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DRESDEN/ Semperoper: DAS SCHLAUE FÜCHSLEIN

22.10.2014 | Allgemein, KRITIKEN, Oper

Dresden / Semperoper: „DAS SCHLAUE FÜCHSLEIN“ 21.10.2014 Pr. 18.10.2014)

Unbenannt 
Vanessa Goikoetxea und Sergej Leiferkus, Foto: Matthias Creutziger

Eine alte Theaterregel besagt, dass die 2. oder 3. Aufführung oft besser ist als die Premiere, weil sich die große Spannung gelegt hat. Allerdings gab es eine krankheitsbedingte Besetzungsänderung mit Qualitätsunterschied. Für die erkrankte Barbara Senator war Hyuna Ko eingesprungen.

 Gegenwärtig werden viele, eigentlich schon zu viele Opern in den verschiedensten Häusern immer nach dem gleichen Schema mit den Schwerpunkten: Rückblende, Visionen, Sex und Gewalt inszeniert. Das mag manchmal zu interessanten Lösungen führen, kann aber auch das Sujet der Oper so verfremden, dass ihr ursprünglicher Inhalt nur noch schwer zu erkennen ist und die eigentliche Brisanz verlorengeht.

 Leoš Janáčeks Alters-Oper „Das schlaue Füchslein“ gehört – ähnlich wie Dvořáks „Rusalka“ – zu jenen Opern, deren Wirkung auf der Musik und der Schönheit der Natur beruht, in der parabelartig das Wesen der Menschen verquickt ist. Sie lebt von der böhmischen Mentalität des Dorflebens und der Natur, die in Frank Hilbrichs Neuinszenierung – wie so oft – ins Gegenteil verkehrt werden. Handlungsteile, die in der Musik vorkommen, wurden gestrichen, um jeder „Sentimentalität“ zu entgehen, ebenso der Humor, so dass einzelne Szenen isoliert im Raum stehen und die Handlung nicht immer logisch erscheint. Mitunter entstehen sogar trotz kurzer Aufführungsdauer „Längen“. Wer die Oper nicht kennt, kann bei dieser Inszenierung kaum verstehen, warum gerade diese Oper als eine der originellsten Schöpfungen Janáčeks gilt, über die er selbst mehrfach äußerte, dass sie sein bestes Werk sei.

 Wenn die Handlung auf Gedeih und Verderb in das übliche Inszenierungsschema gezwungen wird, verliert sie viel von ihrem Reiz und ihrer Brisanz, die für die damalige Zeit Zündstoff war und für die heutige Zeit wahre Erkenntnisse in sich birgt. Man denke nur an die Füchsin, die auf dem Hühnerhof zur „Revolte“ gegen den Hahn aufruft, um sich selbst die Macht anzueignen und alle Hühner „frisst“, d. h. hier jedes einzelne Huhn mit dem (Küchen-)Messer ermordet – „und die Moral von der Geschicht‘ – Revoluzzen lohnt sich nicht (vgl. Ägypten). Eltern mit kleineren Kindern verließen fluchtartig den Zuschauerraum bei dieser „Mordszene“ – also doch nicht geeignet für eine „Familienvorstellung“.

 Bei dieser Inszenierung fragt man sich, ob die erfreulich zahlreich erschienenen jungen Leute, die diese Oper nicht schon von anderen Inszenierungen her kennen, überhaupt eine Vorstellung davon hatten, worum es eigentlich geht. Die von Janácek ursprünglich vorgesehene Waldlandschaft mit Dachshöhle, Füchsleins Höhle, vollerblühter Sonnenblume, Seeförsterei, Gastwirtschaft mit Honoratiorenzimmer usw., d. h. eine bildliche Schilderung des typisch böhmischen Milieus, wurde bei Hilbrich zu einer, den Förster (der als Operngestalt teilweise auch Janáceks persönliche Züge trägt) beklemmenden, ausweglosen Situation in einer Tiefgarage (Bühnenbild: Volker Thiele), durch die er schnaufend und hörbar atmend, eilt, um einen Ausweg zu finden (einmal Tiefgarage – immer wieder Tiefgarage, fängt einer damit an, machen’s viele nach). Gelegentlich öffnet sich eine Wand (Ausfahrt), durch die nach Bedarf die handelnden Personen (natürlich auch wieder mit Stühlen) klettern oder kahle Bäume eingeschoben werden, und es „regnet“ Blätter und Luftballons von oben.

 Einziger „Lichtblick“ für Natur ist am Anfang und Ende ein echtes, 6 Monate altes Fuchsfräulein, das als 4 Wochen altes „Findelkind“ mit der Flasche aufgezogen wurde, wie ein Hündchen pariert und seine beiden 3-Minuten Auftritte fleißig absolviert (früher galten lebende Tiere auf der Bühne als Unsitte der Barockzeit). Außerdem gibt es eine kurzzeitig sichtbare, sonnendurchflutete Waldlandschaft, die zeigt, wie es auch sein könnte: eine Schilderung des Wirkens einer intakten Natur, die Janáčeks Tongemälde durchzieht.

 Das Libretto der Oper (auch von Janáček) verbindet das Geschehen in der Tierwelt fabelartig mit dem Leben der Menschen. Mensch und Natur sind eins. In der Inszenierung wird das Verhältnis umgekehrt. Der Förster, ganz in Weiß und mit Sonnenblumen, dem Symbol der Liebe, die er immer wieder einmal fallen lässt und aufsammelt, um sie wieder fallen zu lassen, erscheint wie ein „ewiger Hochzeiter“. Die Füchsin erscheint ihm, gespiegelt in vielerlei Versionen, u. a. auch „oben ohne“ unterm Fuchspelz. Am Ende muss der Förster die Schwäche des Alters erkennen und akzeptieren, aber als Altersresümee kommt er zu der Einsicht, dass der Kreislauf der Natur schon in Ordnung ist (damals noch war).

