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BERN: MACBETH in einer überzeugenden Neufassung

28.01.2013 | Allgemein, KRITIKEN, Oper

Bern / Macbeth: in einer überzeugenden Neufassung! – 27.01.2013 (Alex Eisinger)

 
Fabienne Jost, Robin Adams. Foto-Copyright: Annette Boutellier

 Verdi’s Macbeth ist dessen erste Vertonung einer Shakespeare-Vorlage: die erste Fassung, 1847 in Florenz uraufgeführt, wurde trotz einer klaren, spannenden Handlung kein durchschlagender Erfolg, denn der junge Komponist mutete dem italienischen Publikum allzu viel „schwerverdauliche Kost“ zu. Kein Liebespaar, keine Dreiecksgeschichte, kein Tenorheld, statt dessen ein kinderloses, machtbesessenes Mörderpaar, Hexen und Geister. Und auf der musikalischen Seite fehlen die Gassenhauer, die Nummernoper in Belcanto-Tradition weicht über weite Strecken einem der Zeit weit vorauseilenden Stil der Charakterisierung: Verdi intendiert „die Verschmelzung der Musik mit dem Drama“, wodurch das Protagonistenpaar eine ungemein prägnante Zeichnung erfährt. Ungewohnt auch die Wahl mit einem dunkeln Sopran (oder einem hohen Mezzo) für die dominante Lady Macbeth und einem Bariton für ihren beeinflussbaren, abergläubischen Ehemann. Zwar kam das Werk bedeutend besser an als die vorangegangenen „I due Foscari“, „Giovanna d’Arco“, „Alzira“ und „Attila“, aber der Schock, respektive das mangelnde Verständnis für soviel Neues verhinderten einen Triumph.

Aus damaliger Sicht ist das nachvollziehbar, aus heutiger Optik ist es schwer verständlich, denn die Handlung der Erstfassung folgt der Vorlage des genialen Shakespeare recht genau, spitzt sie sogar noch zu, da der Fokus noch vermehrt auf das Ehepaar gerichtet ist. Und da dieser Plot dramaturgisch um Lichtjahre stringenter als die verworrenen Geschichten der viel höher bewerteten und viel öfter aufgeführten Werke wie „Trovatore“, „Forza del Destino“ und S.Boccanegra“ ist, darf man sich füglich wundern, dass „Macbeth“ bis Mitte des vorigen Jahrhunderts als zweitklassiges Oeuvre des Meisters von Busseto eingestuft wurde.

18 Jahre später wurde in Paris die Zweitfassung des Werks aus der Taufe gehoben: sie unterscheidet sich von der Florentiner Fassung durch Hinzufügung zweier Chorszenen (Hexen in Akt1 und Flüchtlinge in Akt4); im 2.Akt erhält LadyM mit „la luce langue“ eine weitere Arie zugeteilt, die ihre Dominanz bis zur Werkmitte zusätzlich akzentuiert. Im 3.Akt fügte Verdi in der Tradition der französischen Grand Opéra für Paris „das unverzichtbare Ballett“ hinzu und der Akt schliesst mit dem dramatischen Rache-Duett der Gatten. Im 4.Akt hat die Schlachtszene in Fugato-Form eine Erweiterung erfahren und das Werk endet mit dem Huldigungschor „Salve o re“.

Das Stadttheater Bern jedoch hat sich für seine Neuinszenierung unter der Regie von Ludger Engels für eine Mischfassung, die auf der meist gespielten Pariser Fassung basiert, entschieden, jedoch die Ballettmusik und den Chor der Luftgeister daraus eliminiert; und im 4. Akt wird der Kampf zwischen Macbeth und Macduff gemäss der Urfassung auf die Szene zurückgeholt, mündet in die Sterbeszene des Tyrannen. Der Fokus des Berner Werkschlusses kommt somit auf die seelischen Abgründe des Titelträgers Macbeth zu liegen. Die Oper endet nicht mit dem Triumph der Befreier, sondern mit der Tragödie des Mörders.- Die Berner Produktion hält aber noch eine weitere Überraschung bereit: so circa 10 Mal hört man zwischen Musikstücken kurz ein Hintergrundrauschen, aus dem dann entweder von einem Sänger, den Hexen oder über Lautsprecher kurze, englische Originalzitate aus dem Shakespearestück zu hören sind. Das ergibt eine gespenstische Note, die hervorragend zu den Themen Aberglaube, Prophezeihungen, Übersinnliches, Hexen passt. Allerdings habe ich in Pausengesprächen herausgehört, dass diese Einsprengsel nicht bei allen Zuschauern auf Gegenliebe stiessen, als Unterbrechung des Musikflusses wahrgenommen wurden.

