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BRÜNN: DAS WUNDER DER HELIANE – Premiere

28.09.2012 | Allgemein, KRITIKEN, Oper

Korngolds „DAS WUNDER DER HELIANE“ in Brno. Premiere am 27. September 2012


Sally du Randt in der Titelrolle. Foto: Nationaltheater Brno

 Es ist schon eine eigenartige Geschichte, dieses WUNDER DER HELIANE von Erich Wolfgang Korngold, das nun nach vielen Jahren in die Geburtsstadt seines Komponisten Brno zurückkehrt – im Rahmen einer Koproduktion des Pfalztheaters Kaiserslautern mit dem Narodni divadlo Brno.

 Eigenartig in erster Linie deshalb, weil der lange Schatten, den der übermächtige Vater des Komponisten seit der Uraufführung des Werkes geworfen hat, indem er drakonische Maßnahmen ergriff, um dem Sohne zum Erfolg zu verhelfen, die freilich das Gegenteil bewirkten, bis heute zu wirken scheint; alle beschwören die Einzigartigkeit des Werkes und wenn es denn gespielt wird, reicht das Publikum kaum für vier Abende – wo doch materieller Aufwand und die Bemühungen aller Beteiligten der Aufführung ein größeres Interesse verdient hätten…

 Eigenartig auch die Story des Werkes, die für heutige Verhältnisse kaum nachvollziehbar ist: eine von Mitleid erfasste Herrschersfrau wird für eben dieses Mitleid verurteilt, bekennt sich zu einer Tat, die sie nicht begangen hat und kommt dafür auf den Scheiterhaufen….

 Eigenartig letztlich die Korrekturen einer Inszenierung, die die Handlung als von einer anderen Frau, der Botin, eingefädelt und abgespult erscheinen lässt, quasi Ortrud- bzw. Ammen-Nähe („Frau ohne Schatten“) vorgaukelt, mit denen beiden sie allerdings weder musikalisch noch dramaturgisch etwas zu tun hat, aber in Wahrheit nur plattes Domina-Gehabe vorherrscht… Folgerichtig ist „der Vorhang zu und alle Fragen offen“.

 Die eigentliche Story ist doch viel simpler – sie ist, das mag heute altmodisch sein – von Moralvorstellungen der Entstehungszeit geprägt und wird nicht dadurch zeitgemäßer, dass man sie „kanalisiert“: wenn Heliane nicht von selbst und aus Mitleid zum Fremden kommt, sondern als Werkzeug der Botin von Anfang bis Ende durch das Stück „geleitet“ wird, zudem im Sinne dieser Botin mehr und mehr zu echter Leidenschaft und Liebe sich bekennt, oder, im Umkehrschluss durch ihr Verhalten durchaus „sündig“ und somit „schuldig“ wird, was in dieser Form die Vorlage so nicht enthält, ist das schon ein Eingriff ins Werk, der seine Grundtendenz nicht unwesentlich verändert.

 Musikalisch ist dieses WUNDER DER HELIANE viel eher bei Puccini und Pfitzner angesiedelt, denn bei Wagner oder Strauss. Es gibt grandiose Chorszenen, besonders gegen Ende des Werkes, die in ihrer Dynamik und Stringenz durchaus fesseln und in der Aufführung vom Chor des Janacek-Theaters Brno in der Einstudierung von Pavel Koňárek das Publikum stark beeindrucken. Es gibt ebenso ein grandios instrumentiertes Orchester in gewaltiger Besetzung, das sich der Partitur mit Hingabe und Fleiß annimmt, vom Dirigenten Peter Feranec mit Bemühen geführt wird und deshalb kaum zu einer wirklichen Musizierhaltung finden kann, da der Dirigent den Kopf meist in der Partitur, statt die Partitur im Kopfe hat (um ein bekanntes Strauss-Wort zu zitieren!) Die Bühne wird durch diese musikalische Breitseite oft übertönt, wirkliches Miteinander konnte ich kaum feststellen.