 Um die Handlung zu verstehen, möchte man schon wissen, dass es sich bei der Füchsin Bystrouška um die Assoziation eines Zigeunermädchens namens Terynka handelt. Hier gelang der Kostümbildnerin Gabriele Rupprecht eine gute Symbiose zwischen Tierkostüm und Mensch, was auch für den Hahn im Hühnerhof gilt, während die anderen Kostüme, vor allem die der Fuchskinder (wie aus der Mottenkiste) oder des als Mensch verkleideten Fuchses Zlatohřbítek (Hyuna Ko) viel vom Reiz der Tierdarstellung vermissen lassen. Dafür gibt es – wie in sehr vielen Inszenierungen – weißen Anzug (Förster) und rotes Kleid (Füchsin).

 Die „Honoratioren“ des Dorfes, der Schulmeister (Jürgen Müller) und der Pfarrer (Tomislav Lucic, der auch den Dachs gab) schwärmen ebenfalls für Terynka. Ihnen werden überdimensionale, wenn auch gut charakterisierende Pappköpfe als typische alte Herren auf Freiersfüßen übergestülpt. Es entsteht eine Wirtshausszene unter alten „Pappköpfen“, die in dieser Konstellation isoliert bleibt und nicht sonderlich überzeugen kann.

 Einen großen Pappkopf erhält auch die Försterin (Tichina Vaughn), die außerdem als Eule auftrat). Im Text wähnt sie der Förster gut und verständnisvoll, aber mit schriller Stimme und in strengem, uniformartigem Kostüm wirkt sie eher unerbittlich. Sehr klar und mit Stimmkraft sang Matthias Henneberg den Wilderer Harašta und überzeugte auch mit seiner Darstellung, so dass es verständlich erschien, dass er Terynkas Gunst gewinnt.

 Die umfangreiche Besetzungsliste gab vielen Sängerinnen und Sängern der Semperoper Gelegenheit, in kleinen Rollen, an die große Anforderungen gestellt werden, ihr Können zu zeigen, allen voran Birgit Fandrey mit ihrem sängerischen und darstellerischen Talent als dicker, anmaßender Hahn, den sie sehr gut gesungen und – wie auch den Eichelhäher – plausibel verkörpert hat.

 Außerdem überzeugten u. a. Angela Liebold (Jungfer Dackel), Roxana Incontrera (Frau Schopf-Henne), Gerald Hupach (Gastwirt Pásek) und Elisabeth Wilke (Specht), alle gestandene Solisten der Semperoper, die sich selbst diese kleineren Rollen angelegen sein ließen.

 Während der Sächsische Staatsopernchor Dresden (Wolfram Tetzner) seinen Aufgaben gut gerecht wurde, konnten die Kinder, ein Dresdner Kapellknabe und Kinder vom Heinrich-Schütz-Konservatorium Dresden mit ihren jungen Stimmchen, die Semperoper solistisch kaum füllen (Kinderchor: Claudia Schmidt-Krahmer). Abgesehen davon, dass Kinder auf der Bühne immer etwas Rührendes haben, aber diesen jungen, zarten Stimmen durch Überforderung kein Dienst erwiesen wird, konnten die kleinen Sänger trotz gutem Willen doch nicht so ganz überzeugen, die Hauptakteure hingegen sehr.

 Sergei Leiferkus hatte keine leichte Aufgabe. Er war ständig gegenwärtig, bewältigte aber diese Aufgabe sowohl seitens des Gesanges, als auch mit seiner Darstellung gut.

 „Star“ des Abends war zweifellos Vanessa Goikoetxea vom Jungen Ensemble, die zum ersten Mal in einer großen Rolle auftrat, sehr gut sang und als Füchsin Bystrouška bühnenwirksam agierte, teils wie eine ausgebildete Balletttänzerin. Sie war immer im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit und bildete den „zentralen Punkt“ der Aufführung.

 „Hauptakteur“ der Aufführung war auch die Sächsisches Staatskapelle Dresden. Sie spielte perfekt, mit gewohnter Klarheit und Musikverständnis, nur seitens des Dirigenten Tomáš Netopil hätte man sich gern mehr Inspiration gewünscht. Man möchte meinen, dass ein tschechischer Dirigent viel Wissen und Gefühl für die Musik seiner Heimat mitbringt und neben der Orientierung am Impressionismus die deutlichen Anklänge an die mährische Folklore hätte spürbar werden lassen. Die Musik ist im „Schlauen Füchslein“ lyrischer und weniger „expressionistisch“ als in anderen Werken aus Janáčeks später Schaffensphase und sollte auch so wiedergegeben werden, statt ihr das gegenwärtig übliche Interpretationsprinzip überzustülpen.

 Was auf den ersten Blick wie eine einfache Tierfabel erscheint, wurde in Janáceks Händen zu einer Erzählung über das Geheimnis des Lebens. Mit seiner Inszenierung drang der Regisseur jedoch nicht bis in die parabelhaften Aussagen der Oper vor. Er hat die oberflächlichen Szenen der Handlung als Anlass genommen, seine eigenen Vorstellungen zu realisieren. Wer die böhmische Landschaft kennt und eine Ahnung von der früheren Mentalität der Menschen dieser Gegend hat, ahnt, wie viel hier verloren gegangen ist.

 Ingrid Gerk

 

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