Die goldenen Zwanziger – Eine musikalische Zeitreise durch 15 Jahre Deutschland: EIN RASANTES ZEITPANORAMA – 8.5.2014
Heiner Kondschaks Revue mit der Württembergischen Landesbühne Esslingen im Kronenzentrum/BIETIGHEIM-BISSINGEN
Copyright: Kronenzentrum Bietigheim
Diese musikalische Zeitreise durch 15 Jahre Deutschland von Heiner Kondschak (Buch, Regie, musikalische Leitung) hatte es wirklich in sich. Man schrieb Deutschland im Herbst 1918, das Ganze spielte in einer großen Bar und die Band (unter anderem mit Heiner Kondschak und Christian Ther, Gitarre und Klavier, Heike Rügert, Ruth Sabadino, Saxophon, Flöte) hatte auf der Bühne Platz genommen. Der Erste Weltkrieg war verloren, Kaiser Wilhelm II. floh nach Holland und in Berlin wurden zeitgleich eine „Deutsche Republik“ und eine „Freie sozialistische Republik“ ausgerufen. Schwerpunkt dieser rasanten Revue sind in jedem Fall die vielen elektrisierenden Songs wie „Das Lied vom Eisenerz“, „Heil dir im Siegerkranz“, „Stille und Lärm“, „Der Zusammenbruch-Song“, „Ballade von der Krüppelgarde“ oder „Warum soll eine Frau kein Verhältnis haben“. Die erschütternden Zeittragödien wurden hier zwischen Zarah Leander und Marlene Dietrich („Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“) gleichsam parodiert und auch satirisch auf die Schippe genommen. „Wegen Emil seine unanständ’ge Lust“, „Rebellenlied“, „Schöner Gigolo“, „Musik, Musik, Musik“, „Warte, warte nur ein Weilchen“ (ein erschreckender Song über den Massenmörder Fritz Haarmann) und „Mein Bruder macht im Tonfilm die Geräusche“ illustrierten sehr gekonnt den damaligen wildbewegten Zeitgeist. Denn die folgenden Jahre waren katastrophal und wurden hier auf engstem Raum zuweilen beklemmend dargestellt. Bis 1923 bestimmten Hunger, Arbeitslosigkeit, Männermangel, Aufstände und politische Morde das Stimmungsbild. Vor allem die gigantische Inflation machte den Menschen schwer zu schaffen. Deutlich wurde bei dieser abwechslungsreichen und nie langweiligen Inszenierung aber auch, dass der Aufschwung und „die goldenen Jahre“ dann trotzdem kamen: „Das Herz eines Boxers“, „An den kleinen Radioapparat“. Hier erreichte die Aufführung mit einer gelungenen Hitler-Parodie von Jonas Martin Schmid ihren Höhepunkt. Es wurde deutlich, wie hier der Nährboden für Adolf Hitlers Aufstieg gelegt wurde. Einmal schimmerte sogar bei der „Buchbesprechung“ von Hitlers „Mein Kampf“ eine Marcel-Reich-Ranicki-Persiflage durch. Solche Szenen waren brillant. Kondschak machte bei seiner Revue deutlich: Die Theater und Kinos waren voll und die Kunst erlebte eine nie dagewesene Vielfalt. Der schwarze Freitag 1929 mit dem berühmten Börsencrash in New York wurde zum atemberaubenden Tanz auf dem Vulkan – auch auf der Bühne. Es wurde überzeugend dargestellt, wie diese Weltwirtschaftskrise Adolf Hitler nutzte. Denn die Soldaten waren bereit, auf die Bevölkerung zu schießen. SA- und SS-Offiziere standen schon bereit, um Sozialisten wie etwa Erich Mühsam zu verhaften. Auch die Einblendungen der Bücherverbrennung wirkten zuletzt erschütternd.
Als Erzähler fungierte dabei passend Ralph Hönicke. Lothar Bobbe mimte unter anderem Paul von Hindenburg, Max Schreck, Lenin, Rosa Luxemburg. Weitere plastische Darsteller waren Stefan Fent als Wilhelm II., Erich Ludendorff, Max Schmeling oder Gustav Stresemann, Robert Eder als Erich Mühsam, Carl Zuckmayer oder Klaus Mann, Constance Klemenz als Giacomo Puccini, Pablo Picasso oder Sozialdemokratin, Susanne Weckerle als Kommunistin und Marlene Dietrich, Kristin Göpfert als Claire Waldoff, Marc Chagall oder Bertolt Brecht sowie das gesamte Ensemble als Krüppel, Arbeitslose und Filmteam „Wüstling Wendelin“. Die facettenreiche Ausstattung besorgte Ilona Lenk, für die Choreographie waren Merle Kondschak und Dagmar Claus (Tango) zuständig.
Alexander Walther