Jana Wallingerová als Botin. Foto: Nationaltheater Brno

 Korngolds Anforderungen nicht nur an den gesamten Apparat,  sondern in erster Linie auch an die Gesangs-Protagonisten sind gewaltig – hier liegt zweifellos ein weiterer Hinderungsgrund für die Durchsetzung des Werkes in den Spielplänen. Namentlich die Tenorpartie des Fremden ist eine Herausforderung, der Norbert Schmittberg sich mit Vehemenz stellt; freilich wird seine Leistung durch eine Art Dauer-Markieren in der höheren Lage stark eingegrenzt, ich meine, dass diese Partie – bei allen Schwierigkeiten – wesentlich zur weiteren Verbreitung des Werkes beitragen könnte, würde sie denn so gesungen, wie sie komponiert wurde. Derrick Lawrence verfügt für den Herrscher durchaus über einen klangvollen Bariton, den er sicher einsetzt; auch hier ist allerdings zu fragen, ob die „Korrekturen“ an der Figur dem Ganzen helfen: wenn dieser Despot plötzlich kippt und zu einem tragischen Liebhaber seiner ihn nicht erhörenden Frau wird, der sich am Ende selbst erschießt, wird das Ganze eher unverständlicher, als es im Original schon ist. Die „Botin“, eine ehemalige Geliebte des Herrschers, fädelt also in Johannes Reitmeiers Sicht die ganze Geschichte ein, was die Figur sehr aufwertet. Das allerdings hätte noch mehr Sinn gemacht, wenn von ihr mehr Text zu verstehen gewesen wäre. Jana Wallingerová verfügt durchaus über stimmliches Potential, das aber besonders in der tieferen Lage nicht durchdringend genug für diese sehr schwierige Partie ist. Zwei Herren des Ensembles von Brno fielen sehr angenehm auf – zum einen der Bariton Jan Štáva als Pförtner, zum anderen der Tenor Zoltán Korda als blinder Schwertrichter – stimmliche Schönheit und prägnante Diktion ließen aufhorchen.

 Zum Ereignis wird dieser Abend freilich allein durch die Trägerin der Titelpartie: Sally du Randt hatte als Heliane nicht nur gesanglich den größten Anteil am Erfolg des Abends, sondern sie war auch eine in jeder Phase ihrer Entwicklung überzeugende Darstellerin dieser vielschichtigen Rolle. Was sie musikalisch an diesem Abend geleistet hat, das war das eigentliche WUNDER DER HELIANE: aus den Anforderungen, die Korngold an diese Partie stellt, kann man getrost zwei Puccini-Partien bedienen, ich meine, dass Butterfly und Turandot zusammen nicht ausreichen, um die Vielfalt und den Umfang dieser Partie zu umreißen. Dieser außergewöhnlichen Anforderung stellte sich die Sängerin mit hoher Musikalität, großer stimmlicher Souveränität und einem gesamtkörperlichen Einsatz, der seinesgleichen sucht. Ein Ereignis im besten Sinne des Wortes.

 Ja, und was wird nun eigentlich mit der „Heliane“? Zunächst noch einmal und – trotz oben gemachter Einwände – grundsätzlich: was Kaiserslautern hier vor zwei Jahren geleistet hat und was nun Brno davon partizipiert kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Es ist gut und richtig, dass dieses Werk aufgeführt wird. Allerdings käme man sicher zu größerem Erfolg, wenn man nicht nur aller 20 Jahre durch den „aha“-Effekt einer Wiederaufführung aufmerksam auf etwas würde, das möglicherweise noch nicht voll ausgelotet worden ist. In diesem Sinne verstehe ich die Inszenierung von Johannes Reitmeier, die in Brno von Heinz LukasKindermann einstudiert wurde und die Ausstattung, die der Intendant Daniel Dvořák in Zusammenarbeit mit dem Kostümbildner Thomas Dörfler beigesteuert hatten als eine mögliche Diskussionsgrundlage, nun sollte man versuchen, das Werk möglichst ohne Umfunktionierungen auf einer eventuell noch höheren Abstraktionsstufe zu interpretieren, vielleicht erschließt es sich dann am ehesten. Die Partitur würde diesen Einsatz lohnen.

Werner P. Seiferth

 

 

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