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Karin S. Wozonig: BETTY PAOLI

Eine erstaunliche Frau

19.11.2024 | buch, CD/DVD/BUCH/Apps

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Karin S. Wozonig 
BETTY PAOLI
Dichterin und Journalistin
Eine Biographie
512 Seiten, Residenz Verlag,  2024

Eine
erstaunliche
Frau

Zu ihren Lebzeiten war sie berühmt. Heute kennen vielleicht nur noch Literaturwissenschaftler ihren Namen. Aber Betty Paoli ((1814-1894) ist als hoch begabte, entschlossen ein selbst bestimmtes Leben führende Schriftstellerin für uns hoch interessant, wie die umfangreiche und tief recherchierte Biographie von Karin S. Wozonig aus dem Residenz Verlag zeigt.

Die Autorin hat schon vor einem Vierteljahrhundert ein biographisches Werk über Betty Paoli im Löcker Verlag heraus gebracht, dieses ergänzt und überdies, gleichfalls nun im Residenz Verlag, auch noch ein Kompendium ihrer Werke zusammen gestellt. Immer wieder sind Gedichte und Texte von Betty Paoli in den Lauf des Buches eingefügt, und die Biographin hat auch reichlich Information aus dem großen Nachlaß der Dichterin bezogen, der sich in der Handschriftenabteilung der Wienbibliothek im Rathaus befindet.

Betty Paoli ist nie bescheiden „weiblich“ im Hintergrund geblieben. Die Lebensgeschichte, die hier chronologisch, immer im Dialog zwischen Biographie und Werk, nachgezeichnet wird, ist voll Selbstbewusstsein – und voll von Schwierigkeiten. Sie musste im 19. Jahrhundert, das sie zwischen Biedermeier und Gründerzeit ausschritt, ihren Lebensunterhalt selbst verdienen – und sie wollte es auf dem Gebiet der Literatur tun, was ihr nicht durchwegs gelang. Tatsächlich hat sie sich immer wieder als „Gesellschafterin“ verdingen müssen, weil man von Gedichten anfangs, Zeitungsartikeln später nicht leben konnte.

Was das Buch zeigt, ist ihre Meisterschaft im „Netzwerken“ – sie kannte alle, die zu ihrer Zeit in der (vor allem Wiener) Szene etwas bedeuteten, und sie nützte diese Bekanntschaften. Dennoch bedeutete erst de Möglichkeit, in einer Familie als Freundin und Mitbewohnerin unterzuschlüpfen“, einigermaßen Sicherheit.

Obwohl schon die Zeitgenossen ungemein neugierig auf das Leben der Betty Paoli waren, die von solchen Nachfragen wenig hielt (es sei eine Entweihung, Neugier und Klatschsucht zu befriedigen, meinte sie), bleibt vieles im Verborgenen, und Autorin Karin S. Wozonig gibt auch nicht vor, mehr zu wissen als Fakt ist. Zweifellos hat Betty Paoli selbst ihren Freunden erzähle, dass sie eine illegitime Tochter von Fürst Nikolaus I. Esterhazy war – einen Beweis gibt es nicht, man weiß auch nicht, wie ihre Mutter mit ihm zusammen gekommen ist, aber jedenfalls hat sich die Fürstenfamilie nie um Betty gekümmert. Das Buch stellt auf Seite 135 ein Bildnis von Nikolaus I. und Betty Paoli in ähnlicher Haltung neben einander, und wenn man will, kann man eine Ähnlichkeit ausmachen.

Obwohl sie in Briefen an Freunde immer wieder Persönliches verriet, ist beispielsweise auch nicht konkret zu erfahren, warum die Beziehung zwischen ihr und ihrer Mutter so schwierig war. Bis zum Tod dieser wohlhabenden Wiener Bürgerstochter Theresia, geborene Grünnagel, verheiratet mit dem Militärarzt Anton Glück (der offizielle Vater starb 1822, als Betty – getauft als „Barbara Glück“ – acht Jahre alt war), waren die Frauen schicksalhaft tragisch verbunden. 1834, mit 20, konnte die verwaiste Betty frei atmen, trug aber das Problem „Mutter“ immer mit sich.

Ebenso unmotiviert scheint, dass Betty Paoli in ihrem Leben immer wieder geradezu hektisch gereist ist, und das auch in entfernte Regionen, in einem Zeitalter, wo Reisen nicht bedeutete, in ein Flugzeug zu steigen und in wenigen Stunden anderswo zu sein, sondern wo es für eine alleinstehende Frau mit allerhand Problemen verbunden war. Da konnte es zu abenteuerlichen Situationen kommen – sie musste einmal Schlepper in Anspruch nehmen, um von Rußland zurück in die Monarchie zu gelangen… Tatsächlich suchte und fand sie immer wieder Stellungen außerhalb Wiens, was die Autorin zu der Charakterisierung einer „Arbeitsmigrantin“ veranlasst.

