Musikalische Rarität in Berlin: „Le Vin herbé“ von Frank Martin (Vorstellung: 7. 6. 2013)
Die aus ÖSTERREICH stammende Sopranistin Anna Prohaska als Isolde (Foto: Clärchen und Hermann Baus)
Mit einer besonderen musikalischen Rarität wartet die Berliner Staatsoper im Schillertheater mit dem weltlichen Oratorium „Le Vin herbé“ („Der Zaubertrank“) von Frank Martin (1890 – 1974) auf. Dabei handelt es sich um die klassische Tristan-Sage, wobei der Schweizer Komponist drei Kapitel des 1900 erschienenen Romans „Tristan et Iseut“ von Joseph Bédier als Grundlage nahm. Im Gegensatz zu Richard Wagner entschloss sich Martin zu einer kammermusikalischen Behandlung des Stoffs und komponierte sein Werk für 12 Singstimmen, 7 Streichinstrumente und Klavier.
Die Uraufführung der abendfüllenden Fassung fand 1942 in Zürich statt, die erste szenische Aufführung 1948 in Salzburg (unter der musikalischen Leitung von Ferenc Fricsay und der Regie von Oscar Fritz Schuh). Die Premiere der Neuinszenierung in Berlin, die in französischer Sprache mit deutschen Übertiteln gebracht wird, war am 25. Mai 2013.
„Le Vin herbé“ erzählt in 18 Bildern die Geschichte von Tristan und Isolde von der Überfahrt nach Cornwall, wo sie gegen ihren Willen König Marke heiraten soll, bis zu beider Tod. Die britische Regisseurin Katie Mitchell verlegte die Handlung in eine französische Großstadt des Jahres 1942, wo in einem von den Alliierten zerbombten Theater ein Ensemble von Laien- und Profi-Sängern das Oratorium in Gedenken an die zweitausend Toten der jüngsten Bombenangriffe aufführt. Die Ausstattung dazu schuf Lizzie Clachan, deren Bühnenbild ein zerstörtes Theater zeigt, in dem einfache Stühle, Tische und ein Bett von den Darstellern für die jeweilige Szene aufgestellt und wieder weggeräumt wurden. Alle zwölf Personen trugen lange schwarze Mäntel und Hüte. Für die Lichtregie zeichnete James Farncombe verantwortlich, der die Bühne meist in finsterer Düsternis beließ.
Dieses weltliche Oratorium szenisch umzusetzen, ist gewiss kein leichtes Unterfangen. Mit der Verlegung der Handlung in eine Ruine und dem Gedenken an die Toten war die Aufführung von Anfang an von einer traurig-melancholischen Stimmung geprägt, die dem Charakter der tragischen Liebe von Tristan und Isolde auch entgegenkam. Wie stark das Publikum von der Aufführung ergriffen war, konnte man am Schluss daran merken, dass der Applaus erst einsetzte, als sich der nur langsam niedergehende Vorhang zur Gänze geschlossen hatte!
Dem Orchester – je zwei Violinen, Bratschen und Violoncello, ein Kontrabass und Klavier –, das sich aus Mitgliedern der Staatskapelle Berlin zusammensetzte und vom französischen Dirigenten Franck Ollu geleitet wurde, gelang es eindrucksvoll, die herrlich-romantischen Klänge der Partitur des Komponisten mit allen Nuancen wiederzugeben.
Die zwölf Singstimmen bildeten eigentlich einen Chor, der die Handlung erzählte und dies in klangvoller Schönheit vollbrachte. Alle „Rollen“ waren mit exzellenten Opernsängern besetzt, die ihre Gefühle fast nur mit ihren Stimmen auszudrücken hatten, da sich nur selten (z. B. bei der Liebesszene nach dem Zaubertrank und beim Sterben der beiden Liebenden) Gelegenheiten für schauspielerische Aktionen boten.
Der deutsche Tenor Matthias Klink als Tristan und die junge österreichische Sopranistin Anna Prohaska als Isolde (im Oratorium Iseut La Blonde genannt) boten beide exzellente Leistungen, wobei sie auch ihre szenischen Möglichkeiten in der Liebes- und Todesszene gut zu nutzen verstanden. König Marke (Le Roi Marc) wurde vom schwedischen Bass Ludvig Lindström dargestellt, der schon mit seiner Größe eine Bühnenwirksamkeit erreicht, die für diese Rolle prädestiniert ist. Die kroatische Sopranistin Evelin Novak gab die Brangäne (Branghien), die finnische Mezzosopranistin Virpi Räisänen Isot, die Weißhändige (Iseut Aux Blanches Mains).Beide Sängerinnen konnten auch in ihren kurzen Szenen mimisch überzeugen.
Isoldes Mutter (Iseut Mère) wurde von der deutschen Mezzosopranistin Katharina Kammerloher gegeben, Tristans Freund Kaherdin vom niederländischen Tenor Peter Gijsbertsen, Herzog Hoël (Le Duc Hoël) vom tschechischen Bass Jan Martiník.
Der finnische Bass Arttu Kataja ließ sich vor der Vorstellung als indisponiert ansagen, wobei er um Nachsicht bat, nicht mit voller Kraft singen zu können. Er bewältigte seinen Part dennoch souverän. Als weitere Solisten waren im Einsatz: die lyrische, aus Wien gebürtige Mezzosopranistin Stephanie Atanasov, der norwegische Tenor Thorbjørn Gulbrandsøy und die armenische Sopranistin Narine Yeghiyan.
Am Schluss des Oratoriums sang das zwölfköpfige Sängerensemble als Chor eindrucksvoll den die Sage beendenden Epilog und verkündete, dass es für alle Liebenden Trost gäbe „gegen das Unrecht, gegen den Verdruss, gegen die Qual und gegen alle Leiden der Liebe“.
Das von der Vorstellung ergriffene Publikum spendete allen Mitwirkenden nicht enden wollenden Beifall, wobei sich immer wieder Bravorufe unter den Applaus mischten.
Udo Pacolt, Wien
PS: Ein Hinweis für an dieser Produktion Interessierte: „Le Vin herbé“ wird in der nächsten Saison wiederaufgenommen! Die Termine sind: 22., 24. und 26. April 2014.