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DORTMUND: DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL. „Flucht aus türkisch-deutschen (Wohn)-Verhältnissen“

30.05.2014 | Allgemein, KRITIKEN, Oper

Die Entführung aus dem Serail. Premiere am 17. Mai 2014 – besuchte Vorstellung am 30. Mai 2014

 Flucht aus türkisch-deutschen (Wohn-) -Verhältnissen

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Foto: Björn Hickmann, Stage Picture

Mit seiner Inszenierung  des Oratoriums „Die Jahreszeiten“ von Haydn hat Dortmunds Opernintendant Jens-Daniel Herzog gezeigt, wie man  Musik auf ganz ungewohnte Weise  bebildern kann. In seiner neuesten Produktion baute ihm Bühnenbildner Mathis Neidhardt den Hinterhof eines  ärmlichen Mietshauses in einem heruntergekommenen  Viertel einer Großstadt, in dem Türken und Deutsche zusammen wohnen – es könnte auch Dortmund sein. Im ersten Obergeschoß hatte ein bei den Nachbarn beliebter türkischer Kleinunternehmer sein Büro eingerichtet, in dem auch seine deutsche Mitarbeiterin tätig war. Im Parterre betrieb ein anderer Türke eine Döner-Bude, in der er eine weibliche und eine männliche deutsche Aushilfe beschäftigte. Beide Türken versuchten, sich den Mitarbeiterinnen liebend zu nähern, zumindest die Angestellte des Unternehmers war nicht ganz abgeneigt.. Als  ein früherer Verehrer von ihr sie aus diesem Milieu wegholen wollte, gingen die beiden Dönerbudenaushilfen  gerne mit. Dabei gab es  Hindernisse, die Türken versuchten, die deutschen Mädchen mit guten Worten und auch mit Gewalt zu halten, was nicht gelang. Zwischendurch kam es zum gemeinsamen Besäufnis von Dönerbuden-Wirt – als Muslim wenig an Alkohol gewöhnt – und seinem Rivalen. Bei letzterem setzten  Alkohol und eine dumme Bemerkung rassistische Emotionen frei und er verprügelte den Türken, wofür dieser sich später entsprechend rächte. Als die Türken einsehen mußten, daß ihre Lieben nicht zu halten waren, brachte der Unternehmer sich aus Liebeskummer um, der Dönerbuden-Besitzer fuchtelte cholerisch aber machtlos mit der Knarre in der Gegend herum. In dieses Milieu passten auch die Kostüme – türkisch und deutsch gemischt.(ebenfalls von Mathis Neidhardt).

Weil es auch dabei um vorurteilsbedingte Beziehungshindernisse von Türken und Deutschen geht, wählte Herzog diese Handlung für seine Inszenierung des Singspiels „Die Entführung aus dem Serail“ von Wolfgang Amadè Mozart auf einen Text von Gottlieb Stephanie d.J. nach C. F. Bretzner,  einer Übernahme vom Nationaltheater Mannheim. Einige Dialoge wurden geändert und dann passte alles erstaunlich gut zusammen.  Bassa Selim war der Kleinunternehmer, Konstanze seine Mitarbeiterin, Osmin der Dönerbudenbetreiber, Pedrillo und Blonde seine Angestellten.  Fraglich blieb nur, ob selbst ein angesehener türkischer Arbeitgeber soviel Einfluß auf seine Mitbewohner haben kann, daß diese seine  ihm nicht angetraute Büroangestellte mit Gewalt hindern, mit einem anderen Mann das Haus zu verlassen. Andererseits gab  es viele Regieeinfälle, die textgenau zum Singspiel passten. Als Beispiel sei angeführt, wie Konstanze in der „Marterarie“ sich aus Verzweiflung über die Unsicherheit ihrer Gefühle  tödlich zu verletzen suchte zum Gesangstext „Zuletzt befreit mich doch der Tod“

In dieser Rolle war Eleonore Marguerre der Star des Abends. Beide Anforderungen ihrer Partie, lyrische Innigkeit und virtuose Koloratur, etwa fast direkt aufeinander folgend im I. Aufzug „Traurigkeit ward mir zum Lose“ und dann die „Marterarie“, konnte sie mit sicher getroffenen Spitzentönen großartig gestalten. Auch die  extreme Tiefe bei „Segen“ (sie sang nicht Sägen)  mit dem Sprung vom tiefen h zum hohen g und folgendem Triller gelang hervorragend.

