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BERLIN/Staatsoper: KATJA KABANOWA

03.02.2014 | Allgemein, KRITIKEN, Oper

BERLIN/ Staatsoper im Schillertheater: KATJA KABANOWA am 1.2.2014

Eva-Maria Westbroek als Katja und Deborah Polaski als Kabanicha
Deborah Polaski und Eva Maria Westbroek. Foto: Bernd Uhlig

Das Licht im Saal des Schillertheaters geht ganz plötzlich aus, es gab zuvor auch keinen Auftrittsapplaus für den Dirigenten. Wie in Bayreuth beim “Rheingold” setzen die tiefen Streicher hier im Dunkeln mit der Einleitung zu Leoš Janáčeks Meisterwerk “Katja Kabanowa” ein.Wenn man diese leisen Töne der tiefen Streicher in b-moll, der Todestonart, im Finsteren hört, ahnt man schon, was einem da in den nächsten hundert (pausenlosen) Minuten erwartet. Erst dann wird es langsam hell im Orchestergraben und auch die Notlichter bei den Eingängen werden wieder eingeschaltet.

Das Bühnenbild von Annette Murschetz, dass ich im Laufe des Abends nur unwesentlich verändern wird, strahlt eine ungemütliche Kälte aus, schimmeligeWände, einKühlschrank, eine gusseiserne Badewanne, ein Autoreifen, lehmiger Boden, Unrat … Man kann verstehen, dass sich Katja Kabanowa hier nicht wohlfühlt. Wenn die Kabanicha auftritt, dann weiß man, wer hier das Sagen hat. Herrisch im Auftreten, unduldsam gegenüber jedem Anflug von Aufbegehren, in abgöttischer Liebe zu ihrem Sohn entbrannt, die schon ödipale Ausmaße annimmt, mit abgrundtiefem Hass ihrer Schwiegertochter gegenüber. Ihr alkoholkranker Sohn Tichon, ein Waschlappen gegenüber seiner Mutter, aber ein brutaler Kerl seiner Frau und seinen Bediensteten gegenüber. Eine von Freiheit träumende und dabei noch positiv in die Zukunft blickende Varvara und ihr eigentlich nur an sich denkender Liebhaber Kudrjas. Sie sind die einzigen Lichtpunkte (neben Katja natürlich, deren Licht allerdings schon zu verblassen droht). Die beiden haben auch den Mut, diese Hölle auf Erden zu verlassen, um in Moskau ihr Glück zu versuchen. Ob sie es jedoch dort finden werden, ist fraglich. Ein scheinheiliger, nach außen hin moralisierender, im Geheimen jedoch geiler und vielleicht schon impotenter Kaufmann Dikoj. Sein Neffe Boris, ein noch junger, aber vom Leben bereits Enttäuschter, der nicht den Mut aufbringt, mit seiner Geliebten zu fliehen und ein neues Leben zu beginnen. Und dazwischen eine wie Varvara von Freiheit träumende Katja, die bereits zu Beginn im Kühlschrank als frostigem Zufluchtsort sitzt, weil ihr das wohl gegenüber der Gefühlskälte ihrer Mitmenschen noch das geringere Übel zu sein scheint. Das sind die Hauptfiguren in der Inszenierung von Andrea Breth, die vor vier Jahren am Théâtre de la Monnaie in Brüssel herausgekommen ist und nun mit neuer Besetzung im Schillertheater Premiere hatte. Und diese Katja trifft nun auf den feschen Boris, der vielleicht genau der richtige Mann für sie wäre … Sie lässt sich auf eine Affäre mit ihm ein, ein kurzer Moment von Glückseligkeit, aber das war dann doch zu viel für sie. Sie bricht zusammen. Alles was danach passiert, passiert wohl nur in ihrerPhantasie. Die Beichte von ihremFehltritt bei einem Gewitter gerät so zum surrealen Albtraum. Sie sieht Blut aus Boris’ Koffer rinnen, das dieser in der Badewanne verteilt, sie sieht wie man ihren Sarg vorbeiträgt, sie sieht sich selbst als kleines Kind an der Hand des Pfarrers vorbeigehen, sie sieht die Totenfeier, die man für sie ausrichtet. Sie sieht keinen Ausweg mehr aus ihrer Lage und schneidet sich in derBadewanne die Pulsadern auf.

Großen Anteil an dem Erfolg hat natürlich Eva-Maria Westbroek, die sowohl stimmlich mit ihrem immer dramatischer werdenden Sopran als auch darstellerisch mit ihrer unvergleichlichen Persönlichkeit eine ideale Interpretin der Titelrolle ist und damit an ihre unvergessliche Leistung als Jenufa in der Stuttgarter Oper in der atemberaubenden Inszenierung von Calixto Bieito anknüpft. Auftritte mit ihr an der Wiener Staatsoper sind leider nicht geplant. Es ist völlig unverständlich, dass die Wiener Staatsoper eine der besten Singschauspielerinnen der Gegenwart so beharrlich ignoriert. Deborah Polaski war ihr eine starke Gegenspielerin, sie ist das schlimmste Schwiegermonster, das sich nur denken lässt, die allein schon bei ihrem ersten Auftritt im Pelzmantel allen das Fürchten lehrt. Wie sie außer ihrem Sohn alle kaltherzig behandelt, wie sie Tichon im Zuber nach der Kirche wie einen kleinen Buben zwischen den Beinen wäscht, wie sie den lüsternen Dikoj mit der Hand befriedigt, kann wohl kaum heute von einer anderen Sängerin gleichartig oder gar besser dargeboten werden. Der Vergleich ihrer Leistung hier zu jener in der gleichen Partie an der WienerStaatsoper zeigt, wie sehr sie in der schlechten, lähmend-langweiligen Produktion von André Engel unterfordert war. Anna Lapkovskaja als schönstimmige Varvara vervollständigte ein großartiges Damenterzett.

Daneben hatten es die Herren wirklich schwer. Der gut aussehende Pavel Černoch war mit seinem schönen lyrischen Tenor ein idealer Boris. Stephan Rügamer mit seinem hellen Tenor als Tichon, Florian Hoffmann als höhensicherer Kudrjas und Pavlo Hunka mit voluminösen Bass als Dikoj waren zufriedenstellend. Roman Trekel hat wohl aus Dankbarkeit der Regisseurin gegenüber (er war der großartige Wozzeck in der Andrea Breth-Inszenierung im Schillertheater) die Minirolle des Kuligin übernommen und kann somit als Luxusbesetzung bezeichnet werden. Was vielleicht noch besonders erwähnt werden sollte, ist die Tatsache, dass Breth selbst für die kleinsten (zum Teil sogar stummen) Rollen ein ausgefeiltes Rollenportrait erarbeitet hat. Großartig!

Am Pult der bestens disponierten Staatskapelle Berlin stand Sir Simon Rattle und man spürte von Anfang an, dass ihm die Musik Janáčeks am Herzen liegt. Man spürte förmlich, wie er mit den Musikern atmete,ja selbst jede Generalpause geriet spannend.

Andrea Breth und Simon Rattle ist hier eine wahrhaft packende und zugleich zutiefst berührende Interpretation gelungen.

Walter Nowotny

 

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