Betty Paoli
„ICH BIN NICHT VON DER ZEITLICHKEIT“:
AUSGEWÄHLTE WERKE
Herausgegeben und mit einem Nachwort von Karin S. Wozonig
256 Seiten, Residenz Verlag, 2024
Vom Nachteil, eine Frau zu sein
Betty Paoli (1814-1894) hat ihr ganzes Leben lang lautstark darunter gelitten, und sie tut es auch nach ihrem Tod aus demselben Grund: Sie war „nur“ eine Frau.. Beachtung fand sie zu Lebzeiten vor allem im Klatsch und Tratsch der Mitwelt, und heute (vor allem in den letzten Jahrzehnten, als sich der Feminismus auch in der Wissenschaft etablieren konnte) ist sie meist nur in der einschlägigen Sekundärliteratur vertreten, wo man in ihr durchaus eine wichtige weibliche Stimme des 19. Jahrhunderts erkannte. Aber es ist ihre um 16 Jahre jüngere Freundin Marie von Ebner-Eschenbach, die lange gelesen wurde und deren Namen man aus dieser Zeit noch kennt.
Das mag natürlich auch mit literarischen Genres zu tun haben. Die Ebner-Eschenbach versuchte viele Jahre lang, am Theater zu reüssieren, ohne je besonderen Erfolg zu haben (und alle ihre Stücke sind vergessen). Erst als sie begann, durchaus niveauvolle, menschlich ergreifende Novellen zu schreiben, setzte ein großartiger Karriere-Bruch ein und sie wurde berühmt.
Betty Paoli hingegen war in erster Linie Lyrikerin, und Gedichte haben es überhaupt schwer (wenn sie nicht aus der Feder von Goethe oder Rilke stammen), Und im übrigen war sie tatsächlich Journalistin, und dieses Genre gilt als „für den Tag geschrieben“ und interessiert die Nachwelt im allgemeinen herzlich wenig.
Immerhin – Karin S. Wozonig, die eine exzellente, ausführliche Biographie über Betty Paoli geschrieben hat, die alles andere als ein braves Frauenleben führte, ist auch die Herausgeberin des Bandes mit dem etwas schwülstigen Titel „Ich bin nicht von der Zeitlichkeit“. Bewiesen soll mit der Auswahl von Paolis Gedichten, einer Novelle und einigen Feuilletons und Kritiken, dass ihre Werke aus der Distanz von mehr als eineinhalb Jahrhunderten noch lesenswert sind.
Belletristisch war Betty Paoli selten, und sie wird in Selbstkritik wohl auch gewusst haben, dass sie die Novelle „Anna“ nur geschrieben hat, weil man damit Geld verdienen konnte. Immerhin geht es auch darin um ihr zentrales Thema, die Unterdrückung der Frau. Anna, die so arm ist, dass sie froh sein muss, geheiratet zu werden, lebt dann ein Dasein von beständigem Gehorchen, „ein despotischer Wille hatte jede Regung der Selbständigkeit in ihr unterdrückt, jede Kraft des Widerstandes gebrochen.“ Darum ist sie auch hilflos, etwas zu unternehmen, als mit einer alten Bekannten das Böse in ihr Leben kommt, sie selbst des Diebstahls, den diese begeht, verdächtigt wird, mit ihrem Kind ins Wasser geht. Der verständnislose Ehemann verdrückt sich am Ende nach Amerika… Keine aufregende Geschichte, traurig, aber nicht unbedingt fesselnd.
Die Betty Paoli, die schon mit 17 Jahren (!!!) in einem Gedicht der Männerwelt die Leviten las, sie möchten doch die Frauen als gleichwertig akzeptieren, hat dieses Thema immer wieder aufgeworfen: „Ein Kampfplatz nur war meine Lebensbahn“ bezieht sie das Problem auf sich persönlich (und man darf ihr konzedieren, dass sie den Kampf nie aufgegeben hat).
Man findet das Problem immer wieder, auch unter den Feuilletons („Wer kennt nicht die Redensarten, mit denen die socialen Pharisäer jeden Versuch des Weibes, sich durch Arbeit eine Stellung zu erringen, als unstatthaft zurückzuweisen pflegen ?“), es kehrt als „Beschwerde“ an die Gesellschaft und ihre Restriktionen in vielen Gedichten wieder.
In der Auswahl der Autorin findet sich auch der Aufsatz, den Betty Paoli nach Grillparzers Tod über den Dichter schrieb, dem sie persönlich öfter begegnet ist, und wer Grillparzer kennt, wird ihr (neben überschwänglicher Bewunderung) sehr viel scharfsinnige Analyse seines Wesens konzedieren.
Geradezu witzig ist die Theaterkritik, die sie zu „ K. K. Hof burgtheater. Die Jungfrau von Orleans. Fräulein Würzburg, vom Stadttheater in Hamburg, als Gast die Johanna“ verfasste. Man hat ihren Theaterkritiken Schärfe und Gnadenlosigkeit vorgeworfen, aber wie sie diese arme junge Frau (die dabei in ihrem Leben als spätere Gattin eines von Bettys Liebhabern noch eine Rolle spielen sollte) geradezu vernichtet, ist köstlich. Das hat sich nur noch ein Hans Weigel getraut, heute käme damit niemand mehr durch…
„Es ist mitunter ein recht mißliches Handwerk, so Tag für Tag auf der kritischen Warte zu stehen“, beschwerte sich die kluge, streitbare und amüsante Frau Paoli, die natürlich nie ihren gebührenden Platz im Bewusstsein der Öffentlichkeit einnehmen wird. Aber es lohnt sich, sich ein wenig näher mit ihr zu befassen. Auch mit der Biographie.
https://onlinemerker.com/karin-s-wozonig-betty-paoli/
Renate Wagner