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Foto: Björn Hickmann, Stage Picture

Mit seinem  kräftigen Tenor sang Lucian Krasznec einen  männlichen Belmonte, was gut zur Inszenierung passte.   Auch er beherrschte die Koloraturen bis zu den Spitzentönen treffsicher, auch das Crescendo zum f mit plötzlich folgendem p bei „O wie feurig“ war zu hören. Fritz Steinbacher als Pedrillo hätte sich nicht als erkältet ansagen brauchen. In seiner Arie, in der er sich Mut zur folgenden Flucht zuspricht, „Frisch zum Kampfe“ traf er mit seinem hellen Tenor die Spitzentöne und machte den Gegensatz zum stockenden p „Nur ein feiger Tropf“ deutlich. Verhalten klang seine Romanze im III. Aufzug zur gezupften Streicherbegleitung, bei der er zusätzlich das Büro des Bassa ausräumte. Tamara Weimerich spielte und sang eine kecke selbstsichere Blonde und zeigte dies  mit stimmlicher Geläufigkeit. Wen Wei Zhang  als Osmin brachte seine Wut in Trillern und Koloraturen auch stimmlich zum Ausdruck,  die  Oktavsprünge in seiner zweiten Arie gelangen. Bei „Hälse schnüren zu“ verfuhr er an Pedrillo entsprechend.. Gut war es, wenn man wie meine Nachbarin (sie sang mit) den Text kannte oder die Übertitel las, denn mit häufigen Vokalverfärbungen war er schwierig zu verstehen, die gefürchteten tiefen Töne seiner Partie deutete er nur an. Für die Sprechrolle des Bassa Selim war der bekannte türkische Schauspieler Serdar Somuncu gewonnen worden. Insgesamt spielte und sprach er seine Rolle eindringlich aber wie inzwischen gewohnt, es gibt ja kaum eine Inszenierung in letzter Zeit, in der das Liebeswerben des Bassa um Konstanze völlig ohne  Wirkung auf sie bleibt. Zum Schluß hörte man von ihm  sinnvolle Sprüche über das schwierige deutsch-türkische Verhältnis einschließlich einiger Worte auf türkisch.

Zu fast allen allen Soloarien gab es teils überflüssige Aktionen auf der Bühne, die manchmal die Konzentration auf den Gesang störten. Erfreulicherweise war dies bei den wichtigsten Ensembles nicht der Fall, besonders im Duett Belmonte und Konstanze „Meinetwegen sollst Du sterben“ und beim Quartett im II. Aufzug  mit der Vermutung des Verdachts der Untreue der beiden Damen, das so zum musikalischen Höhepunkt des Abends wurde.

Der Opernchor in der bewährten Einstudierung von Granville Walker sang seine beiden kurzen „Janitscharen“ – Chöre textverständlich und genau.

Motonori Kobayashi leitete überlegen das musikalische Geschehen, nahm  zügige Tempi. ließ aber das in Mode gekommene Ritardando bei den Seufzermotiven nicht aus. Vielleicht, weil zur Ouvertüre Mülltonnen über die Bühne geschoben wurden, gab es zu Beginn im höhergestellten Orchester leichte Schwierigkeiten. Danach klang es beweglich und schlank mit  schönen Soli, etwa der Hörner in der Arie „Traurigkeit“ oder nacheinander von Cello, Violine, Oboe und Flöte in der Einleitung der Marterarie, wobei sich der Bassa einen Eimer auf den Kopf stülpen mußte..

Als  mit Blick auf den durch eigene Hand gestorbenen Bassa  das Vaudeville „Wer soviel Huld vergessen kann“ und der Lobgesang auf den Bassa die Aufführung abschlossen, war dies Ende nicht so „happy“ wie beim Singspiel gewohnt, man war eher etwas betroffen.

Das Publikum applaudierte mit zaghaften Bravos für Konstanze, Pedrillo und den Dirigenten bis zum Sinken des eisernen Vorhangs.

 

Sigi Brockmann 1. Juni 2014

 

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