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BERN: ARMIDE von Christoph Willibald Gluck. Schöne Stimmen, musikalischer Genuss. Premiere

29.09.2014 | Allgemein, KRITIKEN, Oper

BERN: ARMIDE von Christoph Willibald Gluck. 28.09.2014 / Schöne Stimmen, musikalischer Genuss

Unbenannt
Miriam Clark, Claude Eichenberger. Copyright: Philipp Zinniker

 Konzert Theater Bern wagt sich an eine Rarität des Gluck-Oeuvres. Das Werk entstand zwischen den bekannteren „Iphigenie in Aulis“ (1774) und „Iphigenie auf Tauris“ (1779) und wurde im Beisein von König Louis XVI am 23. September 1777 in Paris uraufgeführt. Das Libretto des französischen Dramatikers Philippe Quinault übernahm Gluck wörtlich von der rund ein Jahrhundert früher entstandenen Oper Lully’s. Der Stoff basiert auf einer Nebenhandlung des berühmten Epos „Gerusalemme liberata“ von Torquato Tasso. Der gleiche Stoff hat rund ein Duzend Komponisten inspiriert u.a. haben Lully, Haendel, Traetta, Jommelli, Salieri, nach Gluck dann Haydn, Cherubini, Anfossi, Righini, Rossini, Dvorak Opern komponiert. Die Handlung der grossen heroischen Oper ist im Grunde genommen ganz einfach gestrickt: die schöne, orientalische Königin Armida verfügt über Zauberkräfte, die sie gegenüber dem Kreuzfahrer Renaud (oder Rinaldo) einsetzt; er erliegt aber ihren Reizen nicht erliegt. Seine Gleichgültigkeit verwandelt ihre Lieb in Hass und sie beschliesst ihn umzubringen. Doch just im Moment der geplanten Tat entflammt beim Anblick des schlafenden Kriegers ihre Liebe erneut und sie entführt ihn in ihr Schloss. Doch das Zusammenleben mit ihrem Traummann wird ihr von den Furien vergällt. Kampfgefährten Renauds gelingt es nach einigen Schwierigkeiten zu ihrem Anführer vorzudringen und ihm ein Schwert auszuhändigen. Nach kurzem Abschied entkommt er den Fängen Armidas und zieht erneut in den Kampf um Jerusalem. Die verlassene Königin zerstört zornentbrannt ihr eigenes Schloss und kommt unter dessen Trümmern zu Tode. Was sich prima vista wie ein billiger Dreigroschenroman aus ferner Zeit liest, ist ein modernes Stück einer unabhängigen, emanzipierten Frau über Liebe, Beziehungs-(un)fähigkeit und Angst vor Kontrollverlust, ein psychologisches Sezierbild um ein weitgefächertes Spektrum von Gefühlen.

Unbenannt
Copyright:Philipp Zinniker

Gluck hat seine Armide durchkomponiert, es ist keine Nummernoper mit dacapo-Arien: als Opernreformator seiner Zeit ist es ihm gelungen zwei damalige Stilrichtungen unter einen Hut zu bringen, den französischen und italienischen Stil zu vermählen.

Zur Aufführung: Mario Venzago leitete das Berner Symphonieorchester sehr differenziert, ob dramatische Zuspitzung oder elegische Bögen, das Publikum durfte musikalischen Genuss vom Feinsten erleben und entsprechend wurden sie auch gefeiert. Gut auch, dass einige Ballettpassagen, dem Geschmack des damaligen Publikums in Paris geschuldet, weggelassen wurden.

Als nächstes gebührt dem Chor und Extrachor der Theater Bern unter der bewährten Leitung von Zsolt Czetner ein Lob für Präzision und Klangbalance. Die praktikable Bühne von Duri Bischoff gehört ebenfalls zu den Positiva der Produktion: stimmungsvoll, schön anzusehen und zudem wurden durch den Einsatz der Drehbühne stimmungstötende Umbaupausen vermieden, verschiedene Schauplätze ermöglicht. Der Zaubergarten mit Gräsern und Kakteen prächtig.

Leider muss ich für das wenig kleidsame Kostüm (Nic Tillein) der Titelrollenträgerin in Akt 2+3 einen ersten kleinwüchsigen Kaktus verteilen, alles andere passte, obwohl die Frage erlaubt sei, warum wir uns in Akt 1 eher in Afrika als im vordern Orient aufhielten?

Ein Riesenkaktus geht an die Regie von Anna-Sophie Mahler, die zum Schluss einen Buh-Sturm, nicht nur einzelne Buhs verdient hätte. Nun gut, es gab einige Lichtblicke, aber im grossen Ganzen herrschte Einfallslosigkeit de luxe: entweder feierte Rampensingen Urständ oder es wurden Möbel, Kissen oder Kleider herumgeschmissen, ganz egal was an Gefühlen oder Emotionen zum Ausdruck gebracht werden sollte. Der absolute Tiefpunkt wurde in Akt4 erreicht als Ubalde sich mit bis unter die Knie heruntergelassenen Hosen minutenlang kaum mehr bewegen konnte, peinlich. Und wenn wir schon bei den heute fest zum Repertoire gehörenden Umzieh- und Entkleidungsorgien sind, Robin Adam’s athletischer Torso müssen wir nicht in jeder Produktion sehen. Da Armide in französischer Originalsprache gegeben wurde, erhält die Regie das Prädikat „pauvre“.

Sehr betrüblich deshalb weil ein Ensemble schöner Stimmen versammelt war: Miriam Clark/Armide bringt einen herrlich timbrierten Sopran zum Klingen, piano oder forte … wunderbar; darstellerisch ist sie schwer zu beurteilen, da sie einen gewieft-fordernden Regisseur gebraucht hätte um alle Facetten der Titelfigur auszuspielen. Ihre beiden Vertrauten, Camille Butcher/Phénice und Yun-Jeong Lee/Sidonie fielen durch ebenfalls schöne, technisch versiert geführte Stimmen auf. In der kurzen, überaus dankbaren Partie des Hasses setzte Claude Eichenberger/La Haine ein Glanzlicht, trumpfte mit exzellenten Spitzentönen auf. Bleibt noch die junge Sophie Rennert/Démon Lucinde zu erwähnen, die mit ebenmässig geführtem Mezzo aufhorchen liess. Nun zu den Herren der Schöpfung: Andries Cloete/Renaud war wie stets ein sicherer Wert, überzeugte, der Tenor erklomm die oft hohe Tessitur seines Parts ohne zu forcieren; und da er darstellerisch begabt ist, kam der Charakter seiner Rolle glaubhaft herüber. Sébastien Soulès/Hidraot mit belastbarem Bariton weiss ebenfalls zu überzeugen. Die beiden Krieger Robin Adams/Le Chevalier Danois und Nuno Dias/Ubalde steuerten stimmlich Power und Wohlklang bei. In Nebenrollen komplettierten Michael Feyfar/Artémidore und Wolfgang Resch/Aronte zuverlässig.

Fazit: das Publikum applaudierte zufrieden, Bravos gab es unter den Sängern für Clark, Eichenberger, Jeong-Lee und Cloete, das Orchester unter Venzago und den Chor.

 Alex Eisinger

 

 

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