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COTTBUS: HOFFMANNS ERZÄHLUNGEN

08.12.2012 | Allgemein, KRITIKEN, Oper

COTTBUS: HOFFMANNS ERZÄHLUNGEN – Neuinszenierung  am 18.11.2012


Giuletta-Akt. Foto: Staatstheater Cottbus

 In einem kleinen Theater wie Cottbus, und in einem Mehrspartenhaus zumal, kann man sich in der Regel Regisseure mit tatsächlich oder vermeintlich großen Namen meist nicht leisten, und so liegt die Regie immer wieder in den Händen des Intendanten. Wie schon beim derzeit vor der „Götterdämmerung“ stehenden „Ring des Nibelungen“ von Richard Wagner, Premiere am 30. März 2013 rechtzeitig zum großen Wagner-Jahr, inszenierte Martin Schüler, seit der Saison 2003/04 Intendant und Vorstandsvorsitzender der Brandenburgischen Kulturstiftung Cottbus nach fast 20 Jahren nun wieder „Hoffmanns Erzählungen“ von Jacques Offenbach in dem wohl zu den schönsten Theatern Deutschlands zählenden freistehenden Haus in der Lausitz. Dramaturgin Katrin Böhnisch macht im Programmheft einige interessante und schlüssige Ausführungen zum Regiekonzept. Das Regieteam stellt den Künstler Hoffmann, der vor dem Leben in die Kunst flieht, in den Mittelpunkt und verarbeitet dabei geschickt und überzeugend dessen unrealistisches Frauenbild von seiner Geliebten Stella, die er gewissermaßen in ihre einzelnen Persönlichkeitsmerkmale zerlegt: In Olympia, die makellose Puppe, passiv und ohne Individualität, nach der Auffassung des 19. Jahrhunderts scheinbar die Frau als Geschöpf des Mannes und als sein Spiel- und Werkzeug zugleich; dann die Sängerin Antonia, die sich trotz aller Bemühungen Hoffmanns, sie unter Verzicht auf das gemeinsame, aber Tod bringende Singen zu heiraten, zwischen den Ansprüchen und Verführungen ihres Vaters, Hoffmanns und Mirakels zerreißt und letztlich durch den Gesang stirbt; sowie die Kurtisane Giuletta, Hoffmans femme fatale, die ihn mit ihren erotischen Reizen vollends ins Verderben stürzt, da er ihr – im Bühnenbild von Hans-Holger Schmidt sehr gut dargestellt – sein Spiegelbild überlässt und damit seine eigene Identität verliert. Je tiefer Hoffmann in das fantasierende Erzählen verfällt, umso mehr verschwimmen für ihn die Grenzen zwischen Illusion und Wirklichkeit. So kann er am Ende nicht mehr zu Stella finden. Das alles war in Cottbus gut zu sehen.

 Fast zu intensive Szenen eines Saufboldes bilden den Schluss der Aufführung, an der er offenbar auch von der Muse nicht mehr zu retten ist, die in der vom Staatstheater gewählten Fassung von Fritz Oeser eine profiliertere Rolle als sonst spielt. Sie beginnt den Abend mit einem langen Monolog, in dem sie ihre Zuneigung zu Hoffmann schildert, und beobachtet ihn und seine Täuschungen und Verfall – immer wieder eingreifend, aber ohne ihn aufhalten zu können – verkleidet als Corps-Student. Wenn sie sich dem Künstler dann mit ihrer Zuneigung einmal offenbart, lässt Marlene Lichtenberg, die dieses Rollenprofil mit großer darstellerischer Intensität umsetzt, ihre langen schwarzen Haare aus der Studentenmütze fallen… Sie sorgt gewissermaßen für eine dramaturgische Klammer um das Ganze, ist alle fünf Akte stets präsent mit ausdrucksvoller Mimik, wachem Auge und, wenn sie denn mal singen muss, mit ihrem warmen, in der Tiefe dunkel timbrierten, aber auch in der Höhe zu ausdrucksvollen Spitzentönen fähigen Mezzosopran. Wenn man Lichtenbergs „Siegfried“-Erda in Cottbus erlebt hat, kann man über ihre darstellerische Wandlungsfähigkeit nur staunen. Auch sie kann am Schluss Hoffmann nicht für sich gewinnen, wird gewissermaßen als Göttin der Kunst stilistisch überhöht – Preis für den totalen Verzicht.

