PALAZZO DI VARIGNANA/ VARIGNANA MUSIC FESTIVAL vom 14. – 19. 7. 2014
Ein neues Musikfestival in einem neuen Luxusresort & Spa zwanzig Minuten außerhalb Bolognas ?
Spazio Belvedere. Foto: Robert Quitta
Auf eine solche Nachricht reagieren selbst leidenschaftliche Festivalbesucher mit verhaltener Skepsis. Dabei kann es sich doch nur um eine Art Animation handeln, um leichte Sommerunterhaltung, höchstwahrscheinlich vorgetragen von Nachwuchskräften der lokalen Konservatorien. Ein erster Blick aufs Programm belehrte einen jedoch gleich eines Besseren: da waren ja nur lauter Weltstars angekündigt…!
Das persönliche Erleben an Ort und Stelle verstärkte den positiven Eindruck nur noch.
Ja, klar, der Rahmen war sehr schön, und durch die Panoramafenster des Aufführungsortes „Spazio Belvedere“ hatte man während der Konzerte einen atemberaubenden Ausblick auf die Pinien, Pappeln und Zypressen des weitläufigen Parks in der Abenddämmerung.
In der Sache selbst gingen die veranstaltende Stiftung „Musica Insieme“ und die von ihr eingeladenen Künstler jedoch keinerlei Kompromisse ein und machten es dem Publikum in keinster Weise leicht.
Vonwegen leichter Sommerunterhaltung oder leichter Muse…! Die Auswahl der Musikstücke wies größtenteils schwere Kaliber auf, an der Grenze zur induzierten Sommer-Depression.
Mischa Maisky „betet“ Bach. Foto: Robert Quitta
Das eingängigste unter den uneingängigen Programmen bot sicher Mischa Maisky mit Bachs Cello-Suiten Nr. 3 und Nr. 5.
Für Maisky, den einzigen Cellisten der Welt, der nicht nur bei Casals, sondern auch bei Rostropowitsch studiert hat, stellen die Suiten nach eigener Aussage „so etwas wie die Bibel“ dar, und privat hat er auch schon mehr als 50 Aufnahmen von ihnen gesammelt.
Nun sind die Cellosuiten ja auch nicht gerade Musik, die man nachpfeifen, oder zu der man auf den Tischen tanzen kann, aber immerhin hat sie der durchschnittliche Musikliebhaber schon ein paar Mal in seinem Leben gehört, und trotz ihrer Sperrigkeit und hochkomplexen Konstruktion packen sie doch immer wieder durch die Intensität und die Virtuosität, die sie erfordern.
Und da war Maisky zweifellos in seinem Element. Wenn er auch manchmal für seine Interpretation gescholten wurde(„zu romantisch und subjektiv“, „an ihm scheint die historische Aufführungspraxis vollkommen vorbeigegangen zu sein“) ist doch unüberhörbar, dass ihm Bachs Meisterwerke schon längst in Fleisch und Blut übergegangen sind und er sie sich vollkommen zu eigen gemacht hat. So sehr, dass eine Zuschauerin schwärmerisch ausrief, ihm beim Spielen der Cellosuiten zuzuhören sei so als wäre man zugegen, wenn der Papst das Ave Maria betet.
Schon viel schwieriger machte es der in Lettland geborene, in Russland ausgebildete, aber sich mittlerweile total als Kosmopolit(„Ich benutze ein italienisches Cello mit französischen und deutschen Bögen und österreichischen Saiten, fahre ein japanisches Uto und habe eine italienische Frau“ ) betrachtende Weltstar schon mit dem gemeinsam mit seiner Pianistentochter Lily ausgeführten Rachmaninowkompositionen.
MIt Schostakowitschs „Sonate op.40“ war dann der äußerste Zumutungsgrad erreicht, aber auch der absolute Höhepunkt von Maiskys Interpretationen und vielleicht sogar der Höhepunkt des Festivals überhaupt.
Dagegen konnte der Abend mit Lily Maisky und ihrem Geiger-Gemahl Hrachya Avanesyan naturgemäß nur abfallen, obwohl das Programm ebensowenig ranschmeisserisch war wie das des Übervaters (Rachmaninows Romance und Élégie, Richard Strauss‘ Sonate op.18 ).
Für einen ordentlichen Qualitätsschub sorgte dann wieder der derzeit hochgehandelte ukrainische Piano-Shootingstar Alexander Romanovsky.
Obwohl man sich gemeinsam mit ihm, dem komplett in Schwarz gewandeten,schmalen,“wie ein Strich in der Landschaft“ erscheinenden,niemals lächelnden Jüngling am Ende seiner Darbietungen am liebsten umgebracht hätte, so schwarz war auch die Stimmung der von ihm präsentierten Stücke(Liszts Mephistowalzer,Rachmaninows Sonate in b-Moll und Tschaikovskys Die Jahreszeiten).
Ein ganz klein wenig weniger suizidal waren dann die Abende des weltberühmten Janácek-Quartetts aus Brünn.
Auch wenn Smetanas Streichquartett „Aus meinem Leben“, das unter anderem von seiner beginnenden Taubheit erzählt, ja ebenso wenig zur Wohlfühl-und Tafelbegleitmusik gezählt werden kann.
Seltsamerweise wirkte in diesem Zusammenhang Johannes “ Das Grab ist meine Freude “ Brahms‘ äußerst selten aufgeführtes – und hier gemeinsam mit Alexander Romanowsky dargebrachtes – Quintett op.34(erneutes Lob an die Veranstalter !) fast noch am lebensbejahendsten und lebensfrohsten.
Allerdings kann man in dieser Umgebung(und das ist der Vorteil dieser ungewöhnlichen Location) und bei diesen Gegengiften – exquisites Hotel, toller Park, schönes Wetter, gutes Essen (das Hotel bietet selbstverständlich diesbezügliche Packages an) – eine Zeitlang auch die tiefsten und schwärzesten Abgründe der menschlichen Seele ganz gut aushalten.
Robert Quitta, Varignana (bei Bologna)