Opernhaus Bonn: Einakter-Triptychon von Paul Hindemith (Vorstellung: 19. 10. 2012)
„Mörder, Hoffnung der Frauen“. Foto: Thilo Beu
Neunzig Jahre nach der vollständigen Uraufführung des Einakter-Triptychons von Paul Hindemith in Frankfurt präsentierte das Opernhaus Bonn in Kooperation mit dem Beethoven-Fest Bonn eine Neuinszenierung dieses Werks, mit dem der Komponist über Nacht zum berühmt-berüchtigten Fackelträger des musikalischen Expressionismus in Deutschland wurde. Zwei der drei Einakter wurden bereits 1921 in Stuttgart uraufgeführt, der dritte entfiel damals, weil sich der Dirigent Fritz Busch geweigert hatte, das Stück wegen der Handlung (nicht wegen der Musik!) zu dirigieren.
Hindemiths erste Opernkomposition, die zwischen 1919 und 1921 entstanden ist, basiert auf das expressionistische Schauspiel Mörder, Hoffnung der Frauen von Oskar Kokoschka, auf das Drama Sancta Susanna von August Stramm und das Marionettenspiel Das Nusch-Nuschi von Franz Blei. Während Kokoschkas Text den archaischen Kampf der Geschlechter schildert und Bleis Stück ein Spiel für burmanische Marionetten ist, thematisiert Stramms Drama auf polemisch-blasphemische Weise die Unterdrückung und Tabuisierung weiblicher Sexualität.
Der Inhalt der drei Einakter in Kurzfassung:
Mörder, Hoffnung der Frauen – Eine Schar Krieger triff auf eine Gruppe von Mädchen, wobei die Konfrontation beider Seiten durch ihre jeweiligen Anführer ausgetragen wird. Der Mann unterliegt der Frau und wird schwerverletzt eingesperrt. Die Frau zieht es jedoch zu dem Gefangenen, sie unterwirft sich ihm und befreit ihn. Er tötet sie und flieht, ein Blutbad unter seinen Kriegern und den Mädchen hinterlassend.
Sancta Susanna – Lustseufzer einer Magd dringen durch die offenen Fenster der Klosterkirche und versetzen die betende Nonne Susanna und ihre Mitschwester Klementia in eine eigentümliche Stimmung. Klementia erzählt von der Nonne Beata, die einst in einer solchen Frühlingsnacht nackt den Gekreuzigten küsste und zur Strafe lebendig eingemauert wurde. Im Spiegel dieser Erzählung erkennt Susanna sich selbst, entledigt sich ihrer Klostertracht und gerät in Ekstase. Die von den Schwestern daraufhin verlangte Beichte verweigert Susanna. Für die Nonnen ist sie nun an den Teufel verloren.
Das Nusch-Nuschi – Halb Ratte, halb Kaiman ist das Tier, auf dem Kamadewa, der Gott des Verlangens, im Reich des Kaisers Mung Tha Bya daherreitet. Kamadewa opfert das Tier der Erfüllung seiner Prophezeiungen. Der Diener Tum tum, der im Auftrag seines Herrn Zatwai alle vier Frauen des Kaisers entführt hat, erschlägt das Nusch-Nuschi und beeindruckt damit General Kyce Wang, der ihn in seine Dienste nimmt. So entgeht Zatwai der Strafe der Kastration, die über Tum tums Herrn wegen der Entführung verhängt worden ist. Aber da nun Kyce Wang der Gebieter Tum tums ist, sollte er die Strafe empfangen, doch muss der Scharfrichter feststellen, dass Kyce Wang bereits entmannt ist.
Klaus Weise gelang eine Inszenierung dieser drei Einakter voll beklemmender Dichte und Intensität, wobei auch der Humor nicht zu kurz kommt. Raimund Bauer schuf drei verschiedene, optisch gelungene Bühnenbilder: für Kokoschkas Werk baute er ein Künstleratelier mit überdimensionierten Skulpturen auf, für die Geschichte der Sancta Susanna einen schwarzen Raum, dessen Eingang ein hell beleuchtetes Kreuz ist und für die Burleske einen prächtig funkelnden Zauberzylinder, um den die exotisch-erotische Handlung kreiste. Die dazu notwendigen Lichteffekte steuerte Thomas Roscher bei. Dorothea Wimmer, der die Aufführungsserie aus tragischem Anlass gewidmet wurde – sie verstarb nach kurzer, schwerer Krankheit am 17. 7. 2012 in Innsbruck –, entwarf für das dritte Stück sehr erotisch wirkende Kostüme.
