Berlin/ Komische Oper: Premiere „MAZEPPA“ 24.02.13
Robert Hayward als Mazeppa, Asmik Grigorian als Maria, Foto Monika Rittershaus
Eine kaum bekannte Tschaikowski-Oper nun auch in Berlin aus der Versenkung zu holen, ist ein verdienstvolles Unterfangen. Dafür gebührt der Komischen Oper Berlin und dem Intendanten Barrie Kosky ein Lob.
In der Tat beleuchtet die Musik den hier thematisierten Zwiespalt zwischen den kriegerischen und privaten Ereignissen in meisterhafter Weise. Die Palette reicht vom kämpferischen Auftrumpfen über volkstümliche Melodien bis zu choralartigen Gesängen. Bei den Massenszenen glänzen die Chöre, einstudiert von André Kellinghaus. Sie tragen den Abend wesentlich mit, und Dirigent Henrik Nánási treibt mit jugendlichem Elan das Geschehen voran.
Warum trotz dieser teils dramatischen, teils gefühlvollen und oft sehr russisch wirkenden Musik dieses Werk ins Hintertreffen geriet, ist eigentlich ein Rätsel. Vielleicht haben ihm die beiden Erfolgsstücke Tschaikowskis – Eugen Onegin und Pique Dame – die Schau gestohlen. Doch allmählich, siehe Heidelberg und Krefeld, ändert sich das.
Womöglich lagen uns im westlichen Europa bisher die Vorgänge im damaligen Russland zu fern. Immerhin ist die Schlacht bei Poltowa im Jahr 1709 – eigentlich waren es sogar drei – eine historische Begebenheit. Alexander Puschkin hat sie in einem Gedicht gewürdigt. Nach diesem Poem schufen Viktor P. Burenin und Tschaikowski selbst das Libretto. Mit eingebunden ist eine Geschichte über die Unmöglichkeit der Liebe in solchen und vielleicht in allen Zeiten.
In dieser Oper verliebt sich der alte Kosakenhauptmann Mazeppa in die blutjunge Maria, sein Patenkind und Tochter seines Freundes Kotschubej. Und sie sich in ihn. Doch alsbald bedrängen sowohl politische Ereignisse als auch Egoismen das romantische Verhältnis, und das Schicksal nimmt seinen Lauf.
Eigentlich der perfekte Stoff für eine Oper, die hier in Berlin zum ersten Mal inszeniert wird. Für den Flamen Ivo van Hove, künstlerischer Leiter der Toneel-Groep Amsterdam, ist es gleichzeitig die erste Opernregie in Deutschland. Doch seine gewisse Unerfahrenheit in diesem Metier wird spürbar.
Wie dem Programmheft zu entnehmen ist, hat ihn GMD Nánási zwar in Tschaikowski Musik eingewiesen, doch van Hove vertraut ihr offenbar nicht gänzlich und meint, mit Hilfe von Videos (Tal Yarden) alles zusätzlich erklären und darüber hinaus ins Heutige und Allgemeine heben zu müssen. Eine in diesem Ausmaß unnötige Aktivität. Denn schon die Ouvertüre „erzählt“ vom Ritt Mazeppas und kündigt die kommende Katastrophe an. Noch überflüssiger ist die Bebilderung sämtlicher Zwischenspiele. Panzer, Flüchtende und ihre Auffangcamps flackern im Hintergrund. Für Menschen mit Musikohren ist solch eine optische Überrumpelung ein Ärgernis.
Die Bühne, ein grauer, karg eingerichteter Saal (Bühnenbild und Licht: Jan Versweyveld) bleibt in allen drei Akten, von kleinen Veränderungen abgesehen, die gleiche. Das ist akzeptabel. Die Kostüme (Wojciech Dziedzic) sind es ebenfalls, zumal die roten „high heels“ die schönen Beine von Asmik Grigorian (als Maria) gut zur Geltung bringen. Gekonnt bringt sie selbst ihren gut geschulten Sopran zur Geltung, gestaltet die dramatischen Partien mit der erforderlichen Kraft, ohne je schrill zu werden, ist aber auch der zarten, innigen Töne fähig. Vom Typ her und darstellerisch ist die junge, schlanke Litauerin die passende Besetzung für dieses Mädchen, das ein Opfer ihrer Liebe wird.
Ihr sympathischer Jugendfreund Andrej hat bei ihr keine Chance. Aleš Briscein, ein junger Tenor von der Oper Prag, singt und spielt seinen Kummer und später seinen Hass auf Mazeppa, der ihm Maria genommen hat, eindrucksvoll heraus.
