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DRESDEN/ Frauenkirche: DANIEL MÜLLER-SCHOTT – REGENSBURGER DOMSPATZEN – UTE SELBIG

Dresden/Frauenkirche: DANIEL MÜLLER-SCHOTT – REGENSBURGER DOMSPATZEN – UTE SELBIG   7. – 15.9.2013

Die Frauenkirche ist ein außergewöhnlich inspirierender Ort, wie die gastierenden Musikerimmer wieder betonen. Innerhalb kurzer Zeit folgten jetzt drei besondere Konzerte ganz unterschiedlich Art, aber jedes in seiner Besonderheit mit großer Ausstrahlung.

 Am 7.9. war das 2004 von seinem künstlerischen LeiterWerner Ehrhardt gegründete, Kammerorchester L’Arte del Mondo mit seinem individuellen, fast italienischen Klangbild zu Gast. Es hat seinen Sitz in Leverkusen (Deutschland). Der aus Köln stammende Ehrhardt erhielt eine umfangreiche Ausbildung in historischer Aufführungspraxis und leitete von 1985 bis 2005 das weltweit renommierte Kammerorchester Concerto Köln, mit dem er einen eigenständigen, unverwechselbaren historisch orientierten Interpretationsstil für ein konzertant-sinfonisches Repertoire, aber auch im Bereich der Oper und des Oratoriumsentwickelte, der auch in diesem Konzert begeisterte. Es ist ein sehr lebendiger, edler Klang ohne jede Antiquiertheit, der unmittelbar anspricht. So stellt man sich im Idealfall ein Barockorchester vor, musizierfreudig, frisch und mit einem vielfarbigen Klangspektrum.

 Schon die kurze „Sinfonia a quattro Nr. 9 „GesupresentatonelTempio“von Antonio Caldara(1670-1736) ließ aufhorchen. Mit gleicher Hingabe und Vitalität spielten die 20 Musiker in sehr gutem, angemessenem Tempo, nicht zu rasch, die beiden, vom Publikum mit großer Begeisterung aufgenommenen,Divertimenti D‑Dur (KV 136) und F‑Dur (KV 138) von W. A. Mozart und vermochten damit die Musik vergangener Jahrhunderte zu realistischem, gegenwärtigem Leben zu erwecken, im wahrsten Sinne des Wortes mitreißend – ein Mozart, der durch die Seele ging und wie man ihn nur selten hört.

 Bei diesem Orchester klingt alles wie selbstverständlich, nicht akademisiert, sondern natürlich und doch so niveauvoll. Es verfügt nicht einfach nur über ein einheitliches Klangbild. Sein wunderbarer Gesamtklang setzt sich aus der ursprünglichen Musizierfreude von Einzelpersönlichkeiten, die alle das gleiche Ziel verfolgen, zusammen. Dirigent und Orchester arbeiten das Spezifische eines Komponisten heraus und erfassen die jeweiligen Charakteristika einer Komposition.

 Der Solist des Abends,Daniel Müller-Schott erfreute die Zuhörer mit 2 Cellokonzerten, dem 3sätzigen „Konzert für Violoncello und Orchester A‑Dur (Wq. 172) von Carl Philipp Emanuel Bach und das ebenfalls 3sätzige „Konzert für Violoncello und Orchester Nr. 1 C‑Dur“ (Hob. VIIb:1) von Joseph Haydn, der sein Konzert vermutlich für den ersten Cellisten der Kapelle des Fürsten Esterhazy komponiert hatte. Bis 1961 galt es als verschollen, bis es in einer Kopie im Prager Nationalmuseum aufgefunden und 1962 beim Prager Frühling wieder „uraufgeführt“ wurde.

 Das Cello hob sich in seiner solistischen Funktion kontrastreich vom Orchester ab, ohne vordergründig zu sein. Hier wurde die Musik wirklich zur Sprache der Welt, die jeder versteht. Von Müller-Schotts Spiel geht eine besondere Faszination aus. Er spielt das modern bestückte „Ex Shapiro“ Matteo Goffriller Cello (Venedig 1727) in einer Balance zwischen historischem Bewusstsein und moderner Interpretation. Sein Ton ist männlich-herzhaft, zuweilen herb, aber auch oft „singend“, virtuosund leidenschaftlich, aber immer in fließenden Übergängen. Er vereinigt die Fülle sehr vielfältiger Klangfarben der alten Musik und alten Instrumente mit dem Geist unserer Zeit. Es passt alles zusammenin einer gesunden Mischung zeitenübergreifenden Musikverständnisses – eine gute Symbiose aus alter und neuer Zeit. Er konzentriert sich nicht nur auf eine historisch genaue Wiedergabe, sondern ein Übersetzen in die Geistes- und Gefühlswelt unserer Zeit und vor allem eine geistreiche Verbindung zwischen Tradition und Gegenwart.

In seiner unverstellten Art und innerer Anteilnahmehat er sich die Musik der Barockzeit, die er mit klassischer Klarheit spielt, und die Musik der Klassik selbst in seinem eigenen Verständnis und Personalstil zu Eigen gemacht. Wie sehr er sich auch mit Haydns Musik identifiziert, ging aus seiner (eigenen) Kadenz hervor, die den Eindruck erweckte, als wäre sie von Haydn selbst hinzugefügt.

