BERLIN/ Deutsche Oper: TRISTAN UND ISOLDE – am 19.2.2012
Schon je war in Westberlin so manches anders als in der BRD – die langlebigen Verhältnisse in Oper und Philharmonie sind nur ein Teil davon. Ähnlich langlebig war und ist die Spielplangestaltung an der Deutschen Oper, die manche Produktionen aus der Ära und v.a. der Feder von Götz Friedrich lebendig bewahrt hielt und hält, wo andernorts längst die vierte Neuinszenierung angesetzt würde. Gerade den Außenstehenden ermöglicht solche Vorgehensweise eine vitale Werkbeschau jenseits von Aktualitätshektik, die in der deutschen Theaterlandschaft nur wenige Parallelen (wie Düsseldorf/Duisburg oder Mannheim) kennt. Einzelne Stücke werden natürlich dennoch ausgetauscht, was in solcher Umgebung logischerweise nicht konfliktfrei abgehen kann.
Die Befassung mit Wagners Werken stellt dabei den Kern dieser Traditionen, verstand sich doch bereits das alte Charlottenburger Bühnenhaus vor den Toren der Kaiserlichen Hauptstadt als Heimstatt der Wagnerpflege, wie denn auch der Neubau von 1961 ähnlichen Idealen verpflichtet war, nach denen bereits das Festspielhaus in Bayreuth gestaltet worden war.
Tristan und Isolde gehört dabei zu den Werken, deren Götz-Friedrich-Inszenierung von 1980/1990 in der lezten Spielzeit durch eine Neuproduktion ausgetauscht worden ist, und an Graham Vick lag es nun, diesem Erbe an diesem Hause gerecht zu werden, sollte keine Wiederholung Mannheimer Verhältnisse riskiert werden, wo öffentliche Demonstrationen gegen die Absetzung einer jahrzehntealten Operninszenierung abgehalten wurden, als 2009 Die Meistersinger von Nürnberg neu rauskamen.
Graham Vicks Inszenierung im Bühnenbilde Paul Browns zeigt uns einen Raum, dessen Rückwand von Aufzug zu Aufzug anders gewendet erscheint, wodurch die Orientierung, ob man nun gerade innen oder außen stehe, dem Publikum ähnlich schwindet wie sie im Verlaufe des Dramas dessen Akteuren vollständig abhanden kommt. Fortschreitender Realitätsverlust der Protagonisten bis zum Verlust jeglicher Über-Lebensfähigkeit ist aber kein Additiv aus einer werkfremden Regie-Idee; das ganze Drama erzählt von der Unmöglichkeit der Liebe unter den Bedingungen einer Wirklichkeit unter „des Tages eitlem Wähnen“, und wenn „Dem Land, das Tristan meint, der Sonne Licht nicht scheint“, so kann der Verlust an Welt und Wirklichkeit auch durch andere Stufen seelischen Verdämmerns vor Eintritt des physischen Exitus exemplifiziert werden.
Eingangs finden wir uns in großbürgerlicher Umgebung mit morbidem Interieur wie z.B. einem Sarg als Couch-Tisch, wo ergänzendes stummes Personal pantomimisch die Hackordnung einer rauen Männergesellschaft illustriert, ohne sich je unangenehm in den Vordergrund zu schieben und als lästige Ablenkung aufzufallen – etwas unklar bisweilen, doch nie aufdringlich. Deren Darstellungen liefern kommentierende Nebenhandlungen in Zeitlupe, und vermutlich ist es genau diese Langsamkeit, der es sich verdankt, wenn solche Parallelwelt nicht stört sondern bereichert, zumal sich diese stets sinnvoll und exakt vertaktet auf das Hauptgeschehen beziehen. Ja mehr noch: Punktuell ergeben sich so auch neue Möglichkeiten der textnahen Ausdeutung, die durch Wagners Zeitmaß für gewöhnlich kaum adäquat umsetzbar sind, etwa wenn Isolde im 1.Aufzug bei Tristans Tranknahme sich beschwert: „Betrug auch hier//Mein die Hälfte“, so sieht man hier, wie der „vergessens-güt’ge Trank“ in einer Spritze aufgezogen und genau zeitgerecht der ‚Schuss‘ gesetzt wird.