Dabei haben viele Anstellungen, diese „Versorgungsposten“, teils als Gouvernante, vor allem als Gesellschafterin, Betty Paolli nur wenige befriedigt. Nie allerdings ließ sie sich trotz der Arbeit vom „Dichten“ abhalten, und ihre überzeugenden Gedichte wurden früh beachtet. Sie erschienen übrigens anfangs unter dem Namen „Betty Glück“ – warum sie sich den Namen Betty Paoli gab, weiß man auch nicht… Eines jedenfalls war sie von Anfang an und blieb es immer: eine genaue Beobachterin und ein kritischer Geist.

Man könnte meinen, eine Frau, die lebenslang unverheiratet blieb, sei ein Blaustrumpf gewesen, doch im Gegenteil – Betty Paoli hatte einige Beziehungen mit Männern, doch keine ging glücklich aus. Absolut nichts Genaues weiß man über Geburt und Tod eines unehelichen Sohnes, der in der Zeittafel des Buches mit 1837 (da war sie 23) angegeben wird. Die weiblicherseits wohl sehr ernst genommene Affäre  mit  dem Schriftsteller Ludwig A. Frankl hat Betty Paoli, die damals eine gute Stellung bei der Familie Wertheimer am Judenplatz  inne hatte (wo Gott und die Welt aus und ein ging) sehr geschadet. Als dieser sie verließ, um eine andere zu heiraten, war Bettys Ruf dermaßen beschädigt, dass sie das Haus verlassen musste. Eine folgende Beschäftigung als „Frau für alles“ bei der alten Fürstin Schwarzenberg war um einiges schwieriger als die goldene Zeit bei Wertheimers. Betty Paoli hat, als sie vor allem nach der Revolution von 1848 auch als Journalistin arbeitete, viele gesellschaftliche Vorgaben ihrer Epoche in Frage gestellt, vor allem die Doppelmoral, die Männern alles zugestand und Frauen gar nichts…

Das Buch zeigt Betty Paoli inmitten einer Gesellschaft, in der sich Dichter wie Grillparzer, Stifter, Lenau bewegten und alle von ihren Werken angetan waren. Es zeigt ihre Schwierigkeiten, im Journalismus Fuß zu fassen (oft scheint es, als ob sich an den Problemen der „Freiberufler“ in dieser Welt gar nicht so viel geändert hätte…), wobei es ihr gelang, über Theater (sehr „streng“), über Bücher, kompetent über bildende Kunst und über Probleme ihrer Zeit zu schreiben – immer wieder auch an die Frauen selbst appellierend, sich nicht mit untergeordneten Rollenbildern zu begnügen – und die Lernfähigkeit der Männer bezüglich der Frauen postulierend,  ihnen endlich ein Universitätsstudium zuzugestehen.

Als Glücksfall ist die Begegnung mit Ida Fleischl- -Marxow zu werten, die aus München nach Wien reich verheiratete Schriftstellerin, die Betty Paoli bis zu deren Tod (und das waren noch knapp 40 Jahre) Unterkunft bot. Daher rührte auch das Gerücht, Betty Paoli sei auch Jüdin, was in keiner Weise der Fall war (man hatte sie gleich nach der Geburt getauft – ob Anton Glück, den ihre Mutter im Jahr von Betty Geburt heiratete und der den Vater abgab, Jude war, ist nicht klar).

Das Foto von drei alten Damen beim Tarockspiel, Betty Paoli, ihre Freundin Marie von Ebner-Eschenbach und Ida Fleischl-Marxow, ist berühmt geworden (und Ausgangspunkt für die „Dreier-Biographie“ der Frauen von Claudia Erdmann). Auch in den späteren Jahren behielt Betty Paoli ihre Schriftstellerei, Reisetätigkeit und ihre Beziehungen (darunter mit zwei Burgschauspielern) bei. Sie arbeitete unermüdlich und wurde auch viel geehrt. Sie starb kurz vor ihrem 80. Geburtstag.

Diese Biographie nimmt den Leser mit in die spannende Lebensgeschichte einer erstaunlichen Persönlichkeit  und in eine künstlerisch wie politisch ebenso spannende Epoche, in der sich eine Frau allein mit bemerkenswerter Kraft und Energie behauptete. Es ist nahezu ein Abenteuer, über Berry Paoli zu lesen.

Renate Wagner

 

Betty Paoli: AUSGEWÄHLTE WERKE

 

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