DORTMUND: ELIAS – Besuchte Premiere am 03.03.12
Politisches Scheiter
Jens-Daniel Herzog hat in seinem ersten Intendanzjahr durchaus Mut, sperrige Werke in das Repertoire des Dortmunder Opernhauses zu nehmen, so eine der Perlen der deutschen Oratorienliteratur: Felix Mendelssohn-Bartholdys „Elias“, ein Werk zu dem man schon sichere, inhaltliche Gedanken haben sollte, wenn man es szenisch auf die Bretter stellen will. Doch die hat Herzog: der Prophet Elias ist bei ihm ein ganz moderner Politiker, der durch sein Charisma große Macht auf die Menschen hat, doch selbst von den Regierenden ( hier dem „König“ und den Engeln, einer Gruppe grauer Eminenzen, die ihren Einfluß gleich einem Geheimdienst zur Manipulation der Völker einsetzen) instrumentalisiert wird, die christliche Apotheose der Himmelfahrt gerinnt zum Abloben des Politikers Elias auf einen passiven Posten. Mathis Neidhardt baut eine Art Parlamentsraum von Viebrockschem Zuschnitt, in dessen zentraler Rundversenkung möblierende Requisiten zur Veranschaulichung der Situation auftauchen und wieder verschwinden, Verena Polkowskis Kostüme deuten exakt die Rolle der Protagonisten, dem Präsidentenpaar (König und Königin), die Witwe oder der Politiker Elias im Privatem , wie im öffentlichen Auftritt; das Chorkollektiv bildet einen bunten Querschnitt durch alle Bevölkerungsschichten und Berufe, vom Akademiker über die Krankenschwester bis zum Borussiafan. Herzog benutzt bei seiner Regie die modernen Metaphern unseres heutigen, technisierten Lebens, so findet die Heilung des Knaben gar auf einer Intensivstation statt. Doch so richtig überzeugt mich persönlich das Konzept nicht, denn wenn auch einzelne Szenen, wie die Arie „Ich habe genug“ in ihrer resignativen Bewußtwerdung des Mißbrauch der eigenen, öffentlichen Person eine hohe Identifikation zulassen, so wird das Regenwunder mit der Hohlheit eines Cheerleader-Auftritts zelebriert, die bösen Baalspriester als fiese Finanzmanager an ihren Pc´s gebrandmarkt, zwar deutliche Möglichkeiten, doch auch etwas banal in der Bildaussage. Doch auch die Behauptung der „Elias“ sei Mendelssohns unkomponierte Oper, sei angefochten, denn eindeutig in den Formen des geistlichen Oratoriums gefangen, tritt die Szene lediglich auf der Stelle, so eigentlich das ganze Himmelfahrtsfinale.
Musikalisch dagegen hat die Aufführung beträchtliche Meriten, denn Motonori Kobayashi zelebriert mit den glänzend aufspielenden Dortmunder Philharmonikern den großen, romantischen Breitwandklang, der dem Klangkörper (Wagner, Dvorak) ohrenscheinlich besonders liegt. So erfreulich auch die Chöre und Extrachöre des Theater Dortmunds unter der Leitung von Granville Walker, eine wirklich große Leistung.
Mit Christian Sist hat man allerdings auch einen wundervollen Sänger für die Titelpartie im Ensemble, eher Bass als Bariton geraten trotzdem die Höhen zu beeindruckenden Aussagen eines prophetischen Expressivos; besonders gefällt an Sists Stimme der romantische, man möchte fast sagen, „Märchenton“,der von einer erfüllenden Warmherzigkeit durchdrungen ist, mit leichtem Vibrato von persönlichem Charme erinnert der Ton an das Timbre des großen Hermann Prey. Julia Amos als Witwe kann auf diesem Niveau nicht mithalten, denn gerade in den etwas angestrengten Höhenlagen liegt sie oft leicht unter der eigentlichen Intonation. Dagegen klingen die Engel wahrlich himmlisch, so Katharina Peetz mit samtigem Alt, das Trio mit Anke Briegel, ebenfalls mit quecksilbrigem Sopran in ihren Soli, sowie Diane Blais betörend singend. Ileana Mateescu als Königin mit schönem Mezzo, schillert szenisch zwischen First Lady und der „Hure Babylon“. John Zuckerman mit feinem Tenorklang gibt einen aalglatten Politiker als Obadja. Martin Müller-Görgner (auch als König Ahab), Hyun Seung Oh und Karl Heinz Lehner ergänzen ansprechend die Engelschar. Leider ohne Namensnennung der treffliche Knabensolist von der Chorakademie Dortmund, der auch viele szenische Aufgaben sicher absolvierte.
Nachdem im Vorfeld der Premiere in der Dortmunder Tagespresse einige Polemisierungen gegen den „Beelzebub des moderenen Musiktheaters“, Intendant Herzog, stattgefunden hatten, erwartete man enormen Widerspruch gegenüber der durchaus mutigen, szenischen Deutung, doch nach einhelliger Begeisterung für den musikalischen Teil des Abends, gab es kaum Buhs für das Produktionteam, also ein großer Erfolg. Insgesamt ein Abend über den viel diskutiert werden wird, was ja nicht das Schlechteste für anregendes Theater bedeutet.
Martin Freitag