 Das Publikum entließ Solist und Orchester erst nach 2 Zugaben, dem 1. Satz„Declamato“aus der „2. Cello-Suite (op. 80) von Benjamin Britten, hingebungsvollverträumt, versonnen und doch virtuos von Daniel Müller-Schott gespielt, und einer 2. Zugabe mit Orchester, der Wiederholung des Satzes aus Haydns Cellokonzert mit der wunderbaren Kadenz.

 In eine ganz andere musikalische Welt führte das Konzert derRegensburger Domspatzen (14.9.) mit ihren unverbrauchten jungen Stimmen, besonders schönen Sopranen, von denen zwei mit ihrem klaren hellen, ungewöhnlich kräftigen Knabensopransehr sicher anspruchsvolle Soli sangen, und einemedlen, vollen Chorklang mit natürlicher Frische und Klangfülle. Trotz aller Kunstfertigkeit und Disziplin (auch äußerlich) hat der Chor eine angenehme Natürlichkeit bewahrt, mit der er sich immer ganz auf die Musik konzentriert.

 Auf dem Programm standen neben den bekannten und sehr beliebten, immer wieder ansprechenden Gesängen wie F. Mendelssohn-Bartholdys„Hebe deine Augen auf“ aus dem „Elias“, seiner 8stimmigen Motette „Warum toben die Heiden“ und dem Trinitatisgesang eines Anonymus aus dem 15. Jh. „Alta trinitabeata“ (Arrangement: Günther Ramin), das am Ende noch einmal als Zugabe erklang, Motetten aus alter und neuer Zeit von Orlando di Lasso, G. P. da Palestrina, A. Hammerschmidt, J. Pachelbel, Heinrich Schütz(„Jauchzet dem Herrn, alle Welt“- 100. Psalm für 3 vierstimmige Chöre in entsprechender 3chöriger Aufstellung), A. Bruckner, B. Britten, Petr Eben (1929-2007), Javier Busto(* 1949), M. Durufléund Vytautas Miskinis(* 1954), bei denen immer wieder der sehr gute, ausgeglicheneChorklangbestach.

 Frauenkirchenorganist Samuel Kummer steuerte nebendem „Scherzo“ (op. 2) des französischen Organisten und Komponisten Maurice Duruflé(1902-1986), der im Gegensatz zu seinem Studienfreund Olivier Messiaen der Tradition verhaftet blieb, eine eigene „Improvisation über Themen aus dem gesungenen Programm“ bei. Mit für die Akustik der Kirche angemessener Registerwahl entfaltete er einen gewaltigen, spätromantisch inspirierten, Klangrausch, der das Publikum sehr beeindruckte.

 Ein ebenfalls sehr gutes Kammerorchester, das Kurpfälzische Kammerorchester, Mannheim,trat im traditionellen Sonntagskonzert (15.9.) auf und bot mit der „Sinfonie Es‑Dur“ (op. 6,5 Warb 11)von Johann Christian Bach einen sehr schönen Einstieg.

 Danach folgte das „Concerto a-Moll“ (BWV593) nach A. Vivaldiseines berühmten Vaters J. S. Bach. Dazu begab sich der Leiter der Sonntagsmusik, Frauenkirchenkantor Matthias Grünertan die große Frauenkirchenorgel. Ein Violinkonzert auf die Orgel zu transkribieren, ist kein leichtes Unterfangen. Das konnte damals überzeugend wahrscheinlich nur Bach, und es kommt auch heute noch sehr auf die Interpretation an. Grünert verstand es, durch eine gute Registerwahl, die nicht mit der Raumakustik in Wiederspruch stand, das Konzert mit besonderer Klarheit wiederzugeben und die Linien der Violine auf der Orgel geschickt nachzuzeichnen.

 Begleitet vom Kurpfälzischen Kammerorchester sang Ute Selbig, Solistin der Semperoper und gefeierte Opern- und Oratoriensängerin, W. A. Mozarts„Exulate, jubilate“, ursprünglich für einen Kastraten in Mailand komponiert, jetzt fast ausschließlich von Sopranstimmen, aber dennoch sehr unterschiedlich interpretiert. Im Gegensatz zu T. N. Goldstein, die die Motette kürzlich an gleicher Stelle (31.8.) mit dunkel timbriertem, leicht gutturalem Sopran und Vibrato durchaus überzeugend sang, vermittelte jetzt Ute Selbigmit jugendlich frischer, glockenreinerStimme, fast ohne Vibrato, in wunderbarer Klarheit, mit sehr deutlicher Artikulation, sauberen Koloraturen, besonders schönen Verzierungen und einer eigenen Kadenz, mit der sie nicht nur im Stil Mozarts, sondern auch in seinem Geist die Melodiebögen nahtlos weitergeführte, einen überwältigenden Eindruck, bei dem man nur andächtig und voller Freude lauschen konnte.

Den Abschluss dieses sehr ansprechenden, harmonisch ausgewogenen Sonntagskonzertes bildete die 3sätzige „Sinfonie D‑Dur – La Venezia“ von Mozarts ZeitgenossenAntonio Salieri. Sie beeindruckte durch die gute Wiedergabe des Kammerorchesters, das den letzten Satz als Zugabe noch einmal wiederholen musste.

Ingrid Gerk

 

Ingrid Gerk

 

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