Nun aber zur Aufführung: Ludger Engels legt eine heutige, spannende Studie über ein problembeladenes Ehepaar vor. Der nachfolgende Text aus dem Programmheft wird in einem modernen Setting (funktionales Bühnenbild von Ric Schachtebeck) mit präziser, psychologisierender Personenführung hervorragend umgesetzt: „Unfähig Leben zu zeugen und aus Angst vor einer unfruchtbaren Krone, bringt das kinderlose, sexuell-erotisch gescheiterte Ehepaar nur noch Tote hervor. Dem ersten Opfer Duncan folgen Banquo, Macduffs Familie und viele mehr. Was das Paar einmal verbunden hat, wissen wir nicht, ebenso wenig, ob sie jemals ein Kind gehabt und wieder verloren haben oder ob sie – warum auch immer – keine Nachkommen bekommen können. Lady Macbeth nimmt Abschied von Leiblichkeit und Affektwelt um ihre Ziele erreichen zu können. Die *Wollust der Macht* ersetzt laut ihr jedes *irdische Verlangen*. Das aber zu einem hohen Preis: das Paar entfremdet sich, und während die Lady über ihre Schuldgefühle schliesslich wahnsinnig wird und Selbstmord begeht, versucht Macbeth – bestärkt durch die Orakelsprüche der Zauberschwestern – immer weiter durch blutige Taten seine Männlichkeit wiederherzustellen und dem endlosen Albtraum seiner Schlaflosigkeit und prophetischen Schreckensvisionen zu entkommen.“

Die Kostüme von Moritz Junge und die fantasievolle Aufmachung der Hexen sind passend zu Regie in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts angesiedelt. Die Lichtgestaltung Karl Morawec’s ist raffiniert, erzeugt wechselvolle Stimmungen.

Das Orchester unter seinem musikalischen Direktor Srboljub Dinic präsentierte sich in Hochform, es gab keinen einzigen Wackler, der Dirigent setzte Akzente, war andrerseits aber auch ein einfühlsamer Begleiter, ein überzeugendes Dirigat. Im selben Atemzug darf der Chor unter Zsolt Czetner erwähnt werden, der durch rhythmische Präzision und gute Artikulation zu gefallen wusste.

Nun zu den Sängern: in diesem Werk gibt es zwei Partien, die praktisch nur mit einer Arie „zu Wort“ kommen; grossartig Pavel Shmulevich als Banquo: der Russe singt „Come dal ciel precipita“ mit einem für sein Alter schon dunklen, schönen Bass und fliessenden Kantilenen, er macht nachhaltig auf sich aufmerksam. Dann Adriano Graziani als Macduff: er bringt seine Arie ohne Fehl und Tadel, allerdings zieht mich sein Timbre nicht in Bann und ausgerechnet da fiel der Regie das einzige Mal den ganzen Abend nichts ein und sein Vortrag verkam deshalb leider zum altmodischen Stehtheater. Andries Cloete als Malcolm war wie stets eine Bank, Yun-Jeong Lee als Apparizione sorgte mit ihrem klaren Sopran für eine ange- nehme Erstbegegnung. Claude Eichenberger als Dama der Lady Macbeth, Pier Dalas als Servo und Tadeusz Tomaszczuck komplettierten engagiert in den stichwortgebenden Nebenrollen.


Robin Adams, Fabienne Jost. Foto: Annette Boutellier

Doch nun zu den zwei Protagonisten, auf deren Schultern die Last des Abends liegt. Beide setzen einzeln und im Zusammenspiel das anspruchsvolle, oben zitierte Konzept der Regie auf überzeugende Weise um: auch ohne das Programmheft gelesen zu haben, erlebt man die Studie eines gescheiterten Ehepaars, das zum Schluss der Bankettszene nach aussen gerade noch knapp den Schein wahrt, das nur noch durch das gemeinsame Interesse des Machterhalts zusammenhält, bis dann auch diese Bastion bröckelt und beide einsam tödlich enden. Wenn man bedenkt, dass sowohl Fabienne Jost und Robin Adams in ihren großen Partien débutieren, darf ich zur darstellenden Charakterisierung gratulieren. Gesanglich überzeugt ihre Lady durch saubere Intonation, klare Koloraturen und den Mut in der Schlafwandelszene auch die von Verdi geforderten fahlen und ab und an mal hässlichen Töne à la Mara Zampieri zu bringen. Er hat sich seit seinem Wechsel ins grosse Fach weiterentwickelt: setzte er zu Beginn noch auf Kraftmeierei nach dem Motto „hört hin, ich hab’s drauf“, pflegt er jetzt zu seinem Vorteil einen weit ökonomischeren Gesangseinsatz, beglückt und betört uns auch mit tragenden, herrlichen Pianophrasen. Bei Sopran und Bariton gibt es noch Luft nach oben, das ist bei musikalisch so schwierigen, grossen Happen nicht als Kritik zu werten, im Gegenteil: beide Künstler haben das Potenzial im Verlauf der Aufführungsserie sich noch zu steigern. Und Bern darf ich dazu gratulieren, dass sie das mörderische Ehepaar Macbeth aus dem eigenen Ensemble besetzen können.

Jubel für alle, auch die Vorstände, nach einer spannenden Interpretation dieses Verdi-Thrillers, zahlreiche Bravos für Lady Macbeth, Macbeth, Banquo und den Dirigenten.

Alex Eisinger

 

 

 

 

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