CD: Collection du Festival International Albert-Roussel / Socadisc NewArts
CDs mit Werken von
René de Castéra
Marcel Cominotto
Claude Delvincourt
Emile Goué
Albert Markov
Francis Thomé
Alljährlich findet im belgisch-französischen Grenzgebiet ein Musikfestival der besonderen Art statt, heuer bereits zum 20. Mal. Sein „Patron“ ist der französische Komponist Albert Roussel (1869-1937), ein Mann des „Meeres“ (lange bei der Marine tätig), der sich in seinen späteren Lebensjahren an der Küste der Normandie niedergelassen hatte. Er ließ sich auch dort in der Kleinstadt Varengeville begraben, wo Georges Braque gleichfalls seine letzte Ruhestätte gefunden hat.
Roussel schuf Orchesterwerke, Kammermusik, Lieder, Klavier- und Chorwerke. Seinen Balletten und der einzigen Oper (Le testament de la tante Caroline, Opéra-bouffe) begegnet man kaum. Von Kollegen wie Francis Poulenc, Sergej Prokofjew und Bohuslav Martinů (der ebenso wie Eric Satie zu seinen Schülern zählte) sehr geschätzt, ist das Werk von Roussel heute vordringlich in seiner Heimat lebendig.
Es ist der französische Allround-Musiker Damien Top (Musikwissenschaftler, Komponist, Tenor, Jahrgang 1963), der 1997 „Le Festival international Albert-Roussel“ begründete, in der französisch-belgischen Grenzregion, einerseits, um immer wieder Roussel ins Bewusstsein zu bringen, daneben auch gegen die „kulturelle Versteppung der ländlichen Gebiete“ gedacht, wie es heißt. In den Monaten September / Oktober widmet man sich hier vor allem der zeitgenössischen französischen und flämischen Musik und der modernen Kunst. Zahlreiche renommierte Kammermusik-Ensembles und Solisten sind hier auf den Besetzungszetteln zu finden.
Das Festival ist stolz auf seine Bibliothek – Tausende von Dokumenten wurden zusammen getragen, von denen ein großer Teil Roussel gewidmet ist (wahrscheinlich die größte Sammlung der Welt über den Komponisten): Manuskripte, Autographen, Briefe, Fotos, Bücher, Schallplatten, etc … Die Bibliothek wird regelmäßig aktualisiert, entweder durch Kauf oder durch Spenden.
Bleibendes „Nebenprodukt“ des Festivals, sicherlich als ein Hauptanliegen betrachtet, sind auch die CDs, die bei dieser Gelegenheit aufgenommen werden und in der „Collection du Festival“ erscheinen. Der Bogen ist hier weit gespannt – von den haarsträubenden virtuosen Geigenstücken von Albert Markov, dem heute 83jährigen Violinvirtuosen und Komponisten aus der Ukraine, bis zu dem geradezu einschmeichelnd schönen „Trio en la majeur op.121“ von Francis Thomé (1850-1909), interpretiert vom Thalberg-Trio: Das zeigt, dass man auch der Unterhaltungsmusik ihren Raum gibt. Thomé, Ende des 19. Jahrhunderts sehr populär, verdient ebenso der Vergessenheit entrissen zu werden wie andere Kollegen, denen man hier CDs widmet: Emile Goué (1904-1946), der einst von Albert Roussel gefördert wurde, ist mit zahlreichen, weniger der Tonalität verpflichteten Werken vertreten, Claude Delvincourt (1888 -1954) oder René de Castéra ( 1873 -1955), und, als Jüngster unter ihnen, Marcel Cominotto, Jahrgang 1956, der als einer der brillantesten zeitgenössischen Belgier gilt. Jeder eine musikalische Welt für sich.
Die kleinen Booklets der CDs, in französischer und englischer Sprache gehalten, erinnern – ausführlicher als selbst Allround-Nachschlagewerk Wikipedia es kann – an die Komponisten und bieten auch ausführliche Porträts der Interpreten.
Es ist ein Gruß aus Französisch-Flandern, der hier aus diesen Scheiben erklingt und Musikfreunde zweifellos aufhorchen lassen wird.
Renate Wagner