Auch der britische Bariton Robert Hayward, ein international gefragter, dunkel temperierter Bariton, passt von Stimme und Aussehen her gut als Mazeppa, kann durchaus die Schwankungen zwischen später Liebe und dem Ehrgeiz des (noch heutzutage gefeierten) ukrainischen Freiheitskämpfers in Ton und Tat plausibel machen. Für seine etwas kehlige, aber mit Engagement gesungene persönliche Liebeserklärung an die abwesende (!) Maria erhält er Zwischenbeifall. Erst danach taucht sie mit leicht gerundetem Babybauch auf und rügt sein vermeintliches Desinteresse.
Ihn plagen andere Sorgen, verschweigt er doch der Geliebten, dass er ihren Vater gefangen genommen und zum Tode verurteilt hat. Auch lässt er ihn von seinem fiesen Geheimagenten Orlik (Philipp Meierhöfer) grausam foltern. Wohl nicht nur, weil der Mazeppas Aufruhr-Pläne dem Zaren (Peter dem Großen) verraten hat. Nein, der Kosakenhauptmann will auch das Versteck erfahren, wo der Ex-Freund sein Gold hortet.
Diesen gibt Alexey Antonov mit profundem, wohltönendem Bass und wirkt auch schauspielerisch überzeugend, zuerst als der über Marias Wahl entsetzte Vater, dann als Gefangener und schließlich als gefasst in den Tod Gehender. Für mich der Beste in der Männerriege!
Ebenfalls gefoltert wird sein Freund Christoph Späth. Dass aber beide nach der Tortur dermaßen mit Theaterblut besudelt werden, entspricht nach m. M. nicht einer modernen Regie. Als betrunkener Kosak tanzt Máté Gál in der zarentreuen Menge voller Mut und Lebenslust auf dem Tisch.
Fazit schon jetzt: zur Liebe sind bei Tschaikowski, dem bekanntlich schwulen Komponisten, nur die Frauen fähig. Marias Mutter schleicht sich zur Tochter, damit die Mazeppa daran hindert, den Mann und Vater umzubringen. Mit volumigem Mezzo redet (singt) Agnes Zwierko auf sie ein, doch die ist bereits der realen Welt abhanden gekommen und hält das Gehörte für einen bösen Traum. Dieses beeindruckende „Singspiel“ von Mutter und Tochter geht unter die Haut und erhält sogleich Zwischenbeifall.
Währenddessen fleht Kotschubej Gott um die Vergebung aller Sünden an. Der Chor nimmt diese Bitte in choralartiger Form voller Inbrunst auf. Musikalisch sind das einprägsame Minuten. Als schließlich Maria am Schafott eintrifft, ist der Vater gerade tot. Voll stummer Anklage schaut sie von Ferne Mazeppa an. Es ist ihre letzte bewusste Reaktion. Geschockt vom Geschehen verfällt sie endgültig dem Wahnsinn.
Und Mazeppa? Den plagen sichtlich Gewissensbisse, doch er muss in den Kampf. Er hat sich den Schweden (unter Karl XII) angeschlossen, die gegen Russland kämpfen und erhofft sich dadurch Freiheit für die Ukraine. Der Zar, bis dato sein Beschützer, ist nun sein Gegner und besiegt schließlich die Schweden und ihn mit seinen Kosaken. Mazeppa und Orlik fliehen, geraten dabei ins zerstörte Haus von Kotschubej und treffen dort auf Marias Freund Andrej. Der will sich nun rächen, wird aber beim Gerangel von Mazeppa erschossen. Auch Maria taucht auf, nun ohne Babybauch. Hatte sie zunächst eine Scheinschwangerschaft oder inzwischen eine Fehlgeburt?? Das bleibt unerklärt. Sie erkennt niemanden mehr. Erschüttert hält sie Mazeppa im Arm, doch er rettet lieber das eigene Leben, als sich um die Hilflose zu kümmern. Den zu Tode getroffenen, aber zunächst sehr aufrecht (!) singenden Andrej hält Maria für ein Kind und singt ihm ganz zart ein Wiegenlied. Übrigens überlebt auch der historische Mazeppa nicht. Sie alle sind Verlierer geworden.
Zuletzt starker Applaus für die guten bis sehr guten Gesangsleistungen (sämtlich auf Russisch mit Übersetzungsanlage). Besonderen Beifall erhalten Asmik Grigorian sowie Henrik Nánási und das Orchester der Komischen Oper. Dem Regieteam schallen jedoch heftige Buhs entgegen. Lohnt sich das Hingehen dennoch? Wegen Tschaikowskis Musik durchaus.
Ursula Wiegand
Weitere Vorstellungen: 2./3. März sowie 17. und 30. März, 5. April und 2. Juli. Kartentelefon (030) 47 99 74 00.