Die beiden Hauptfiguren des Geschlechterkampfs in Kokoschkas Mörder, Hoffnung der Frauen wurden vom amerikanischen Bariton Mark Morouse und der Wiener Sopranistin Julia Kamenik – beide mit starker Bühnenpräsenz und ausdrucksstarker Stimme – dargestellt. Die Gruppen der Frauen und Männer wurden vom stimmkräftigen Chor des Theaters Bonn gegeben.
„Sancta Susanna“. Foto: Thilo Beu
Im zweiten Stück wurde eine Umbesetzung der Titelrolle notwendig. Für die an einer Verkühlung erkrankte Sopranistin Ingeborg Greiner sprang Agnes Selma Weiland ein, die bereits an der Opéra de Lyon die Sancta Susanna sang. Sie begeisterte nicht nur durch ihren kraftvollen Sopran, sondern auch mit ihrer exzellenten Gestaltung der Rolle. Eindrucksvoll, wie sie sich in höchster Ekstase auf das am Boden liegende Kreuz wirft und ihren Körper mit dem Gekreuzigten zu vereinen sucht. Beachtlich auch die Mezzosopranistinnen Anjara Bartz als fromme Klementia und Guadalupe Larzabal als alte Nonne.
Eine Riesenbesetzung erforderte das exotische Werk Das Nusch-Nuschi des österreichischen Literaten Franz Blei. Die zentrale Rolle des Dieners Tum tum, der seinem Herrn, dem schönen Zatwai (vom Tänzer Hayato Yamaguchi nur mit einem Minislip bekleidet dargestellt), vier Frauen des Kaisers zuführt, war mit dem Wiener Tenor Roman Sadnik ausgezeichnet besetzt. Sowohl stimmlich wie schauspielerisch legte er eine komödiantische Glanzleistung hin. In einer kurzen Szene war er auch noch als Erster Dichter zu hören. Ebenso komisch legten Boris Beletskiy seine beiden Rollen – den betrunkenen Feldgeneral Kyce Wang und den Zeremonienmeister – sowie der bulgarische Bassbariton Martin Tzonev die Rollen des Bettlers und des Henkers an.
Die vier Frauen des Kaisers, die allesamt mit großer Begeisterung den schönen Zatwai aufsuchen, wurden von den adretten Mezzosopranistinnen Kathrin Leidig und Charlotte Quadt sowie von Vardeni Davidian und Ingeborg Greiner dargestellt, wobei Letztere nur auf der Bühne spielte, während ihr „Ersatz“ Agnes Selma Weiland die Rolle der Ratasata sang, wobei sie ihren Sopran wieder herrlich leuchten ließ. Die beiden hübsch anzuschauenden Bajaderen wurden von der Sopranistin Julia Komenik und der Mezzosopranistin Susanne Blattert mit lasziv angehauchter Grandezza gespielt. Zu nennen wären noch die zwei Tänzer Josef Michael Linnek und Jae Hoon Jung, die mit beeindruckender Artistik im Kostüm zweier dressierte Affen über die Bühne wirbelten.
Das Beethoven-Orchester Bonn wurde vom Schweizer Dirigenten Stefan Blunier geleitet, dem es gelang, die im ersten und zweiten Teil des Triptychons sehr expressive und klanggewaltige und im dritten Teil farbig schillernde Musik des Komponisten exzellent wiederzugeben. Die Orchesterpartitur des Nusch-Nuschi wird durch ihre vielen Zitate als besonders virtuos bezeichnet. Dazu ein aufschlussreiches Zitat aus einem von Susanne Schaal-Gotthardt verfassten Beitrag im gut illustrierten Programmheft: „Die Musik des NUSCH-NUSCHI nimmt mit zahlreichen Stilzitaten Anleihen bei Puccini, Mahler oder Bizet und verfremdet sie durch Überzeichnungen ins Parodistische. Natürlich ließ sich Hindemith auch das von Blei vorgegebene Wagner-Zitat (gemeint ist der im Artikel zuvor erwähnte Satz „Mir dies, dies, Tristan, mir“, Anm. d. Red.) nicht entgehen – und mit einer sogleich folgenden Anspielung an Richard Strauss‘ Symphonische Dichtung TILL EULENSPIEGEL wird der Persiflagencharakter dieser Passage vollends deutlich.“
Das Publikum schien zeitweise ein wenig verstört, manche lachten an unpassenden Stellen, geizte aber am Schluss nicht mit freundlichem Applaus für alle Mitwirkenden.
Udo Pacolt, Wien – München