur vermerkt.

 Ingrid Gerk

 

 

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