 Bühnenbildner Schmidt entwarf für diese sehr lebendige und mit einer exzellenten und intensiven Personenregie aufwartende Produktion eine surreale Gründerzeit-Kulisse, die neben den realistischen und deftigen Szenen eines Berliner Weinkellers in schwarzem klassizistischem Ambiente die seelischen Abgründe Hoffmanns nachvollziehbar abbildet. Im Hintergrund schwebt ein Opernhaus als Symbol der Kunst. Immer wieder wird auch romantischer Surrealismus deutlich – so besonders mit den Gondeln im Nebel des Canale Grande von Venedig. Jessica Karge, die in der Intendanz von Claus Peymann am Wiener Burgtheater assistierte und auch schon als Kostümbildnerin am Zürcher Schauspielhaus, am Deutschen Theater Berlin, am Akademietheater Wien, am Gorki-Theater Berlin und zuletzt unter der Intendanz E. Laufenberg auch am Hans Otto Theater in Potsdam beschäftigt war, schuf als Gast in Cottbus fantasievolle Kostüme, angelehnt an den Stil Jules Vernes. Sie betonten immer wieder das Fantastische und Surrealistische und passten somit bestens in den Stil der Bühnenbilder sowie der Hoffmann-Dramaturgie. Seine Saufkumpane traten als Corps-Stundenten auf. Die Choreinstudierung von Christian Möbius war sehr gut, die Stimmen waren kraftvoll und auch die Choreografie bestens auf das Geschehen abgestimmt. Die Lichtregie von Mirko Möller-Pietralczyk sorgte für ebenso subtile wie expressive Stimmungen, immer eng der Handlung folgend.

 Der Haustenor Jens Klaus Wilde wagte sich in Cottbus, das in gutem altem Stil noch Sängerentwicklungen fördert, auf Empfehlung des Intendanten an den Hoffmann heran und zeigte sich in einem Interview mit der „Lausitzer Rundschau“ durchaus bewusst, dass man sich diese schwierige Rolle gut einteilen muss. Das ist ihm auch weitgehend gelungen. Wilde spielt die Rolle mit großer Empathie und singt sie in der Mittellage sicher und klangvoll, allein die doch immer wieder anspruchsvollen Höhen, nicht nur bei „Klein Zack“, zeigen stimmliche Höhen-Grenzen auf. Andreas Jäpel ist nach seinem guten „Siegfried“-Alberich ein ebenso engagierter und mit klangschönem bassbaritonalem Timbre singender Coppelius, Mirakel und Dapertutto, der nur bei der Dimanaten-Arie nicht ganz höhensicher singt. Hardy Brachmann füllt die drei Rollen des Dieners Andreas, Cochenille, Franz und Pitininaccio mit unglaublichem kömödiantischem Talent aus und besticht mit teilweise charaktertenoralen Klängen sowie hervorragender Diktion. Debra Stanley ist eine klangreine, mit ihrem hellen Sopran kokett agierende Olympia und spielt die Rolle mechanisch bezaubernd. Cornelia Zink wartet als Antonia mit einem warmen und lyrisch timbrierten Sopran auf – besonders einnehmend ihre lange Auftrittsarie und die Zerissenheit ihres Spiels. Gesine Forberger setzt sich von ihren beiden Vorgängerinnen hingegen durch ihren prägnanten Sopran und eine eindeutig auf erotische Qualitäten setzende Darstellung ab. Odilia Vandercruysse agiert intensiver als in anderen Fassungen als Primadonna Stella. Lutter und Crespel werden von Ingo Witzke verkörpert, der zwar großes Bassmaterial hat, es aber hier etwas musikalischer einsetzen müsste. Carola Fischer singt die Mutter Antonias ebenso gut wie Matthias Bleidorn den Spalanzani und Heiko Walter den Herman und Schlemihl. Dirk Klinke ist der Student Nathanael. In Giulettas Gefolge finden sich einige reizvoll aufgemachte Damen des Balletts.

 Der Cottbuser GMD Evan Christ dirigiert das Philharmionische Orchester mit viel Verve und beschwingten Tempi und sorgt für einen ständig guten Kontakt zwischen Bühne und Graben, wobei er sehr auf die Sänger und ihre Möglichkeiten achtet. Mit diesem „Hoffmann“ ist Cottbus wieder ein großer Wurf gelungen. Man kann nur staunen, was dieses doch realiv kleine Theater mit dem eigenen Ensemble so kompetent auf die Beine stellt.

(Fotos in der Bildergalerie)

 Klaus Billand

 

 

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