Fortschreitend im Handlungsverlauf bebildert dieses Concept die Weltferne von Tristans Fieberwahn in der Umgebung einer Alzheimer-Station und verfolgt dabei consequent linear eine echte Deutung, die sich so wohltuend von dem unterscheidet, was einem sonst allzu oft vorgesetzt wird. Denn nicht Tristan allein hat den Bezug zur Welt verloren, seine ganze Umgebung hat ihn eingebüßt, auch Kurwenal findet nur so seinen Platz, indem er für „der Welt holdesten Wahn“ den Animateur gibt, nie kommende Schiffe herbei halluziniert, um Co-Patient Tristan bei Laune zu halten, der mit dicker Horbrille im verschlissenen Filzpantoffeln durchs Zimmer schlurft: „Göttlich ewiges Urvergessen // wie schwand mir seine Ahnung!“
In faszinierender Deutlichkeit ist dem gesamten Team anzuspüren, wie fest die Einzelnen im Werk verankert sind. So – und vermutlich nur so – gelingen Anspielungen und Zitate, die bis in die früheste Werkgeschichte zurückreichen, etwa wenn zu „O sink hernieder // Nacht der Liebe“ Isolde genau so zu Füßen Tristans auf dem Divan niedersinkt, dass unschwer das Bildzitat der Münchner Uraufführung 1865 sich einstellt, wo Malvine exakt so vor ihrem Ludwig Schnorr zu Carolsfeld niedersinkt, eine der raren Originalphotographien aus jener Zeit.
Mit Peter Seiffert und Petra Maria Schnitzer hat die Charlottenburger Oper die 1.Liga des Wagner-Gesangs auf die Bühne gestellt, deren symbiotische Struktur auch ihrer Werkinterpretation zugute kommt, sind die beiden doch auch im bürgerlichen Leben ein Paar! Entsprechend gut agieren die beiden miteinander auch da, wo sie sich eigentlich verfehlen und erreichen dabei eine Textverständlichkeit, die die Übertitelung entbehrlich macht. Dazu passt ebenfalls, wie Schnitzer ihren Auftritt im 3.Aufzug dezent reduziert, um wiederum Maß zu halten mit Seiffert, der bereits im 1.Aufzug so rückhaltlos alles gegeben hat, dass nun zu bangen war, ob er bis zum Ende durchsteht. Allein vor dieser Folie ist aber auch die ärgerliche Streichung im 2.Aufzug zu rechtfertigen, die eines solchen Künstlerpaares ansonsten schlicht unwürdig ist. Diesem Paar zuhören und zuschauen zu können, entlarvt all jene Glorizierung der 60er-Jahre, in denen immer alles besser war, als pure Nostalgie!
Ekaterina Gubanova als Brangäne und Boaz Daniel als Kurwenal belegen die hohe Qualität der Besetzung auch der zweiten Reihe, die ja alle wie auch Liang Li als Marke – sehr würdebetont, dafür mit etwas reichlich Vibrato – durch die ständige Präsenz eigentlich Abwesender sehr viel mehr auf der Bühne zu tun und dort auch zu schaffen haben als der bekannte Handlungsverlauf nahelegt.
Der Deutschen Oper Berlin bleibt zu wünschen, dass sie – über alle Intendanzwechsel hinweg – solche Perlen, die auch bei wiederholter Betrachtung ihren Glanz nicht einbüßen, ähnlich lange lebendig erhält, damit dieser ersten Wiederaufnahme noch viele viele folgen mögen!
Ralf Jochen Ehresmann